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KLASSIK/349: Daniel Mendoza gilt als Vater des modernen Boxsports (SB)



Späte Ehre für einen fast vergessenen Wegbereiter

So arm wie er geboren wurde, starb Daniel Mendoza am 3. September 1836, worauf man ihn in einem Friedhof für spanische und portugiesische Juden im Osten Londons begrub. Als das Queen Mary College, auf dessen Grundstück sich die Ruhestätte befand, in den 1970er Jahren erweitert wurde, schaffte man die sterblichen Überreste Mendozas und 7.000 weiterer Menschen in ein Massengrab nach Essex. Ungeachtet der enormen Popularität, die er zu Lebzeiten besaß, geriet er weithin in Vergessenheit. Allenfalls eingefleischten Fans der "Pink-Panther"-Filme mag aufgefallen sein, daß Inspektor Clouseaus Apartment Drucke zieren, die den Boxer zeigen. Peter Sellers, der den Inspektor spielte, ist nämlich ein Ur-Urenkel Mendozas.

Nach jahrzehntelangen Bemühungen ist es der jüdischen Gemeinde im East End mit Unterstützung der Nachkommen Mendozas und namhafter britischer Boxer gelungen, eine Gedenktafel in unmittelbarer Nähe seiner ursprünglichen Grabstätte anzubringen. Damit wurde dem gemeinhin als Vater des modernen Boxsports und soziales Vorbild seiner jüdischen Zeitgenossen angesehenen Daniel Mendoza eine späte Ehre zuteil. Wie der frühere Europameister Sir Henry Cooper bei der feierlichen Einweihung der Gedenkstätte anmerkte, verdanke man Mendoza das erste Regelwerk des Boxsports, der bis dahin eine wüste Prügelei mit Ringkampfeinlagen gewesen sei.

Man mag die zeitgenössische Bedeutung Mendozas daran ermessen, daß er nicht nur der erste jüdisch-englische Boxmeister war, sondern auch als solcher eine Audienz bei König George III. erhielt, was bis dahin undenkbar war. Er wurde so bekannt und beliebt, daß einer seiner spektakulären Kämpfe im Juli 1789 sogar den Sturm auf die Bastille von der Titelseite der Londoner Zeitungen verdrängte. Als "Mendoza der Jude" inszenierte er seine Auftritte unter großer Anteilnahme der Öffentlichkeit und verhalf nicht nur dem Boxen zu ungeahnter Popularität, sondern inspirierte auch seine jüdischen Mitbürger, Mißachtung und Drangsalierung nicht länger als unabwendbares Schicksal hinzunehmen und widerspruchslos zu erdulden. Tatsächlich gilt es als historisch verbürgt, daß Boxschulen wie die Mendozas spürbare Erleichterungen für die jüdische Gemeinde Londons mit sich brachten. Mendoza verfaßte mit seinem 1789 erschienenen Werk "The Art of Boxing" das erste Lehrbuch des Boxsports, in dem er insbesondere auf die Bedeutung angemessener Ernährung, regelmäßigen Trainings und elementarer Ausweichmanöver einging.

Am 5. Juli 1764 geboren, war Daniel Mendoza von 1792 bis 1795 englischer Boxmeister. Er brachte erstmals eine Herangehensweise in den Ring, die man später als "wissenschaftlichen Stil" bezeichnen sollte. Natürlich ging es dabei um die alte Frage, auf welche Weise es in einer körperlichen Auseinandersetzung möglich sei, einen physisch überlegenen Gegner zu bezwingen. Innovativ war Mendoza insofern, als er die Kunst des Ausweichen und Konterns nicht nur erfolgreich demonstrieren, sondern auch unterrichten und schriftlich darlegen konnte.

Da man damals noch keine Begrenzung der Rundenzahl kannte und bis zum endgültigen Niederschlag oder zur Aufgabe kämpfte, stellte dies enorme Anforderungen an die Kontrahenten. Zahllose Kritiker sahen in den Preiskämpfen nichts als ein rohes und unwürdiges Spektakel, das zudem von Betrügereien und Skandalen begleitet war. Daß der britische Boxsport wieder aufzublühen begann, war vor allem dem aus Portugal eingewanderten Mendoza zu verdanken. Öffentliche Kämpfe waren noch immer streng verboten, was ihn jedoch wenig scherte. Er ließ sich nach jedem Auftritt verhaften und verbrachte einige Wochen im Gefängnis, um danach sogleich seinen nächsten Kampf ins Auge zu fassen. Schließlich erlangte er so große Popularität, daß es die Richter nicht mehr wagten, ihn einzusperren. Statt dessen verurteilte man ihn zu einer Geldstrafe, die durch eine Spendensammlung seiner Freunde mühelos beglichen wurde.

