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MELDUNG/1986: Ein flüchtiger Versuchsballon (SB)



David Price bringt sich als Gegner Anthony Joshuas ins Gespräch

Als sich David Price am 29. Mai nach gut einjähriger Pause im Ring zurückmeldete, machte er mit Vaclav Pejsar kurzen Prozeß. Im Vorprogramm des Kampfs zwischen Tony Bellew und Ilunga Makabu, der im Goodison Park in Liverpool ausgetragen wurde, schickte der britische Schwergewichtler seinen Gegner bereits in der zweiten Runde auf die Bretter. Was auf den ersten Blick wie ein gelungenes Comeback aussehen mochte, erwies sich bei näherem Augenschein als ein Auftritt, der erhebliche Zweifel an der Verfassung des haushohen Favoriten wachrief.

Zum einen brachte der 2,03 m große Price rund 123 kg auf die Waage, womit er zehn Kilo schwerer als bei seinem vorangegangenen Kampf war. Zum anderen traf er auf einen drittklassigen Gegner, der ihn dennoch beherzt angriff und mehrfach mit linken Haken wie auch rechten Geraden traktierte. Zweimal wurde der Brite sogar in die Seile getrieben, wo er hinter seiner Deckung verschanzt die Schläge des Kontrahenten über sich ergehen ließ. Price, der noch nie besonders schnell schlagen konnte, wirkte noch langsamer und behäbiger als bei früheren Auftritten, so daß er von Pejsar ausmanövriert wurde. Daß sich der krasse Außenseiter dennoch frühzeitig geschlagen geben mußte, war nicht zuletzt auf seine körperliche Unterlegenheit zurückzuführen.

Während der 32jährige Price seine Bilanz auf 20 Siege und drei Niederlagen ausbaute, zeugen die neun gewonnenen und drei verlorenen Kämpfe Vaclav Pejsars von dessen Unerfahrenheit und begrenzten Qualitäten, die ihn als relativ schwachen Aufbaugegner ausweisen. Obgleich diese Darbietung also nicht gerade ein Ruhmesblatt für den hünenhaften Briten war, äußerte er nach seinem leichten Erfolg den Wunsch, sich noch in diesem Jahr mit seinem prominenten Landsmann Anthony Joshua zu messen, dem Weltmeister des Verbands IBF.

Für einen Boxer seiner Statur und seines Werdegangs, der seine Gegner mit beiden Händen auf die Bretter schicken könne, gebe es definitiv einen Platz in der aktuellen Schwergewichtsszene, so Price. Er fühle sich auf ganzer Linie betrogen, da einige seiner Gegner zu Dopingmitteln gegriffen hätten und die betreffenden Kämpfe ohne den Einsatz verbotener Substanzen möglicherweise anders ausgegangen wären. Jedenfalls habe er noch immer viel zu bieten, und da ihn die IBF wieder unter den Top 15 ihrer Rangliste führe, käme er für eine diesjährige Titelverteidigung Anthony Joshuas in Frage. Unter diesen Kandidaten könne er niemand anderen seines Formats erkennen, wobei Joshua wahrscheinlich der Meinung wäre, daß dies eine leicht lösbare Aufgabe sei. Tatsächlich handelte es sich jedoch um ein Duell zweier Akteure, die bei Olympischen Spielen Edelmetall gewonnen haben. Realistischerweise müsse er aber zuvor noch einige Kämpfe bestreiten, um in Schwung zu bleiben und sich ins Gespräch zu bringen. Die letztendliche Entscheidung liege natürlich nicht in seinen Händen, sondern werde im Lager des Weltmeisters getroffen.

Daß David Price auf die Idee kommt, sich als Herausforderer seines erfolgreichen Landsmanns zu empfehlen, kann insofern nicht überraschen, als dies seine einzige Chance wäre, zeitnah um einen Titel zu kämpfen und dabei Kasse zu machen. Mit diesem Ansinnen steht er freilich nicht allein, da sich mehrere britische Schwergewichtler Hoffnungen machen, von Joshua ausgewählt zu werden. Gemessen an den Leistungen in jüngerer Zeit und dem derzeitigen Bekanntheitsgrad müßte sich Price im Grunde hinten anstellen, da er zwischenzeitlich aus der Wahrnehmung der Szene verschwunden war und gerade erst dabei ist, wieder Tritt zu fassen.

Da Price innerhalb eines Jahres nur einen einzigen Kampf bestritten und dabei lediglich den wenig bekannten Vaclav Pejsar besiegt hat, ist nicht nachvollziehbar, warum ihn die IBF daraufhin an Nummer zwölf ihrer Rangliste plaziert hat. Man darf wohl vermuten, daß die traditionelle Zusammenarbeit seines Promoters Sauerland mit diesem Verband dabei eine Rolle gespielt hat. Einmal angenommen, es käme tatsächlich zu einer Titelverteidigung Joshuas gegen Price, stünde ein ähnlicher Verlauf wie das Debakel Audley Harrisons gegen Deontay Wilder in Aussicht.

Gerade deshalb ist die unerfreuliche Möglichkeit nicht restlos auszuschließen, daß Joshuas Promoter Eddie Hearn zumindest in Erwägung zieht, David Price ins Spiel zu bringen. Matchroom könnte diese Option zu einem Spektakel aufbauschen und bei Sky Box Office im Pay-TV vermarkten, was die britischen Fans vermutlich schlucken würden. Hearn hat seinen kostbaren Schwergewichtler sorgsam aufgebaut und stets mit Gegnern versorgt, die Joshua nicht überforderten und binnen weniger Runden am Ende waren. Price könnte in dieses Schema passen, sofern die als Wunschgegner genannten Tyson Fury und Deontay Wilder nicht zur Verfügung stehen.

Andererseits hätte Hearn beim Kampf zwischen Anthony Joshua und Dominic Breazeale am kommenden Samstag David Price wahrscheinlich im Vorprogramm untergebracht, zöge er in Betracht, ihn unter Umständen zum nächsten Herausforderer aufzubauen. Davon abgesehen ist völlig schleierhaft, wie Price jene Reihe von Auftritten absolvieren sollte, die er nach eigener Einschätzung noch vor einem möglichen Titelkampf gegen Joshua Ende des Jahres zu bewältigen hätte. Seine Initiative hat offenbar weder Hand noch Fuß und mutet wie ein Versuchsballon an, der schneller entflogen als in seiner Botschaft entziffert ist. [1]


Fußnote:

[1] http://www.boxingnews24.com/2016/06/david-price-wants-anthony-joshua-fight-2016/#more-212

21. Juni 2016


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