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MELDUNG/1561: Vollmundige Ankündigung, ernüchternde Ausführung (SB)




Tony Bellew setzt sich in Liverpool gegen Nathan Cleverly durch

Am 15. Oktober 2011 verteidigte Nathan Cleverly erstmals den Titel der WBO im Halbschwergewicht, den er fünf Monate zuvor gewonnen hatte. Gegner des Walisers war Tony Bellew, der sich vor heimischem Publikum in der Liverpooler Echo Arena knapp nach Punkten geschlagen geben mußte. Wenngleich die Wertung eng ausgefallen war, entsprach der Sieg Cleverlys doch dem Kampfverlauf. Das sah Bellew freilich anders, der seither stets darauf bestanden hat, zu Unrecht verloren zu haben. Die Regentschaft des Walisers endete im vergangenen Jahr, als er in Cardiff von dem aufstrebenden Russen Sergei Kowaljow in wenigen Runden auseinandergenommen wurde. Bellew erging es nicht besser, da er gegen den WBC-Weltmeister Adonis Stevenson aus Kanada ebenfalls durch K.o. verlor.

Inzwischen sind die beiden Briten ins Cruisergewicht aufgestiegen, um dort noch einmal einen neuen Anlauf zu nehmen. Cleverly baute seine Bilanz mit Erfolgen gegen zwei handverlesene Aufbaugegner auf 28 Siege und eine Niederlage aus und wurde in den Ranglisten aller vier großen Verbände unter den Top 15 geführt. Bellew, für den 22 Siege, zwei Niederlagen sowie ein Unentschieden zu Buche standen, war bei drei Verbänden präsent. Ihr gemeinsamer Promoter Eddie Hearn verfiel auf die Idee, die beiden gegeneinander antreten zu lassen, um den Sieger dieses Duells als Herausforderer Marco Hucks in Stellung zu bringen, der den Titel der WBO im Cruisergewicht hält.

Es war nicht schwer, die alte Rivalität wieder aufzuwärmen und in Gestalt einer Revanche über die Bühne zu bringen, die drei Jahre nach dem ersten Aufeinandertreffen wiederum in Liverpool ausgetragen wurde. Im Vorfeld war es zu heftigen verbalen Auseinandersetzungen gekommen, bei denen sich Bellew mit der Äußerung hervortat, nun könne er die langersehnte Rache für den damaligen Betrug nehmen und Cleverly auf die Bretter schicken. Dieser konterte mit der Erklärung, er sei schon damals der bessere Boxer gewesen. Seiner hohen Schlagfrequenz könne ein "fetter Schwergewichtler" wie Bellew, dem unterwegs die Luft ausgehe, keinesfalls standhalten.

Als die beiden nun als Hauptkämpfer einer insgesamt attraktiv besetzten Veranstaltung aufeinandertrafen, war der Kontrast zu den vollmundigen Vorreden ernüchternd und die Darbietung befremdlich. Eddie Hearn zog hinterher mit den Worten Bilanz, das sei schon eine Vorstellung der seltsamen Art gewesen. Nach sechs technisch geboxten Runden seien die beiden auf einmal stehengeblieben und hätten versucht, einander anzugreifen. Mit dieser Wortwahl traf der Promoter im Grunde den Nagel auf den Kopf.

Der 31jährige Lokalmatador war von Anfang an darauf bedacht, von der Ringmitte aus in die Offensive zu gehen und den vier Jahre jüngeren Waliser in die Verteidigung zu drängen. Cleverly beschränkte sich weitgehend auf seinen Jab und steckte etliche Körpertreffer ein, ohne sich in nennenswertem Umfang dafür zu revanchieren. Lediglich in der zweiten Runde verpaßte er Bellew mit einem seiner sporadischen Schläge eine Rißwunde über dem rechten Auge. Als ihn der Liverpooler im vierten Durchgang an den Seilen festsetzte, schwang Cleverly theatralisch den Arm umher, was beim Publikum natürlich überhaupt nicht gut ankam.

