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KLASSIK/353: Ewald Wichert - Opfer eines Fehlurteils bei Olympia 1968? (SB)



Einer der erfolgreichsten deutschen Amateurboxer der 1960er Jahre

Der am 26. Mai 1940 im westfälischen Hamm geborene Ewald Wichert gehörte in den 1960er Jahren zu den erfolgreichsten deutschen Amateurboxern. Im Mittelgewicht wurde er 1958 Juniorenmeister und bei den Senioren 1963, 1964 und 1967 Vizemeister sowie 1966 und 1968 deutscher Meister. Seit 1965 war er Mitglied des TKSV Duisdorf.

Auch international konnte sich Wichert in Szene setzen. Höhepunkte seiner Boxkarriere waren der Gewinn der Militär-Weltmeisterschaft im New Yorker Madison Square Garden 1965 und die Olympischen Spiele 1968 in Mexiko-Stadt. Hier verlor er in der zweiten Vorrunde gegen den späteren Olympiasieger Christopher Finnegan aus England mit 3:2-Punktrichterstimmen und mußte sich unter den Teilnehmern aus vierzehn Nationen mit dem neunten Platz zufriedengeben.

Wie Herr Rolf Antekeuer der Schattenblick-Redaktion im Auftrag von Ewald Wichert in einem Leserbrief mitteilte, sprach Werner Schneider (ZDF) mit Blick auf die Wertung des Kampfs zwischen Wichert und Finnegan vom ersten katastrophalen Fehlurteil der Olympischen Spiele. Zwei der Punktrichter wurden während des Turniers nach Hause geschickt.

Im Laufe seiner langen und erfolgreichen Karriere bestritt Ewald Wichert nicht weniger als 303 Kämpfe, von denen er 275 gewann und dabei 55 Gegner vorzeitig besiegte. Dem stehen lediglich 20 Niederlagen und acht Unentschieden gegenüber.


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Amateurweltverband im Zwielicht

In diesem Zusammenhang mag ein kurzer Abriß der oftmals fragwürdigen Praktiken des Amateurbox-Weltverbands (AIBA) illustrieren, in welchem Ausmaß die bei der Punktwertung nie ganz auszuschließende Gefahr von Fehlurteilen mitunter systematisch instrumentalisiert worden ist. Als Anfang Juni 2001 das nordirische Belfast Gastgeber der Weltmeisterschaften war, nahmen dies örtliche Medien zum Anlaß, die Verbandsführung unter die Lupe zu nehmen und die Skandale früherer Jahre noch einmal aufzurollen. Im Mittelpunkt des Interesses stand der damalige AIBA-Präsident Anwar Chowdhry, der in den 1980er Jahren zur sogenannten "Sportpolitischen Gruppe" um adidas-Chef Horst Dassler gehört hatte. Dieser setzte den Pakistaner in einer offenbar manipulierten Wahl 1986 in Bangkok auf den Thron der AIBA. Die Stimmen des Ostblocks wurden mit Hilfe des Berliners Karl-Heinz Wehr gesichert, der den Posten des Generalsekretärs bekam. Er schrieb als "IM Möwe" alles akurat für die Stasi auf und zeichnete für das Ministerium ein verheerendes charakterliches Bild Chowdhrys, den er als "absoluten Geschäftemacher und in jeder Beziehung korrupt" einstufte. Als diese Zeilen später publik wurden, entledigte sich Chowdhry des Ostdeutschen schnell.

Für die Skandale bei den Olympischen Spielen 1988 und bei den Weltmeisterschaften 1999 trug der AIBA-Boß die Verantwortung, da er die Bestechung der Punktrichter zuließ. In Seoul wurden mindestens acht Betrugsurteile nachgewiesen, ein Koreaner führte nach seiner Niederlage einen Sitzstreik im Ring durch und der neuseeländische Ringrichter Keith Walker wurde verprügelt, worauf man ihn unter Polizeischutz nach Hause fliegen mußte.

