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MELDUNG/1911: Zwei Glückspilze auf Kollisionskurs (SB)



Charles Martin verteidigt IBF-Titel gegen Anthony Joshua

Charles Martin verteidigt seinen kürzlich gewonnenen IBF-Titel im Schwergewicht am 9. April in der Londoner O2 Arena gegen Anthony Joshua. Wie dessen Promoter Eddie Hearn dazu erklärt, gehe es im Leben nun einmal darum, gebotene Chancen zu nutzen. Mit der Gelegenheit vor Augen, Schwergewichtsweltmeister zu werden, habe es für Joshua kein Halten gegeben. Er wolle seinen Fans etwas Außergewöhnliches bieten und in die höchsten Ränge aufsteigen. Wenngleich die Entscheidungsfindung in seinem Team etwa eine Woche gedauert habe, sei deren Ergebnis doch aus seiner Sicht absehbar gewesen, so Hearn.

Der 29jährige Charles Martin aus Carson, Kalifornien, ist 196 m groß und bringt rund 112 kg auf die Waage. Seine Bilanz weist 23 Siege sowie ein Unentschieden auf, wobei der in der Rechtsauslage boxende Champion seit seinem Profidebüt Ende 2012 noch keinen namhaften Gegner vor den Fäusten hatte. Einzige Ausnahme war der ungeschlagene Ukrainer Wjatscheslaw Hlaskow, mit dem er am 16. Januar im Barclays Center in Brooklyn um den vakanten IBF-Titel kämpfte. In den ersten beiden Runden passierte nicht viel, doch als Martin im dritten Durchgang Druck machte, rutschte Hlaskow aus und zog sich dabei eine schwere Knieverletzung zu, so daß der Kampf abgebrochen werden mußte. Da der Kalifornier mithin durch eine Reihe für ihn glücklicher Umstände zum Weltmeister aufgestiegen ist, muß sich erst noch erweisen, wie gut er tatsächlich ist.

Anthony Joshua, der in Watford lebt, ist 26 Jahre alt und in 15 Kämpfen ungeschlagen. Er ist noch zwei Zentimeter größer als sein Gegner und genauso schwer wie dieser. Bei den Olympischen Spielen 2012 in London gewann Joshua die Goldmedaille im Superschwergewicht, wobei Kritiker geltend machten, daß ihm in mindestens zwei seiner vier Kämpfe des Turniers der Sieg geschenkt worden sei. Dessen ungeachtet war der Olympiasieg im eigenen Land ein Türöffner für seine Ende 2013 aufgenommene Profikarriere, bei der er mit Vorschußlorbeeren überhäuft wurde. Er hat bislang alle Gegner vorzeitig besiegt und nur 32 Runden als Profi im Ring gestanden, zuletzt sieben im Duell mit seinem britischen Rivalen Dillian Whyte. Ende der zweiten Runde sah es schlecht für ihn aus, doch hatte sich eine Schulterverletzung Whytes derart verschlimmert, daß Joshua das Blatt wenden konnte. [1]

Somit treffen im kommenden Titelkampf zwei Boxer aufeinander, deren Bewährungsprobe auf höchstem Niveau noch aussteht. Dessen ungeachtet ruft das Spektakel beim britischen Publikum allergrößtes Interesse wach und wird wie schon der Kampf gegen Whyte von Sky Box Office im Pay-TV übertragen, während in den USA höchstwahrscheinlich der Sender Showtime mit von der Partie ist.

Obgleich es ihm noch an Erfahrung fehlt und ein Kampf um die Weltmeisterschaft eigentlich zu einem späteren Zeitpunkt vorgesehen war, fühlt sich Joshua bereit für den großen Wurf. Es sei ein Privileg, seinen langjährigen Traum in die Tat umzusetzen, und dies sogar vor heimischem Publikum in London. Charles Martin sei ein großartiger Boxer und ehrgeiziger Kontrahent, den zu besiegen eine außergewöhnliche Leistung erfordere.

