Schattenblick →INFOPOOL →SPORT → BOXEN

MELDUNG/1455: Fallobst ist nur von beschränktem Nährwert (SB)




Vorschußlorbeeren machen Anthony Joshua nicht zum Champion

An diesem Abend sei man Zeuge eines Aufstiegs geworden, an dessen Gipfel der nächste Schwergewichtsweltmeister gefeiert werde. Er zweifle keinen Augenblick daran, daß Anthony Joshua den britischen Boxsport unerhört bereichern und seinen vorgezeichneten Weg bis zum Ende gehen werde, lobte Promoter Eddie Hearn seinen zum Hoffnungsträger hochstilisierten Schützling in den höchsten Tönen. Carl Froch, Weltmeister der WBA und IBF im Supermittelgewicht, der in der Liverpooler Echo Arena als interessierter Zuschauer die Auftritte am Ring verfolgte und kommentierte, stieß ins gleiche Horn: Er sei überzeugt, den kommenden Champion gesehen zu haben. Joshua müsse nur einen Gang zulegen, um mit jedem Schwergewichtler da draußen den Boden aufzuwischen.

Davon abgesehen, daß Froch wie ein Papagei wiederholt, was sein Promoter von sich gibt, und es zu Hearns Kernkompetenz gehört, seine Boxer mit den markigsten Worten anzupreisen, stellt sich doch die Frage, von wem die beiden eigentlich reden. Anthony Joshua war im Amateurlager 2011 Vizeweltmeister und gewann bei den Olympischen Spielen 2012 in London die Goldmedaille im Schwergewicht, was seine Eintrittskarte für einen mit Vorschußlorbeeren überhäuften Einstieg in die Profiszene war. Dort stehen für den 24jährigen sieben vorzeitige Siege zu Buche, die er gegen ausgesucht schwache Gegner erzielt hat. Das ist nicht ungewöhnlich in der frühen Phase einer Profikarriere, gibt aber auch keinerlei Handhabe, auf außergewöhnliches Talent zu schließen.

In Liverpool bekam es Anthony Joshua mit dem bereits 47 Jahre alten Matt Skelton zu tun, der einst ein namhafter britischer Schwergewichtler war. Obgleich der Veteran seit 16 Monaten nicht mehr im Ring gestanden hatte, boxte er anfangs munter mit und verpaßte seinem jungen Gegner einige satte Treffer. In der zweiten Runde war es jedoch um ihn geschehen, als er in eine Rechte Joshuas lief und zu Boden stürzte. Skelton kam zwar wieder auf die Beine, fing sich aber einen Volltreffer auf die Brust ein, worauf der Kampf eine halbe Minute vor der Pause abgebrochen wurde.

Einmal mehr stach ins Auge, wie roboterhaft Joshua boxt. Er ist am Oberkörper derart muskelbepackt, daß er bewegungseingeschränkt wirkt und nicht schlägt, sondern die Fäuste hinausschiebt und nachdrückt. Wenngleich er diesmal geringfügig flexibler wirkte, konnte doch von flüssigen Bewegungsabläufen keine Rede sein. Das mag für Gegner ausreichen, die zum Fallen engagiert werden, wäre aber bei einem halbwegs versierten und gut vorbereiteten Kontrahenten verhängnisvoll. Joshua agiert nach wie vor so steif, daß er ein leicht zu treffendes Ziel bietet, und läßt aus demselben Grund kein dynamisches Moment in seinen Schlägen erkennen.

Gegen solche Einwände immun, kündigte Eddie Hearn sofort den nächsten Auftritt seines Weltmeisters in spe an, der am 30. August im Nationalstadion von Dublin auf Jaroslaw Tsaworotnij trifft. Matthew Macklin, der zwei Titelkämpfe im Mittelgewicht bestritten hat, und möglicherweise auch Andy Lee sollen das Programm der Veranstaltung aufwerten. Der 39jährige Ukrainer Tsaworotnij hat eine Bilanz von 16 Siegen und sieben Niederlagen, wobei er zuletzt mit David Price über volle zehn Runden gegangen ist. Joshua habe eine anspruchsvolle Aufgabe zu bewältigen, die ihn auf die nächste Stufe der Karriereleiter befördern werde, so Hearn. Es sei ein großartiger Kampf für seinen vielversprechenden Boxer.

Tsaworotnijs Stärke im Kampf gegen David Price, der beim Berliner Promoter Sauerland Event unter Vertrag steht, war seine Fähigkeit, alles einzustecken, was auf ihn einschlug, ohne umzufallen. Natürlich verlor er am Ende klar nach Punkten, doch zeigte er die Grenzen der Schlagwirkung des 1,98 m großen Briten deutlich auf. Tsaworotnij klammerte häufig und enthielt sich weitgehend eigener Angriffe, so daß nicht ersichtlich ist, auf welche Weise er Anthony Joshua ernsthaft prüfen könnte. Wahrscheinlich wird es zu einem längeren Kampf kommen, der einen gewissen Zuwachs an Erfahrung mit sich bringt. Mehr aber auch nicht.

Daß Anthony Joshua der nächste Schwergewichtsweltmeister werden könnte, ist natürlich völlig ausgeschlossen. Bis er sich überhaupt international einen Namen gemacht hat, dürften noch Jahre vergehen, in denen sich an der Spitze manches verändern wird. Zumindest beim WBC, dessen Titel der Kanadier Bermane Stiverne derzeit hält, ist mit Bewegung zu rechnen, zumal sich der ungeschlagene US-Amerikaner Deontay Wilder anschickt, nach dem Gürtel zu greifen. Sollte es Wladimir Klitschko gelingen, sich auch den vierten maßgeblichen Titel zu sichern, könnte freilich eine Phase der Stagnation folgen.

Abgesehen davon tut man Joshua grundsätzlich keinen Gefallen, wenn man ihn nach nur sieben Profikämpfen als künftigen Weltmeister vermarktet. Schon im eigenen Land stehen mit David Haye, Tyson Fury, Dereck Chisora und David Price vier Konkurrenten vor ihm, deren Wege er besser noch nicht kreuzen sollte. Gelingt es dem 24jährigen nicht, seine gesamte Bewegungsweise effektiver zu gestalten, ist nicht einmal abzusehen, wie er es in die höheren Ränge seiner Gewichtsklasse schaffen soll. Selbst Matt Skelton, der für ein finanzielles Zubrot aus dem sportlichen Vorruhestand zurückkam, hat Joshua problemlos getroffen. Man mag sich nicht ausmalen, was Gegner wie Bryant Jennings, Mike Perez, Carlos Takam oder Andy Ruiz mit dem jungen Briten angestellt hätten. Eddie Hearn wird kaum etwas anderes übrigbleiben, als von einem Kampf zum nächsten zu denken und dabei zu hoffen, daß er Anthony Joshua möglichst lange das erste Debakel ersparen kann. [1]


Fußnote:

[1] http://www.boxingnews24.com/2014/07/hearn-anthony-joshua-to-fight-yaroslav-zavorotnyi-on-august-30th-in-dublin-ireland/#more-178929

15. Juli 2014