Auch war Chowdhrys Finanzgebaren dubios, da 2001 nicht weniger als 400.000 Dollar in der Kasse des Weltverbands fehlten, für die kein Beleg vorhanden war. Augenscheinlich hatte Chowdhry vom IOC nichts zu befürchten, da er häufig schwierige Aufgaben für den damaligen IOC-Chef Juan Antonio Samaranch erledigte. Besonders hilfreich war der umtriebige Pakistaner bei der Olympiabewerbung Barcelonas, wofür er den olympischen Orden erhielt.

Als zwielichtig galt seinerzeit auch Gafur Rahminow, der als Chef der AIBA-Business-Kommission fungierte, den Beinamen der "Pate von Taschkent" trug und dem FBI wohlbekannt war. Der Usbeke galt als Berater des usbekischen Präsidenten, einer der drei weltgrößten Baumwollbarone und kontrollierte offenbar die Drogenproduktion in den Ländern Zentralasiens. Seine Aufgabe beim Boxverband bestand unter anderem darin, beispielsweise die vier Millionen Dollar, die das Amateurboxen als Fernseherlös der Olympischen Spiele 2000 in Sydney bekommen hatte, gewinnbringend anzulegen. Persönlich in Empfang nehmen durfte er das Geld damals aber nicht, da ihn die australischen Behörden nicht einreisen ließen.

Bei den Commonwealth Games im August 2002 zeigte sich Anwar Chowdhry dann als Saubermann und suspendierte die Ringrichter David Agong aus Uganda und Stephen Kofi Antwi aus Ghana wegen unzureichender Leistungen. Auch verwarnte er weitere Punktrichter aus demselben Grund. Wie Chowdhry erklärte, nehme man mit versteckter Kamera sämtliche Kämpfe auf und könne daher jeden Treffer sowie die Reaktion des Kampfrichters überprüfen. In der Vergangenheit habe der Boxsport seinen Ausschluß als olympische Disziplin riskiert, da es zu gehäuften Fehlurteilen gekommen sei. Daher müsse man sicherstellen, daß korrekte Entscheidungen gefällt würden. Offenbar war dem AIBA-Präsidenten sehr daran gelegen, sich als geläutert darzustellen.

Als im November 2005 Weltmeisterschaften im chinesischen Mianyang ausgetragen wurden, stand die AIBA-Führung jedoch erneut unter Korruptionsverdacht. Gegen Anwar Chowdhry und eine Reihe weiterer Funktionäre wurden entsprechende Vorwürfe erhoben. Die Rechtskommission des Verbands mußte sich mit zwei Betrugsfällen beim olympischen Boxturnier in Athen 2004 beschäftigen. Neben dem inzwischen 81jährigen Chowdhry, der nach Meinung des Berliners Karl-Heinz Wehr ein regelrechtes Korruptionsnetz aufgebaut hatte, sorgte auch der Generalsekretär des Weltverbands, Kamer Doganelli, für negative Schlagzeilen. Der frühere Boxer und Unternehmer aus der Türkei stand im Verdacht, in diverse Korruptionsfälle verstrickt zu sein. Bis zur Klärung der Vorwürfe verweigerte IOC-Präsident Jacques Rogge die Auszahlung der anteiligen Fernsehgelder von den Olympischen Spielen in Höhe von 9,15 Millionen Dollar an die AIBA.

Auch nach den Olympischen Spiele 2008 in Peking wurden erneut Manipulationsvorwürfe im Amateurboxverband laut. Zwangsläufig fühlte man sich an das Olympia-Turnier von 1988 in Seoul erinnert, bei dem es derart eklatante Fehlurteile vor allem zugunsten der Gastgeber gab, daß das Reglement hinterher überarbeitet werden mußte. Seit 1992 in Barcelona existiert im olympischen Amateurboxen die offene Wertung, bei der mindestens drei der fünf Punktrichter innerhalb einer Sekunde einen Knopf drücken müssen, damit ein Treffer in die Wertung eingeht. Doch wer gehofft hatte, daß bei diesem Verfahren nicht mehr betrogen werden könne, sah sich getäuscht.

