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MELDUNG/1775: Kursbestimmung aus Trainersicht (SB)



Abel Sanchez zu den Aussichten Gennadi Golowkins

Am 17. Oktober kommt es im New Yorker Madison Square Garden zu einem spektakulären Kampf zweier Weltmeister im Mittelgewicht. Dabei trifft der in Los Angeles lebende Kasache Gennadi Golowkin, Superchampion der WBA und Weltmeister des kleineren Verbands IBO, auf den Kanadier David Lemieux, der den Titel der IBF hält. Während Golowkin in 33 Kämpfen ungeschlagen ist und seit sechs Jahren sämtliche Gegner vorzeitig besiegt hat, stehen für Lemieux 34 Siege und zwei Niederlagen zu Buche.

Wenngleich Gennadi Golowkin zum Schrecken des Mittelgewichts avanciert ist, weil er nun schon 20 Gegner in Folge auf die Bretter geschickt und seinen Titel seit 2010 vierzehnmal erfolgreich verteidigt hat, ist sein Trainer davon überzeugt, daß sich der Kasache noch beträchtlich steigern kann. Wie Abel Sanchez im Gespräch mit ESPN.com erklärte, habe Gennadi seine Schlagwirkung, wie er sie aus dem Training kenne, im Kampf noch nie zu hundert Prozent eingesetzt. Das dürfte eine beunruhigende Nachricht für die Konkurrenz sein, die dem Kasachen ohnehin tunlichst aus dem Weg geht.

Wie Sanchez hinzufügt, werde man einen noch besseren Golowkin erleben, wenn dieser auf einen Gegner trifft, der ihn mental fordert. Im Kampf gegen Willie Monroe habe Gennadi nach der zweiten Runde weniger fokussiert geboxt, weil ihm der Gegner nicht gefährlich werden konnte. Der Kasache ließ es daraufhin etwas ruhiger angehen und wurde häufiger als in seinen vorangegangenen Kämpfen getroffen. Erst als ihn sein Trainer ermahnte, energischer zur Sache zu gehen, machte Golowkin ernst und schaltete Monroe in der sechsten Runde aus.

Lemieux sei demgegenüber ein Kontrahent, der Gennadi fordern und ihn mithin motivieren werde, das Beste aus sich herauszuholen, glaubt Abel Sanchez. Bleibe sein Schützling fokussiert, werde er jene außergewöhnlichen Kombinationen schlagen, die ihm im Training dann und wann gelängen. Sanchez freut sich daher darüber, daß Golowkin einen anspruchsvollen Gegner vor die Fäuste bekommt, an dem er sich weiterentwickeln kann, hält Lemieux jedoch keineswegs für den gefährlichsten Kontrahenten, mit dem man es bislang zu tun bekommen habe. Curtis Stevens, dessen Äußerungen vor ihrem Kampf Gennadi derart auf die Palme gebracht hätten, daß er den Amerikaner im Ring nur noch bestrafen wollte, sei noch stärker gewesen.

Sanchez glaubt, daß es Floyd Mayweather ähnlich ergeht, der ebenfalls ungeschlagen ist, aber von Kampf zu Kampf durchaus gewisse Leistungsschwankungen erkennen läßt. Golowkins Trainer kommt nicht von ungefähr auf Mayweather zu sprechen, der seine Karriere Mitte September mit einem Kampf gegen Andre Berto beenden will. Sollte der Branchenprimus jedoch wider Erwarten seine Laufbahn im nächsten Jahr fortsetzen, wäre ein Kräftemessen mit Gennadi Golowkin der spektakulärste Kampf, den das Boxgeschäft derzeit zu bieten hätte. Wie Sanchez erklärt, wäre dies zugleich ein reizvolles Duell der Trainer, denn eine Strategie und Taktik auszuarbeiten, die Mayweathers Können neutralisiert, könne man mit Fug und Recht als außergewöhnliche Aufgabe bezeichnen.

Sollte sich Golowkin gegen Lemieux durchsetzen und dann auch noch den Sieger des Kampfs zwischen Miguel Cotto und Saul "Canelo" Alvarez bezwingen, schlösse sich ein Gang mit Floyd Mayweather geradezu zwangsläufig an, skizziert Sanchez das optimale Szenario aus seiner Sicht. Jedenfalls werde sich sein Schützling mit steigenden Anforderungen weiterentwickeln und nicht zuletzt seine Deckung verbessern, die man zu Unrecht bemängle. Gennadi habe bislang einfach keine Gelegenheit gehabt, eine vorzügliche Defensive unter Beweis zu stellen, da ihm kein Gegner wirklich gefährlich geworden sei.