Mit großem Werbeaufwand stimmte Mendoza das Londoner Publikum im Jahr 1789 auf einen Kampf gegen seinen früheren Mentor Richard Humphreys ein. Schon Wochen zuvor berichteten die Gazetten von dem Spektakel, Plakate wurden geklebt, und das große Ereignis war in aller Munde. Dies trieb die Wetteinsätze in die Höhe, wobei Mendoza als Favorit galt. Doch als die mit ungeheurer Spannung erwartete Stunde der Wahrheit endlich anbrach, sollte es anders kommen. Der Publikumsliebling unterlag, wodurch zahlreiche Wetter um ihren Einsatz gebracht wurden. Es zeugt von Mendozas Beliebtheit, daß weder die Niederlage noch die beträchtlichen Wettverluste vieler Zuschauer seinem Ruf schadeten. Ein Rückkampf mußte her, und diesmal war es Mendoza, der am Ende als "Weltmeister" gefeiert wurde, denn Großbritannien war schließlich die Boxwelt.

Niemand kann heute sagen, ob Daniel Mendoza vielleicht sogar die Niederlage im ersten Kampf eingeplant hatte, um das Geschäft zweier lukrativer Duelle auf diese Weise zu befördern. Mit seinem Können im Ring, gepaart mit geradezu modern anmutenden Vermarktungsstrategien, kommt ihm jedenfalls das Verdienst zu, gegen Ende des 18. Jahrhunderts eine neue Ära im Boxsport eingeläutet zu haben. Das Publikum braucht seine Helden, und Mendoza bot in mehrfacher Hinsicht Profil genug, um von einer wachsenden Woge der Begeisterung emporgetragen zu werden.

Mendoza hatte frühzeitig erkannt, daß er trotz seines unbestrittenen Könnens nicht allein durch gewonnene Kämpfe jenen Gipfel erklimmen würde, den er sich erträumte. So brachte er das Kunststück fertig, seinen Namen in London stadtbekannt zu machen, ohne einen einzigen großen Kampf geliefert zu haben. In den Redaktionen der Zeitungen machte er sich viele Freunde, die ihn systematisch aufbauten. Im Gegenzug fütterte er sie mit immer neuen Geschichten über seine schwere Jugend. Dies lieferte den Journalisten Stoff und rief in zahllosen Lesern den Wunsch wach, ihn endlich im Ring zu erleben.

Mit einem spektakulären Sieg über Martin Butcher am 17. April 1787 wurde er den Erwartungen gerecht, doch hütete er sich davor, seinen Ruf sogleich gegen die gefährlichsten Gegner aufs Spiel zu setzen. Es sollte fast zwei Jahre dauern, bis er mit dem amtierenden Champion Richard Humphreys in den Ring stieg. Die beiden trafen sich im Vorfeld ihres Kampfs in einer bekannten Kneipe, wo sie einander vor der eigens bestellten Presse ein Wortgefecht lieferten, wie man es bis auf den heutigen Tag von solchen Auftritten kennt. Mendoza verstand es, aus der Niederlage gegen Richard Humphreys, ob sie nun eingeplant war oder nicht, Kapital zu schlagen. Als vier Monate später die Revanche folgte, wurde sie zu seinem größten Triumph und zugleich zu einem Riesengeschäft. Mendoza gewann später auch den dritten Kampf gegen Humphries, bei dem die Zuschauer erstmals Eintrittsgeld zahlen mußten.

Im Jahr 1795 trat Mendoza in Hornchurch in Essex gegen "Gentleman" John Jackson an, der jünger, größer und viel schwerer war. Jackson gewann den Kampf in der neunten Runde nicht zuletzt deshalb, weil er Mendoza mit einer Hand an den langen Haaren festhielt und mit der anderen seinen Kopf bearbeitete. Seither pflegten Boxer mit kurzen Haaren in den Ring zu gehen.

Mendoza sah sich nach anderen Einkommensquellen um und wurde später Kneipenbesitzer in Whitechapel. Er lehnte diverse Angebote zu Rückkämpfen ab und teilte der "TImes" 1807 in einem Schreiben mit, daß er sich vor allem dem Unterrichten der Boxkunst widmen wolle. Den letzten Kampf als Boxer bestritt er dennoch erst 1820 in den Banstead Downs, wo er einem gewissen Tom Owen in der zwölften Runde unterlag.

Im Jahr 1809 hatte sein guter Ruf in der Bevölkerung beträchtlichen Schaden genommen, als er sich zu dem Zweck anheuern ließ, an der Niederschlagung eines Aufruhrs mitzuwirken. Er war ohne Zweifel ein ausgezeichneter Boxer und charismatischer Unterhaltungskünstler, jedoch auf lange Sicht gesehen ein schlechter Geschäftsmann. So verdiente er ein Vermögen und verlor es wieder, indem er Showkämpfe bestritt, eine Boxakademie gründete, als Anwerber für die Armee tätig war, sich als Pantomime versuchte, sein eigenes Papiergeld druckte und Kneipenwirt wurde. Als er im September 1836 starb, hinterließ er seine Familie in bitterer Armut.

17. Oktober 2008