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MELDUNG/1886: Sprungbrett zur Wiederkehr (SB)



Dillian Whyte fordert seinen Landsmann Dereck Chisora zum Kampf

In einem Prestigeduell zweier aufstrebender britischer Schwergewichtler, das im Dezember in der Londoner O2 Arena über die Bühne gegangen war, hatte Anthony Joshua die Oberhand behalten und seine Bilanz auf 15 vorzeitig gewonnene Kämpfe ausgebaut. Sein Widersacher Dillian Whyte mußte sich in der siebten Runde geschlagen geben und dabei nach 16 Siegen die erste Niederlage hinnehmen. Was auf den ersten Blick wie eine klare Standortbestimmung der beiden Boxer anmuten mochte, mußte wenig später relativiert werden, als eine Schulterverletzung Whytes bestätigt wurde, die eine Operation nach sich zog.

Bereits in seinem vorangegangenen Kampf gegen Brian Minto am 12. September hatte der gebürtige Jamaikaner über Probleme am linken Schultergelenk geklagt, die ihn zwangen, den Gegner einarmig in die Schranken zu weisen. Der 27jährige berichtete hinterher von der Verletzung, zeigte sich aber zuversichtlich, daß diese Einschränkung dem Duell mit Anthony Joshua am 12. Dezember nicht im Wege stehen werde. Da nur drei Monate zwischen diesen beiden Auftritten lagen, mußte Whyte das Training sofort wieder aufnehmen, so daß selbst die vage Hoffnung, die Beschwerden durch eine Erholungspause nachhaltig zu lindern, von vornherein zunichte wurde.

Als er dann Joshua gegenüberstand, machte dieser in der ersten Runde die bessere Figur, doch kam Whyte im zweiten Durchgang mit einem wuchtigen linken Haken durch, der als seine gefährlichste Waffe gilt und den Gegner sichtlich in Mitleidenschaft zog. Nach diesem Treffer machte sich jedoch Whytes Schulterverletzung derart bemerkbar, daß er nicht einmal mehr einen vernünftigen Jab schlagen und nur noch den rechten Arm uneingeschränkt bewegen konnte. Wie er berichtete, habe ihm sein Trainer in der vierten Runde zur Aufgabe geraten. Das habe er jedoch mit dem Hinweis abgelehnt, er sei ein Krieger. Heute sei er sich sicher, daß er ohne diese Einschränkung Anthony Joshua in der zweiten oder spätestens in der dritten Runde auf die Bretter geschickt hätte.

Rückblickend gesehen hatte sich Dillian Whyte einen Bärendienst erwiesen, als er den Kampf gegen seinen Erzrivalen trotz der Verletzung nicht absagte und selbst dann nicht auf seinem Hocker sitzenblieb, als ihm die Felle endgültig davongeschwommen waren. Eine Lehre aus dieser Malaise könnte sein, künftig professioneller zu Werke zu gehen und seinem Gegner nicht durch eine unzureichende körperliche Verfassung in die Hände zu spielen. Das gilt freilich auch in konditioneller Hinsicht, da Whyte noch schneller als Joshua die Luft ausging.

Wie er dennoch geltend macht, schlage Joshua längst nicht so wirkungsvoll, wie das weithin unterstellt werde, und sei keineswegs in der Lage, mit einem einzigen Volltreffer die Entscheidung herbeizuführen. Zudem sei er erstaunlich langsam und sehr leicht zu treffen. Mit dieser Einschätzung dürfte Whyte nicht falsch liegen, da Kritiker Joshuas eben diese Schwächen monieren und ihn für überbewertet halten. Daß der 26jährige Brite dennoch alle bisherigen Kämpfe binnen weniger Runden gewonnen hat, lag zum einen an ausgesucht schwachen oder alternden Gegnern. Zum anderen walzte er sie mit seiner Masse nieder und schlug so lange auf sie ein, bis sie sich nicht mehr wehren konnten. [1]

Um seiner Karriere nach dieser Niederlage sofort wieder auf die Sprünge zu helfen, ist Dillian Whyte darauf verfallen, seinem Landsmann Dereck Chisora eine Kampfansage zu machen. Anfängliche Zweifel, ob dieses Angebot nicht auf taube Ohren stoßen würde, verflogen rasch, da sich der frühere Titelaspirant sofort einverstanden erklärte: Er sei unbedingt dafür und bereit, jederzeit gegen Whyte anzutreten. Ob Chisoras Promoter Sauerland Event glücklich über diese Wendung ist und dieser Option seinen Segen gibt, steht freilich auf einem anderen Blatt.

Dereck Chisora ist nämlich einer der Kandidaten für einen Kampf gegen Anthony Joshua am 9. April in der Londoner O2 Arena und zugleich ein möglicher Herausforderer des amtierenden Europameisters Robert Helenius aus Finnland, gegen den er Anfang Dezember 2011 umstritten nach Punkten verloren hatte. Sollte Joshuas Wahl nicht auf Chisora fallen, könnte dieser ersatzweise mit einem Kampf gegen Whyte viel Geld verdienen, sofern die Vermarktung frühzeitig in Angriff genommen wird.

Attraktiv wäre dieser Kampf allemal, da Whyte vielfach als jüngere und stärkere Version Dereck Chisoras beschrieben wird. Er ist sechs Zentimeter größer und schlägt erheblich wirkungsvoller zu, dürfte dem 32jährigen allerdings an Erfahrung und womöglich auch konditionell unterlegen sein. Sollte es Ende Mai oder Anfang Juni tatsächlich zu diesem Kampf kommen, müßte Chisora schon über sich hinauswachsen, will er einem gesunden Dillian Whyte das Wasser reichen.

Whyte schlägt härter zu als Tyson Fury, gegen den Chisora zweimal verloren hat. Dieser unterlag 2012 auch dem wegen einer Verletzung einarmig kämpfenden Vitali Klitschko und zog 2012 gegen David Haye den kürzeren, der ihn in der fünften Runde auf die Bretter schickte. Seit der letzten Niederlage gegen Fury im November 2014 hat Dereck Chisora fünf Kämpfe gegen allenfalls zweitklassige Gegner gewonnen. Sollte Sauerland das Risiko eingehen, eine Etage höher anzusetzen und dem Angebot Dillian Whytes zu entsprechen, wäre ein turbulenter und spannender Kampf zweier Schwergewichtler zu erwarten, der kaum über die volle Distanz gehen würde. [2]


Fußnoten:

[1] http://www.boxingnews24.com/2016/01/203935/#more-203935

[2] http://www.boxingnews24.com/2016/01/dillian-whyte-vs-dereck-chisora-possible-may-june/#more-203942

14. Januar 2016


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