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SPLITTER/403: David Haye will das Schwergewicht wiederbeleben (SB)


Britischer Aufsteiger wird als Verjüngungskur gehandelt


Oscar de la Hoya, dessen Sinn für geschäftliche Goldgruben in der Branche unübertroffen ist, bezeichnete David Haye als "britischen Muhammad Ali", da er gutaussehend, gewitzt und tödlich im Ring sei. Obwohl der Vergleich mehr als gewagt und Versatzstück einer Vermarktungsstrategie ist, kommt es doch einem kommerziellen Ritterschlag gleich, vom "Golden Boy" auf derart positive Weise verkauft zu werden. Berücksichtigt man, daß Haye erst einen Kampf im Schwergewicht ausgetragen hat und dennoch als dessen Hoffnungsträger gehandelt wird, ist das zwar ein weiteres Armutszeugnis für die desolate Königsklasse, doch in gewissem Umfang auch eine Würdigung des ehemaligen Weltmeisters mehrerer Verbände im Cruisergewicht.

Vitali Klitschko hat sich den letzten Auftritt des Briten in London vor Ort angesehen und Haye sofort zum Wunschgegner erklärt. Im Vorfeld des Kampfs seines Bruders Wladimir gegen Hasim Rahman wurde eine Fehde inszeniert, die nach Rache schrie, und bevor noch der Sonntagmorgen graute, war der Vertrag mit dem Briten unter Dach und Fach gebracht. Weg mit den langweiligen Ranglisten, wir gebem dem Publikum, was es sehen will! Frei nach diesem Motto ignoriert der amtierende WBC-Weltmeister seinen früheren Teamkollegen Juan Carlos Gomez, der das Vorrecht erkämpft hat, gegen ihn anzutreten, und zieht den Briten vor, der in England und wohl auch in Deutschland für ein volles Haus sorgen wird.

David Haye gilt in der Tat als eine attraktive Option für die Schwergewichtsklasse, deren Markenzeichen seit Jahren die Wiederkehr altgedienter Stars als Kanonenfutter für die Klitschkos ist. Der Brite liebt das Risiko, sucht den Knockout und landet in seinem ungestümen Drang mitunter selbst auf den Brettern, womit er in krassem Gegensatz zur Mehrzahl seiner Zunftgenossen steht, die sich rundenlang hinter ihrer Deckung verschanzen und für Gähnen auf den Rängen sorgen.

Der Londoner macht seinem Kampfnamen "The Hayemaker" alle Ehre und mäht seine Gegner reihenweise nieder, sofern er nicht wie gegen den Veteranen Carl Thompson selbst Sterne sieht. Doch diese einzige Niederlage seiner Profikarriere liegt mittlerweile vier Jahre zurück, und der Verdacht, Hayes Schwäche sei ein Glaskinn, macht seine Auftritte nur um so spannender.

Man hat ihn als einen selbstmörderischen Boxer beschrieben, der so besessen davon sei, seinen Gegnern den Rest zu geben, daß seine Ära nur von kurzer Dauer sein werde. Promoter Carl King ficht das nicht an, der den Briten als probate Kur zur Rettung des kränkelnden Schwergewichts anpreist: Er bringe alle Voraussetzungen für ein Drama mit, sei intelligent und verkaufe sich bestens. Was also wolle man mehr?

An Selbstbewußtsein fehlt es David Haye sicher nicht, will er doch am liebsten die Klitschkos nacheinander vom Thron stoßen und zum unangefochtenen Weltmeister aller Klassen aufsteigen, dem niemand das Wasser reichen kann. Das klingt nach Selbstüberschätzung und erinnert an manch ein Debakel zu Amateurzeiten, als ihm das eigene Talent zum Verhängnis zu werden drohte, da er ebenso brillant wie trainingsfaul war und ihm leichte Erfolge in den Schoß fielen, bis ihn ein Außenseiter auf den Boden boxerischer Tatsachen zurückholte.

In seinem engsten sportlichen Umfeld zog man daraus die Konsequenz, ihn fortgesetzt mit Anforderungen zu konfrontieren, die ihm wenig Raum für Leichtfertigkeit ließen. Der Erfolg gab dieser Strategie recht und so führte David Haye nach nur 22 Profikämpfen die Titel im Cruisergewicht zusammen. Skeptiker halten ihn allerdings nach wie vor für überheblich, boxt er doch allzu gern mit lässig hängenden Fäusten, als könne ihm sein Gegner nichts anhaben.

Oscar de la Hoya zeigte sich jedoch beeindruckt von dem Briten, der nicht nur eine unterhaltsame Show im Ring bietet, sondern auch wie ein Unwetter über seine Kontrahenten herfällt: Haye werde das Schwergewicht im Sturm erobern und dieser ruhmreichen Klasse die dringend erforderliche Auffrischung geben. Selbst Evander Holyfield, der eine Woche zuvor noch nie etwas von dem Briten gehört hatte, versicherte nun, er sei ein großer Fan dieses Talents.

Keinem Promoter ist es gelungen, David Haye von seinem langjährigen Trainer Adam Booth zu trennen. Dieser steht in dem Ruf, ständig nach neuen Ideen zu forschen, und ist sich offenbar nicht zu schade, dabei andere um Rat zu fragen. Wenige erfolgreiche Trainer sind dazu bereit, vom hohen Roß herunterzusteigen und gegebenenfalls ausgetretene Pfade zu verlassen. Aus Perspektive Booths ist die Sache eigentlich recht einfach: Sein Schützling zähle zu den wenigen Boxern, die wirklich gern in den Ring steigen und es genießen, vor möglichst vielen Menschen aufzutreten. Die meisten haßten es regelrecht, sich der Gefahr und dem Publikum zu stellen. David hingegen wirke locker und entspannt, doch sobald der Gong ertöne, werde er absolut furchteinflößend.

Viel schwieriger düfte es hingegen gewesen sein, den talentierten Boxer zu Trainingsfleiß anzuhalten und ihn dem Londoner Nachtleben zu entfremden. Beides scheint Booth inzwischen gelungen zu sein, dem man nachsagt, er wisse als einziger, wie man David Haye vor dem Scheitern bewahren und zur vollen Entfaltung seiner Fähigkeiten bringen kann.

26. Dezember 2008