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PORTRAIT/087: Stärker als Dollarmillionen - Abschied von Teófilo Stevenson (SB)




Legendärer kubanischer Schwergewichtler im Alter von 60 Jahren gestorben

Der Kubaner Teófilo Stevenson ist im Alter von 60 Jahren in Havanna an den Folgen eines Herzinfarkts gestorben. Zwar war der ehemalige Boxer Ende Januar wegen Blutgerinnseln in der Herzgegend 15 Tage lang im Krankenhaus behandelt worden, doch kam sein Tod Berichten von Nachbarn zufolge dennoch unerwartet, da es ihm am Abend zuvor noch gutgegangen sei. In Kuba wurde er bis zuletzt wie ein Nationalheld verehrt.

Der am 19. März 1952 in Puerto Padre im Osten Kubas geborene Stevenson bestritt seinen ersten Amateurkampf im Alter von 14 Jahren. Entdeckt wurde er von dem deutschen Weltenbummler Kurt Rosentritt, der von 1964 bis 1968 für die DDR auf der Karibikinsel Entwicklungshilfe leistete. Dieser gab das Talent in die Obhut des kubanischen Meistertrainers Alcides Sagarra, der Stevenson zum Weltklasseboxer ausbildete.

Teófilo Stevenson war schon zu Lebzeiten eine Legende, da er als erster Schwergewichtler bei den Olympischen Spielen in München 1972, Montreal 1976 und Moskau 1980 dreimal in Folge die Goldmedaille gewonnen hatte. Zu seiner Blütezeit versicherte kein Geringerer als George Foreman, der beste Schwergewichtler der Welt heiße Teófilo Stevenson: Keiner der gegenwärtigen Weltmeister hätte gegen ihn eine Chance. Damals schieden sich die Geister nicht allein an der Frage, ob es ein derart überragender Amateurboxer mit den besten Profis seiner Gewichtsklasse aufnehmen könne. Weit darüber hinaus stand auch die erbitterte Konkurrenz der Gesellschaftssysteme auf der Tagesordnung, die auch den Sport in den Rang eines ideologischen Schlachtfelds erhob, auf dem nicht nur mit Siegen und Medaillen, sondern auch mit Boykott und Ausgrenzung um die Vorherrschaft gefochten wurde.

Zu dem immer wieder geforderten Vergleich zwischen Stevenson, der an der Spitze der lange Jahre weltweit führenden kubanische Boxtradition im Amateurbereich stand, und seinen berühmten Pendants im professionellen Lager ist es nie gekommen. Muhammad Ali und Joe Frazier wollten sich mit ihm messen, doch alle Versuche, den Kubaner mit Millionengagen ins Profilager zu locken, schlugen fehl. Selbst dem mit allen Wassern gewaschenen Don King gelang dieses Kunststück nicht. "Was ist eine Million Dollar gegen acht Millionen Kubaner, die mich lieben?", faßte Stevenson seine Position in einem berühmt gewordenen Satz zusammen. Diese Haltung traf so sehr den Nerv des kapitalistischen Blocks in Westeuropa und den USA, daß man sie stets voller Galle und Häme diskreditierte und erklärte, dieser erfolgreiche Sportler sei ein mit Privilegien gekaufter Apparatschik eines diktatorischen Regimes. Das Verbot des Profisports in Kuba, den Fidel Castro als System der Ausbeutung strikt ablehnte, ließ sich schlechterdings nicht argumentativ aushebeln.

Neben seinen drei Olympiasiegen zeichnete sich Stevenson in den Jahren 1974, 1978 und 1986 auch dreimal als Weltmeister aus, was die absolute Ausnahmestellung in seiner Ära unterstreicht. Er war elf Jahre lang unbesiegt und natürlich elfmal kubanischer Meister, obgleich seine einheimischen Konkurrenten so stark waren, daß der Rest der Welt im Amateurbereich auch mit ihnen allergrößte Probleme gehabt hätte. Im Jahr 1984 konnte er wegen des Boykotts der Spiele in Los Angeles nicht noch einmal um Gold kämpfen. Den späteren Olympiasieger Tyrell Biggs aus den USA hatte er zuvor bereits zweimal besiegt. Im Alter von 36 Jahren erklärte Stevenson 1986 mit der eindrucksvollen Bilanz von 301 Siegen in 321 Kämpfen seinen Rücktritt.

