Schattenblick →INFOPOOL →SPORT → BOXEN

SPLITTER/417: Patient Boxsport im Strohfeuer der Restverwertung (SB)



Regelinflation und Regelbruch aus einer Hand

Außenstehenden die Regularien und Verfahrensweisen der Weltverbände plausibel zu machen, ist de facto unmöglich, da die Neigung, immer unüberschaubarere Regeln aufzustellen und sich selbst nicht daran zu halten Hochkonjunktur hat. Man kann sich des Eindrucks kaum erwehren, daß der Patient Boxsport von seinen Nutznießern im Zuge der Restverwertung ausgeschlachtet und damit um so rascher in der Ruin getrieben wird. Der Exilkubaner Yuriorkis Gamboa gilt nach übereinstimmender Expertenmeinung als bester Boxer des Federgewichts. Nachdem er jedoch bei der geplanten Titelvereinigung mit Jorge Solis am 26. März nicht zum zweiten Wiegen erschienen war, erkannte ihm die IBF den Titel ab.

Diese Entscheidung war insofern nachvollziehbar und konsequent, als die beim offiziellen Wiegen am Vortag des Kampfs ermittelten Gewichte immer häufiger weit von den entsprechenden Werten am Abend des folgenden Tags abwichen. Um das geforderte Limit nicht zu überschreiten, kochten Boxer vor allem durch reduzierte Ernährung und Flüssigkeitsentzug so extrem ab, daß sie durch bloßes Essen und Trinken nach dem Wiegen mitunter mehr als zehn Kilo zulegten. Dies konnte dazu führen, daß beide Boxer deutlich über der Gewichtsklasse lagen, in der sie antraten, was vielleicht noch zu verschmerzen wäre. Vollends abstrus wurde die Situation jedoch, wenn einer von beiden am Kampfabend im Limit lag, der andere aber mit einem deutlichen Gewichtsvorteil in den Ring stieg.

Um diese Tendenz zumindest zu bremsen und nicht zuletzt gesundheitlichen Erwägungen Rechnung zu tragen, führte die IBF ein obligatorisches zweites Wiegen am Morgen des Kampftags ein. Liegt der dabei ermittelte Wert innerhalb einer festgelegten Toleranz von wenigen Pfund, gibt man grünes Licht. Ist der Boxer aber seit dem ersten Wiegen erheblich schwerer geworden, erfüllt er die Vorgaben der betreffenden Gewichtsklasse nicht, was vor allem bei Titelkämpfen relevant ist.

Nun hat die WBA Gamboa den Titel des Superchampions mit der Begründung aberkannt, dieser Status stehe nur Boxern zu, die zugleich Weltmeister eines zweiten Verbands sind. Was auf den ersten Blick regelkonform anmuten mag, erweist sich als inkonsequent, sobald man darauf stößt, daß dieser Verband durchaus Boxer als Superchampions führt, die keineswegs zwei Titel besitzen. Wenngleich man noch verstehen kann, daß die WBA den selbstgeschaffenen Wildwuchs ihrer Superchampions, regulären Titelträger und Interimschampions in ein und derselben Gewichtsklasse gelegentlich ausforsten muß, um die Verwirrung nicht komplett zu machen, bleibt das Grundproblem unberührt. Man muß schon eingefleischter Freund des Boxsports sein, um dieser Farce nicht den Rücken zu kehren.

12. Juni 2011