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MELDUNG/1980: Kongenial in Wort und Tat (SB)



Was Shannon Briggs und David Haye gemeinsam haben

Wenngleich noch keinerlei Vereinbarungen hinsichtlich ihres Kampfs getroffen sind, verkündet Shannon Briggs bereits, wie er David Haye zur Strecke bringen will. Der frühere WBO-Weltmeister im Schwergewicht hat ihr mutmaßliches Duell im Herbst erfolgreich herbeigeredet und verkündet nun, daß der Brite als Boxer am Ende sei und die erste Runde nicht überstehen werde. Dabei haben die Kontrahenten sehr viel mehr gemeinsam, als sich auf den ersten Blick erschließt. Auch Haye war in der Vergangenheit Champion und führte damals vor, wie man durch fortgesetzte Provokationen des Wunschgegners eine Dauerpräsenz in der medialen Wahrnehmung erwirtschaftet und am Ende tatsächlich den spektakulären Kampf bekommt, den man unbedingt haben will. Wenngleich der Brite seinerzeit sang- und klanglos gegen Wladimir Klitschko unterging, konnte er dabei doch eine riesige Börse einstreichen, die alles in den Schatten stellte, was andere Herausforderer des Ukrainers bekamen. Damit nicht genug, brach David Haye später eine Fehde mit seinem Landsmann Dereck Chisora vom Zaun, die in ein hochdotiertes Duell vor heimischem Publikum mündete.

Briggs hätte den Kampf gegen Vitali Klitschko wohl nie bekommen, wäre er von unscheinbarem Wesen und ausschließlich auf sein sportliches Können bedacht. Auch er setzte sich im Vorfeld gewaltig in Szene und zog den kürzeren, als es im Ring zur Sache ging. Der US-Amerikaner ist jedoch seither zumindest in Deutschland so populär, daß er sich fortan an die Fersen der Klitschkos heften und damit immer wieder Aufmerksamkeit erregen konnte. Da Vitali absehbar nicht mehr zur Verfügung stand, betätigte sich der US-Amerikaner als Stalker Wladimirs, den er in diversen inszenierten Auftritten vor Kämpfen, im Training und sogar bei Restaurantbesuchen vor laufender Kamera belästigte. Als sich abzeichnete, daß auch der jüngere Klitschko für geraume Zeit ausgebucht war, verlegte sich Briggs auf die britische Szene, wo er alles und jeden herausforderte, sich mit ihm zu messen.

Die Weltmeister Tyson Fury und Anthony Joshua, das lag auf der Hand, hatten Besseres vor, als sich sofort mit Shannon Briggs zu befassen, der daraufhin zu David Haye umschwenkte und sofort auf Gegenliebe stieß. Beide würden gern noch einmal um einen Titel kämpfen, den sie auf regulärem Weg unmöglich erreichen können, sofern es so etwas im zeitgenössischen Boxgeschäft überhaupt gibt. Gegeneinander anzutreten ist zwar erheblich riskanter, als weiterhin schwache Gegner auf die Bretter zu schicken, wie es die beiden seit einiger Zeit praktizieren. Andererseits müssen sie einen Zahn zulegen, wollen sie sich für einen Kampf mit einem Champion empfehlen. Man kann wohl davon ausgehen, daß beide der Auffassung sind, im jeweils anderen den prominentesten und zugleich schwächsten Kontrahenten vor die Fäuste zu bekommen, der in dieser Kombination gegenwärtig zu haben ist.

Shannon Briggs, für den 60 Siege, sechs Niederlagen sowie ein Unentschieden zu Buche stehen, ist mit 44 Jahren erheblich älter als der 35jährige Brite, dessen Bilanz 28 gewonnene und zwei verlorene Auftritte zieren. Dennoch scheint der US-Amerikaner in besserer körperlicher Verfassung als Haye zu sein, der dem Ring vier Jahre lang ferngeblieben war und seit seiner Rückkehr mit dem Kampfgewicht experimentiert, was ihm konditionell nicht allzu gut zu bekommen scheint. Bei seinem jüngsten Auftritt am 21. Mai schickte er seinen weithin unbekannten Kontrahenten Arnold Gjergjaj zwar frühzeitig zu Boden, doch schien ihm bereits nach zwei Minuten die Luft auszugehen.

Shannon Briggs hatte eingewilligt, im Vorprogramm anzutreten, sofern Haye ihm einen Kampf im Herbst zusagte. Der US-Amerikaner erfüllte seinen Part der Pflichtübung und machte kurzen Prozeß mit Emilio Esquiel Zarate, der die erste Runde nicht überstand. Briggs und Haye machten ihre Sache also gut, was jedoch angesichts ihrer schwachen Gegner nicht viel besagen will. Wenn sie im Ring aufeinandertreffen, ist jeder von beiden in der Lage, den anderen auf die Bretter zu schicken, da sie eine beträchtliche Schlagwirkung ins Feld führen können. Haye ist etwas schneller, doch hat sich Briggs seit geraumer Zeit auf Körpertreffer spezialisiert, mit denen er die Gegner seit seinem Comeback im Jahr 2014 durch die Bank frühzeitig ausschalten konnte. Zudem ist der US-Amerikaner erheblich schwerer, was der Brite unmöglich kompensieren kann, selbst wenn er weiter Gewicht macht.

Briggs ist mit 1,93 m zwar nur zwei Zentimeter größer als Haye, bringt aber seit 16 Jahren in etwa dasselbe Gewicht von knapp 120 kg auf die Waage. Hingegen wog der Brite bei seinen früheren Kämpfen deutlich unter 100 kg und hat erst in jüngerer Zeit sichtlich zugelegt, wobei sein Erscheinungsbild inzwischen an einen Bodybuilder erinnert. Ob er diesen Gewichtszuwachs effektiv umsetzen kann und insbesondere nicht an Schnelligkeit einbüßt, für die er einst bekannt war, muß mit einem Fragezeichen versehen werden. Kopftreffer verkraftet der Brite erfahrungsgemäß recht gut, doch da Briggs auch in seinem Fall häufig mit voller Wucht zum Körper schlagen wird, dürfte es eng für David Haye werden. Sollte er gegen Shannon Briggs klar den kürzeren ziehen, ist eine Herausforderung des IBF-Weltmeisters Anthony Joshua für ihn höchstwahrscheinlich gestorben. [1]


Fußnote:

[1] http://www.boxingnews24.com/2016/06/shannon-briggs-david-haye-shot/#more-211844

15. Juni 2016


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