In Peking war eine Anhäufung höchst umstrittener Entscheidungen zu beobachten. "Um zu gewinnen, hätte man schon die Punktrichter k.o. schlagen müssen", klagte der Ire Paddy Barnes, der im Halbfinale des Halbfliegengewichts mit 0:15 gegen den Chinesen Zou Shiming verlor. "Bei 60 bis 70 Prozent aller Kämpfe bei diesen Spielen ist es nicht mit rechten Dingen zugegangen", behauptete Rudel Obreja. Der rumänische Verbandschef war seit 2007 Vizepräsident der AIBA und nutzte die Öffentlichkeit der Olympischen Spiele, um auf einer von ihm einberufenen Pressekonferenz seinen gesammelten Vorwürfen Gehör zu verschaffen. Wie er den Journalisten erklärte, mißachteten Offizielle die per Computer erfolgte Zufallsauswahl der fünf Punktrichter und des Referees. Die ausgewählten Personen seien im Nachhinein ausgetauscht worden, um so die Bewertung der Wettkämpfe zu beeinflussen. Verantwortlich für diese Manipulationen sei Ho Kim, Exekutiv-Direktor der AIBA und technischer Verantwortlicher des Olympia-Turniers. Bei diesem Treiben lasse ihn sein südkoreanischer Landsmann Ching-Kuo, Weltpräsident der Amateurboxer, gewähren.

Während Obreja diese schweren Vorwürfe erhob, traten Offizielle mit der Aufforderung an ihn heran, die Pressekonferenz sofort abzubrechen. Der Rumäne weigerte sich jedoch und erklärte, man könne ihm ja später die Akkreditierung entziehen, doch jetzt rede er. Dann tauchte plötzlich der von ihm beschuldigte Ho Kim auf. Dieser versuchte anfänglich, die Ruhe zu bewahren, doch als ein Wort das andere gab, brüllten die beiden einander wütend an und nannten sich gegenseitig Lügner und Betrüger. Schließlich gelang es dem ebenfalls hinzugetretenen Verbandschef der USA, Robert Virgets, die Wogen vorerst zu glätten, indem er eine Untersuchung zu diesen Vorwürfen ankündigte.

Nachdem Rudel Obreja für den Eklat gesorgt hatte, ließ sich die restliche Verbandsführung nicht lumpen, suspendierte ihn wegen des "möglichen Versuchs der Manipulation" und leitete eine Ermittlung der Disziplinarkommission gegen ihn ein. Wie es nun hieß, habe man bereits Monate vor den Olympischen Spielen Kenntnis von den Verdachtsmomenten erhalten und entsprechende Gegenmaßnahmen ergriffen. Zudem sei auch das Internationale Olympische Komitee eingeschaltet worden, das einen unabhängigen Beobachter zum olympischen Boxturnier entsandt habe.

Indessen waren zahlreiche langjährige Experten der Auffassung, daß es in Peking erschreckend viele Fehlurteile gegeben habe, von denen insbesondere die Lokalmatadoren über Gebühr profitierten. Angesichts des Machtkampfs und der gegenseitigen Bezichtigungen in den Führungsrängen des Weltverbands blieb undurchsichtig, wer maßgeblich für die mutmaßlichen Manipulationen verantwortlich war. Vor einigen Jahren hatte ein Gericht geurteilt, daß es keine Verleumdung und daher statthaft sei, die AIBA als korruptesten Sportverband der Welt zu bezeichnen. Angesichts des Eklats nach den Olympischen Spielen in Peking mußte man befürchten, daß sich allen gegenteiligen Beteuerungen zum Trotz an diesen Verhältnissen bis heute nichts geändert hat.

Siehe auch: LESERBRIEFE/001: Chris Finnegans Kampf gegen Ewald Wichert

12. Mai 2009