Er sei erschüttert, reagierte Peter Hussing auf die Nachricht vom unerwarteten Tod seines weltbekannten früheren Gegners. Der 16malige deutsche Meister im Schwergewicht verlor zweimal bei Weltmeisterschaften gegen den Kubaner und scheiterte bei den Olympischen Spielen 1972 in München im Halbfinale an ihm. "Da war ich noch guter Dinge, und auf einmal schlug es ein", beschrieb Hussing später die kampfentscheidende Situation. Stevenson sei eine solche Ausnahmeerscheinung gewesen, daß ihn der Kubaner schon beeindruckt habe, wenn er ihm nur im Ring gegenüberstand: "Gegen ihn wußte ich einfach nicht, was ich machen sollte."

Nach seiner aktiven Zeit war Stevenson als Trainer und zugleich als Vizepräsident des kubanischen Boxverbandes tätig. Bereits 1976 war er in die Nationalversammlung gewählt worden. Muhammad Ali wurde später sein Freund. Sie trafen sich, als der US-Amerikaner nach Kuba reiste, um Fidel Castro zu besuchen. Auch Stevenson flog zum Klassenfeind, kehrte aber immer wieder auf seine Insel zurück.

Neben Stevenson gewannen nur sein kubanischer Nachfolger Félix Savón und der Ungar László Papp drei olympische Goldmedaillen. Der 2003 im Alter von 78 Jahren in Budapest gestorbene Papp erkämpfte 1948 sein erstes Olympiagold in London im Mittelgewicht. Vier Jahre später in Helsinki und 1956 in Melbourne folgten zwei weitere Olympiasiege jeweils im Halbmittelgewicht. Der Ungar war 1957 der erste Sportler des damaligen Ostblocks, der ins Profilager überwechseln durfte. Als Berufsboxer wurde er 1962 Europameister im Mittelgewicht. Danach verbot ihm die ungarische Regierung jedoch einen Kampf um die Weltmeisterschaft. Félix Savon wurde von 1992 bis 2000 dreimal in Folge Olympiasieger im Schwergewicht und lehnte wie schon sein Vorbild Teófilo Stevenson einen Wechsel ins Profilager kategorisch ab.

Hiesige Kommentatoren sahen sich weithin außerstande, diese Positionierung als ein Phänomen zu würdigen, das sie zwar nicht verstehen können, aber gerade deswegen als prüfenswert erachten und zu würdigen wissen. Statt dessen waren sie mit klischeehaften Erklärungsmodellen rasch bei der Hand, durfte doch die erstaunliche Treue vieler kubanischer Sportler zu ihrem Land und den Landsleuten nur als Produkt von Unfreiheit, Propaganda und Günstlingswirtschaft gelten. Dankten herausragende Athleten wie Stevenson und Savon zum Ende ihrer erfolgreichen Karriere ausdrücklich Staatschef Fidel Castro, so höhnten westliche Journalisten im Reflex über vermeintliche Unterwürfigkeit angesichts eines Zwangsregimes.

Staatstreue deutscher Leistungssportler drückt sich freilich in anderen Worten und Taten aus, doch ist den herablassenden Begutachtern kubanischer Zustände ohnehin nicht daran gelegen, ernsthaft zum hiesigen System zurückzukoppeln. Den Sport als solchen zu rühmen, kann nicht Sache kritischen Geistes sein. Versteigt man sich dazu, die klammheimliche Bewunderung kubanischer Erfolge in die dreiste Erklärung umzumünzen, in einem solchen Zwangsregime sei das ja auch kein Wunder, stellt man sich uneingeschränkt in den Dienst eben jener Räson der Zurichtung, die man im heimischen Umfeld vehement leugnet, auf Kuba jedoch in Hülle und Fülle zu entdecken vorgibt.

15. Juni 2012