Er habe Curtis Stevens bestraft und mit Marco Antonio Rubio kurzen Prozeß gemacht. Martin Murray und Willie Monroe hätten ihn weniger interessiert, was man in den jeweiligen Kämpfen gesehen habe, so Sanchez. David Lemieux, der seinerseits unablässig angreift und Druck zu machen versucht, werde Gennadi sicher motivieren, stets auf der Hut zu sein und nicht lockerzulassen. Er hoffe jedenfalls, daß sich sein Schützling der vollen Bedeutung dieses Kampfs bewußt ist, der gewissermaßen eine Weichenstellung für die Zukunft sei. Wie er mit Lemieux umgehe, habe maßgeblichen Einfluß auf seine künftigen Kämpfe und Börsen. [1]

Einen Kampf gegen Andre Ward im Supermittelgewicht hält Abel Sanchez hingegen für unproduktiv. Selbst wenn Gennadi Golowkin in die höhere Gewichtsklasse aufstiege und sich gegen Ward durchsetzen könnte, böten sich ihm dort keine weiteren attraktiven Optionen, sich mit namhaften Gegnern zu messen, zumal Carl Froch und Mikkel Kessler ihre Karriere beendet haben. Überdies würde sich der Kasache mit einem solchen Manöver noch weiter von Floyd Mayweather entfernen.

Diese Einschätzung ist nicht von der Hand zu weisen, da mit Gegnern wie James DeGale, George Groves, Arthur Abraham oder Badou Jack kein Geld in den USA zu verdienen wäre. Golowkin, der beim Kampf gegen David Lemieux, der von HBO übertragen wird, erstmals im Bezahlfernsehen auftritt, könnte sich bei einem Duell mit Ward auch in Hinblick auf die Zuschauerzahlen kaum verbessern, da der WBA-Superchampion aus Oakland keine große Fangemeinde aufzubieten hat. Ein Wechsel ins Supermittelgewicht wäre folglich eine Sackgasse für Golowkin, aus der er sich umgehend wieder zurückziehen müßte. Wie Sanchez weiter erklärt, hätten sich die Verhältnisse längst umgekehrt. Andre Ward habe an Bedeutung verloren und überschätze seine aktuelle Rolle in der Branche. Er sei nach wie vor ein großartiger Boxer, aber längst keine Zugnummer mehr. Ward brauche Golowkin, aber Golowkin brauche Ward nicht.

Seit dem Gewinn des Super-Six-Turniers vor vier Jahren, durch den er zum führenden Akteur seiner Gewichtsklasse aufstieg, hat Andre Ward mit einer Durststrecke zu kämpfen. Lange Verletzungspausen und Streitigkeiten mit seinem damaligen Promoter führten dazu, daß er nur wenige Kämpfe austrug und aus dem Fokus der öffentlichen Wahrnehmung verschwand. Er ist zwar nach wie vor ungeschlagen und wird von Experten zu den weltbesten Boxern gezählt, traf aber zuletzt auf den Briten Paul Smith, der zuvor zweimal gegen Arthur Abraham den kürzeren gezogen hatte. Ward könnte im Vorprogramm des Duells zwischen Miguel Cotto und Saul Alvarez am 21. November auftreten, doch machen Gerüchte die Runde, er habe sich bereits mit Marco Antonio Periban einen Gegner ausgesucht, der nicht einmal in den Top 15 der WBA-Rangliste auftaucht und kürzlich gegen James DeGale den kürzeren zog. Ob der Verband diesem Gegner zustimmt, ist ungewiß, doch könnte Ward natürlich wie schon gegen Paul Smith in einem Nichttitelkampf gegen Periban antreten. Da er jedoch seinen Titel seit 2013 nicht mehr verteidigt hat, droht ihm dessen Aberkennung durch die WBA.

Davon abgesehen ist Andre Ward zwar ein erfolgreicher, aber nichtsdestoweniger unattraktiv boxender Champion. Er bevorzugt die Nähe zum Gegner, klammert viel und neigt zu Ringergriffen, so daß seine Auftritte mitunter an ein Handgemenge der Mixed Martial Arts im Stehen erinnern. Der Nordkalifornier ist kein Publikumsmagnet und wird es auch wohl nie mehr werden, weshalb Golowkin die Fans mobilisieren müßte, um für eine halbwegs achtbare Quote zu sorgen. Schon jetzt wäre eine je zur Hälfte geteilte Gesamtbörse ein Geschenk an Ward, und dieses Ungleichgewicht wird sich in Zukunft weiter verschärfen. [2]


Fußnoten:

[1] http://espn.go.com/blog/boxing/post/_/id/5659/trainer-we-havent-seen-the-best-of-golovkin-yet

[2] http://www.boxingnews24.com/2015/08/sanchez-sees-golovkin-vs-ward-fight-as-a-dead-end-for-ggg/#more-197840

22. August 2015


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