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MELDUNG/1884: Kreisverkehr im Niemandsland (SB)



Dereck Chisora macht kurzen Prozeß mit Andras Csomor

Der britische Schwergewichtler Dereck Chisora hat sich in Offenburg bereits in der zweiten Runde gegen den sichtlich überforderten Andras Csomor durchgesetzt. Damit baute der 32jährige Londoner seine Bilanz auf 25 gewonnene und fünf verlorene Kämpfe aus, während für den fünf Jahre jüngeren Ungarn nun vierzehn Siege, neun Niederlagen sowie ein Unentschieden zu Buche stehen.

In der ersten Runde lieferten die Kontrahenten einander volle drei Minuten lang einen unablässigen Schlagabtausch, in dessen Verlauf der Brite häufig mit seinem steifen Jab und mehrmals mit rechten Schwingern zum Zuge kam. Csomor revanchierte sich kurz vor der Pause mit einer schulbuchmäßigen Kombination, die Chisora nur deswegen kaum beeindrucken konnte, weil sich die Schlagwirkung seines Gegners offensichtlich in Grenzen hielt.

Der Favorit ging indessen aggressiver zu Werke und schien zudem Reichweitenvorteile ins Feld zu führen, obgleich die Kontrahenten gleich groß waren. Vor allem aber konnte der beim offiziellen Wiegen gut 15 kg schwerere Chisora mit einer Masse aufwarten, die Csomor vollends ins Hintertreffen brachte. In der zweiten Runde kam der Londoner dicht am Gegner mit einer Rechten zum Kopf durch, die Csomor auf wackeligen Beinen bis an die Seile zurückstolpern ließ. Sofort ging Ringrichter Holger Wiemann dazwischen und brach den Kampf nach 2:08 Minuten des Durchgangs ab, um den Ungarn vor Schlimmerem zu bewahren, der damit nach zwei Siegen in seinen vorangegangenen Auftritten wieder eine Niederlage hinnehmen mußte. [1]

In der Vergangenheit hatte Dereck Chisora mit einer Reihe namhafter Gegner im Ring gestanden, aber jedesmal den kürzeren gezogen. Im Jahr 2007 mußte er sich in einem Kampf um den britischen und den Commonwealth-Titel seinem Landsmann Tyson Fury geschlagen geben. Anfang Dezember 2011 traf er in Helsinki auf den Finnen Robert Helenius, der sich knapp und umstritten nach Punkten durchsetzte. Auch gegen den damaligen WBC-Weltmeister Vitali Klitschko sah Chisora 2012 kein Land. Im darauffolgenden Jahr unterlag er David Haye und bei der Revanche gegen Fury im November 2014 gelang es ihm nicht, sich für die Herausforderung Wladimir Klitschkos zu qualifizieren. [2]

Kurz nach der Trennung von seinem langjährigen Promoter Frank Warren unterschrieb der Londoner Anfang Dezember einen Vertrag bei Sauerland Event. Wie es dort anläßlich der Begrüßung des Neuzugangs hieß, werde Chisora in einer Schwergewichtsszene, die endlich wieder in Bewegung gekommen und aufregend geworden sei, ein gehöriges Wort mitzureden haben. Der Brite habe im Jahr 2016 gute Aussichten, sich erneut für Titelkämpfe zu empfehlen. Unter der Regie seines neuen Promoters hat Chisora binnen 35 Tagen bereits drei schnelle Siege über relativ schwache Aufbaugegner erzielt. Seit der zweiten Niederlage gegen seinen hünenhaften Landsmann Tyson Fury, der ihn in der zehnten Runde besiegte, konnte er fünf Auftritte in Folge für sich entschieden. Allerdings traf er dabei mit Beka Lobjanidze, Marcelo Luiz Nascimento, Peter Erdos, Jakov Gospic und nun Andras Csomor auf Widersacher, deren Namen zumeist nur Statistikern und Archivaren des Boxsports etwas sagen dürften.

Mit diesen Erfolgen hat sich Dereck Chisora dennoch wieder ins Gespräch gebracht und könnte bereits im nächsten Schritt entweder den amtierenden Europameister Robert Helenius oder den Britischen und Commonwealthchampion Anthony Joshua vor die Fäuste bekommen. Bei seiner knappen Niederlage gegen den Finnen im Jahr 2011 hatte der Brite mit einem Gegner im Ring gestanden, der aufgrund einer Verletzung praktisch einarmig kämpfen mußte. Sollte Chisora erneut auf den hochgewachsenen Skandinavier treffen, sähe es schlecht für den Londoner aus.

Ein Kampf gegen Anthony Joshua würde Chisora höhere Einkünfte bescheren, doch dürfte Promoter Eddie Hearn kaum geneigt sein, dieser Option den Zuschlag zu geben. Da der Londoner bereits zweimal gegen Tyson Fury verloren hat, stünde für den aufstrebenden Joshua selbst im Falle eines frühzeitigen Sieges kaum ein Zugewinn an Reputation in Aussicht. Die Strategie, Dereck Chisora lediglich mit Kanonenfutter zu versorgen, um seiner Karriere wieder auf die Sprünge zu helfen, ist zwar in ihrem Kalkül durchaus nachvollziehbar, führt aber nicht wirklich weiter. Früher oder später muß sich der Brite wieder mit einem gefährlicheren Gegner auseinandersetzen und damit unter Beweis stellen, daß mit ihm zu rechnen ist.

Man fühlt sich zwangsläufig an David Price erinnert, der ebenfalls bei Sauerland Event unterschrieben hatte und dann mit mehr oder minder namenlosen Kontrahenten zusammengeführt wurde, bis die drängende Frage im Raum stand, wo der früher als aufstrebendes Talent gehandelte Brite abgeblieben war. Als Ausweg aus diesem Dilemma schien sich schließlich ein Kampf gegen Erkan Teper um die vakante Europameisterschaft anzubieten. Bei diesem Duell am 17. Juli 2015 in Ludwigsburg ging Price jedoch regelrecht unter und lag bereits in der zweiten Runde geschlagen am Boden. Zwar wurde Teper nach diesem Duell positiv auf eine verbotene Substanz getestet und mit einer Sperre belegt, doch konnte von einer nachträglichen Rehabilitation des Briten keine Rede sein.

Wenngleich man diese Parallele nicht überstrapazieren sollte, ist doch die Folgerung nicht von der Hand zu weisen, daß auch im Falle Dereck Chisoras ein Wiederaufbau mit Kämpfen gegen zunehmend stärkere Gegner substantieller als ein fortwährendes Kreisen im Niemandsland leichter, aber kaum weiterführender Siege über namenlose Kontrahenten wäre.


Fußnoten:

[1] http://www.boxingnews24.com/2016/01/chisora-defeats-csomor/#more-203876

[2] http://espn.go.com/boxing/story/_/id/14547447/dereck-chisora-wins-again-looks-title-fight

12. Januar 2016


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