Wie der Champion aus den USA unterstreicht, habe er sich für seine erste Titelverteidigung den bestmöglichen Herausforderer gewünscht. Er werde nach England reisen und dort eindrucksvoll demonstrieren, daß er der führende Schwergewichtler der Welt sei und ihm niemand den Gürtel abnehmen könne. Wenngleich er Anthony Joshua respektiere, werde der Brite doch am 9. April geschlagen auf den Brettern landen. [2]

Was sich die Kontrahenten von diesem Duell versprechen und welche jeweils spezifischen Risiken sie dafür eingehen, ist nicht schwer zu entschlüsseln. Daß Martin als amtierender Weltmeister im Ausland antritt, dürfte zum einen auf eine ansehnliche Börse zurückzuführen sein, mit der ihn Eddie Hearn nach London lockt. Zum anderen gilt Joshua zumindest unter US-amerikanischen Experten als überbewerteter Boxer, den man bislang mit relativ schwachen oder alternden Gegnern gefüttert hat. Gelänge es dem Kalifornier, sich in diesem Kampf durchzusetzen, wäre dies zudem ein gewichtiges Argument gegen kursierende Einschätzungen, er sei lediglich ein Champion zweiter Garnitur.

Anthony Joshua, für den ein Kampf um die Weltmeisterschaft im Grunde zu früh kommt, greift dennoch in der Erwartung zu, sich auf einem vergleichsweise einfachen Weg den hochwertigen Titel zu sichern. Charles Martin wird deutlich schwächer als der WBC-Weltmeister Deontay Wilder und wohl auch Tyson Fury eingeschätzt, der sich zudem noch einmal mit Wladimir Klitschko auseinandersetzen muß. Hätte Joshua diese Gelegenheit ausgeschlagen, böte sich ihm die nächste Titelchance aller Voraussicht nach erst viel später und wohl auch unter ungünstigeren Umständen. Glückte ihm im April der große Wurf, könnte er alle Einwände hinsichtlich der Qualität seiner bisherigen Gegner vergessen machen.

Bei seinem Auftritt in London muß Charles Martin auf der Hut sein, nicht der Verfahrensweise zum Opfer zu fallen, mit der Joshua seine Kämpfe frühzeitig für sich zu entscheiden pflegt. Er drängt seinen Gegner in die Seile und schlägt dort solange auf ihn ein, bis der Ringrichter dazwischengeht und den Kampf abbricht. Ein guter Referee würde zunächst prüfen, ob der Kontrahent tatsächlich schwer getroffen und verteidigungsunfähig ist oder lediglich eine heftige, aber wenig wirksame Folge von Schlägen über sich ergehen läßt. Darauf darf der Champion vor dem Publikum des Herausforderers keinesfalls vertrauen, weshalb er gut beraten wäre, sich den Seilen fernzuhalten und Joshua in der Anfangsphase nicht gewähren zu lassen.

Man sagt dem Briten, der eher wie ein Bodybuilder als ein Boxer wirkt, angesichts seiner überbordenden Muskelmasse Konditionsprobleme nach. Er hat noch nie länger als die sieben Runden gegen den verletzten Dillian Whyte gekämpft, wobei er den Eindruck machte, als ginge ihm bereits nach zwei Durchgängen die Luft aus. Hingegen scheint Charles Martin konditionell robuster zu sein und reichlich einstecken zu können. Übersteht der Weltmeister die ersten drei Runden, ohne sich von Joshua einschüchtern zu lassen, sollte er gute Aussichten haben, die Oberhand zu behalten. [3]


Fußnoten:

[1] http://espn.go.com/boxing/story/_/id/14777048/top-heavyweight-prospect-anthony-joshua-fight-charles-martin-world-title

[2] http://www.boxingnews24.com/2016/02/charles-martin-im-coming-uk-make-statement/#more-205407

[3] http://www.boxingnews24.com/2016/02/anthony-joshua-to-fight-charles-martin-on-april-9-breaking-news/#more-205401

16. Februar 2016


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