Ob der Waliser tatsächlich der Auffassung war, er habe alles unter Kontrolle, ist ungewiß. Jedenfalls machte sein Gegner weiter Druck, stellte ihn in der siebten Runde wiederum an den Seilen und bearbeitete ihn mit einer Serie von Körpertreffern. Cleverly zog sich schließlich mit Hilfe seines Jabs aus der Affäre und verschaffte sich etwas Luft. War der Kampf schon in der ersten Hälfte nicht gerade hochklassig verlaufen, so nahm er gegen Ende fast schon groteske Züge an. Der Waliser unternahm kaum noch etwas und lehnte sich des öfteren in die Seile, während ihn Bellew bearbeitete, ohne einen Treffer zu landen, der den Gegner sichtlich beeindruckt hätte.

Zum Ende der neunten Runde wirkten beide Boxer sehr erschöpft - Bellew vom Austeilen und Cleverly vom Einstecken der Schläge. So ging es bis zum Ende weiter, wobei man dem Lokalmatador zugute halten muß, daß er volle zwölf Runden fleißig durchgehalten, der Waliser hingegen nur noch auf den Schlußgong gewartet hatte. Als dieser ertönte, riß Bellew unter dem Jubel der Zuschauer die Arme im Triumpf empor, trommelte sich auf die Brust und ließ sich als Sieger feiern.

Das Urteil fiel mit 116:112, 115:113 und 114:115 allerdings knapper als erwartet aus, wobei sich im Falle der Wertung zugunsten Cleverlys die Frage stellte, welchem Kampf Punktrichter Terry O'Connor eigentlich zugesehen hatte. Tony Bellew, der sich im Cruisergewicht offensichtlich erheblich wohler fühlt als der Waliser, hatte seinen Gegner auf ganzer Linie dominiert.

Es sei vollbracht, er habe einen großartigen Athleten ausgeboxt, ließ Bellew seiner Freude freien Lauf, als sei die Rache an Cleverly sein Lebensinhalt gewesen und er soeben Weltmeister geworden. Der Waliser räumte ein, an diesem Abend gegen einen besseren Boxer verloren zu haben. Da es in der Bilanz ihrer Duelle nun unentschieden stehe, solle man einen dritten Kampf in Erwägung ziehen. Bellew zeigte sich aufgeschlossen für diese Idee und versicherte, er trete an jedem Ort gegen Cleverly an. Sollte es möglich sein, die Ränge des Millennium Stadium in Cardiff zu füllen, sei er gern mit von der Partie. [1]

So verständlich die Genugtuung des Liverpoolers ist, sich vor heimischem Publikum gegen Cleverly durchgesetzt zu haben, der nach Meinung vieler Experten als technisch überlegener Boxer in den Ring gestiegen war, liegt bei realistischer Einschätzung ein wesentlich kargeres Fazit nahe. Der Waliser hatte eine desaströse Vorstellung geboten und sich die letzten vier Runden fast durchgehend an den Seilen festnageln und von Bellew bearbeiten lassen. Dem wiederum war es nicht gelungen, mit seinen zahllosen Schlägen zum Kopf und Körper des Gegners eine durchschlagende Wirkung zu erzielen. Gemessen an der seit Wochen hochgespielten Rivalität mutete der Verlauf des Kampfs doch eher deprimierend an.

Nathan Cleverly ist nach der zweiten Niederlage in entscheidenden Kämpfen binnen zwölf Monaten womöglich am Ende aller Aussichten angelegt, noch einmal an die Weltspitze zurückzukehren. Tony Bellew hat die Gelegenheit beim Schopf gepackt, sich für einen Titelkampf gegen Marco Huck zu empfehlen. Da er beim Auftritt in der Echo Arena wohl sein Bestes gegeben hat, ist allerdings nicht abzusehen, wie er gegen den Weltmeister bestehen sollte.


Fußnote:

[1] http://www.theguardian.com/sport/2014/nov/23/tony-bellew-point-nathan-cleverly-split-decision

24. November 2014