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PORTRAIT/102: Boxer, Justizopfer, Bürgerrechtler - Rubin "Hurricane" Carter zum Abschied (SB)




Symbolfigur im Kampf gegen rassistische Justiz

Zwei Wochen vor seinem 77. Geburtstag ist der durch einen Justizskandal bekanntgewordene ehemalige Profiboxer Rubin Carter gestorben. Der unter dem Kampfnamen "Hurricane" populäre US-Amerikaner erlag in seinem Haus in Toronto einer langjährigen Krebserkrankung. Carter hatte fast 20 Jahre unschuldig hinter Gittern verbracht. Der spektakuläre Kriminalfall ging in die amerikanische Rechtsgeschichte ein, Carter wurde international zur Symbolfigur rassistisch motivierten Unrechts.

Wie zahllose andere schwarze Jugendliche kam auch der 1937 in New Jersey geborene Rubin Carter in jungen Jahren mehrfach mit dem Gesetz in Konflikt. Er wurde 1961 Profiboxer und obgleich er eigentlich zu klein für eine erfolgreiche Laufbahn zu sein schien, kompensierte er dies mit einem unbändigen Kampfesmut, der ihn häufig gewinnen ließ und ihm den Beinamen "The Hurricane" einbrachte. Er wurde zwar nie Weltmeister, schickte aber 1963 den amtierenden weißen Mittelgewichtschampion Emile Griffith in einem Nichttitelkampf bereits in der ersten Runde geschlagen auf die Bretter. In einem Kampf um die Weltmeisterschaft scheiterte er an Joey Gardiello und fiel danach durch weitere Niederlagen in den Ranglisten zurück. Inwieweit seine Erfolge im Boxring gegen einige weiße Favoriten der Branche zu seiner Verurteilung beigetragen haben, blieb umstritten.

Am 17. Juni 1966 endete seine Karriere als Boxer. In Paterson, New Jersey, wurden in einer Bar der Barkeeper und zwei weiße Gäste von zwei Schwarzen erschossen. Der damals 29jährige Rubin Carter und sein 19jähriger Freund John Artis, die sich in der Nähe aufhielten, gerieten in eine Polizeikontrolle. Der Polizei war Carter kein Unbekannter, er fuhr ein weißes Auto wie die Täter, was Augenzeugen berichtet hatten, und man fand zwei Waffen in seinem Wagen. Obgleich es sich bei dem Fahrzeug um ein anderes Modell handelte, Carter von den Augenzeugen nicht erkannt wurde und Fingerabdrücke fehlten, wurden er und John Artis zu mehrfach lebenslänglich verurteilt.

Er habe nie aufgegeben, sagte Carter später in einem Interview über seine Zeit im Gefängnis. "Nur weil eine Jury von zwölf desinformierten Personen mich für schuldig befindet, macht mich das noch nicht schuldig." Deswegen habe er sich auch geweigert, sich wie eine schuldige Person zu benehmen: "Als ich ins Gefängnis ging, weigerte ich mich, ihre Streifen zu tragen. Ich weigerte mich, ihr Essen zu essen. Ich weigerte mich, ihre Arbeiten zu übernehmen, und ich hätte mich geweigert, die Gefängnisluft zu atmen, wenn ich es hätte tun können." [1]

Seit dem Urteilsspruch hatten sich Juristen und Journalisten mit dem Fall beschäftigt. Bob Dylan schrieb das Lied "Hurricane", Muhammad Ali widmete seinem Kollegen einen Titelkampf, im Jahr 2000 kam der Film "Hurricane" von Norman Jewison in die Kinos, in dem Denzel Washington die Hauptrolle spielte.

Nachdem zwei Belastungszeugen, bei denen es sich um stadtbekannte Kriminelle handelte, gegenüber Selwyn Raab, einem Journalisten der New York Times, eingeräumt hatten, sie hätten damals gelogen, wurde der Fall 1976 ein zweites Mal verhandelt. Vor Gericht zogen die beiden jedoch ihre Aussagen zurück, und das Revisionsverfahren scheiterte.

Jahre später ermunterten kanadische Bürgerrechtler Carters Anwalt, den Fall noch einmal aufrollen zu lassen, da neue Indizien für Carters Unschuld sprachen. Nach mehr als 19 Jahren hinter Gittern wurde er 1985 endlich freigesprochen. Ein Bundesgericht entschied, daß die Verurteilung "eher auf rassistischen Gründen denn Beweisen" beruht habe.

Nach seinem Freispruch zog Carter nach Toronto und setzte sich lange Jahre für Menschen ein, die zu Unrecht verurteilt worden waren. Für sein Engagement wurde er mit zwei Ehrendoktorwürden ausgezeichnet. Im Februar hatte sich der 76jährige, bereits durch seine Krankheit vom Tode gezeichnet, in einem offenen Brief in der New York Daily News an den Staatsanwalt des Staates New York gewandt und einen "letzten Wunsch" geäußert: Die Freilassung eines Mannes namens David McCallum, der vor 28 Jahren wegen eines Mordes, den er nach Überzeugung Carters nicht begangen hatte, zu lebenslanger Haft verurteilt worden war.

Carters Brief endet mit den Worten: "Die ersten 49 Jahre meines Lebens lebte ich in der Hölle, und in den vergangenen 28 Jahren war ich im Himmel." In einer Welt zu leben, in der Wahrheit zähle und Gerechtigkeit geübt werde, wäre "Himmel genug für uns alle".


Fußnote:

[1] http://www.spiegel.de/sport/sonst/boxer-rubin-hurricane-carter-ist-tot-a-965364.html

21. April 2014