Schattenblick → INFOPOOL → SPORT → BOXEN


MELDUNG/1998: Wie man in den Wald ruft ... (SB)



Antonio Tarver nimmt Dillian Whytes Einladung an

Antonio Tarver hat die Einladung des britischen Schwergewichtlers Dillian Whyte angenommen, gegen ihn anzutreten. Wenngleich der frühere Weltmeister im Halbschwergewicht bereits 47 Jahre alt ist, ginge er doch keineswegs als Außenseiter in diesen Kampf. Aus seiner Sicht wäre dieser Auftritt das Risiko wert, könnte sich ihm doch im Falle des Sieges die Möglichkeit eröffnen, für eine ansehnliche Börse den IBF-Champion Anthony Joshua herauszufordern. Während für den US-Amerikaner 31 Siege, sechs Niederlagen sowie ein Unentschieden zu Buche stehen, hat der 28jährige Whyte 17 Auftritte gewonnen und einen verloren.

Promoter Eddie Hearn, der Anthony Joshua und Dillian Whyte unter Vertrag hat, wäre sicher nicht abgeneigt, nach einer möglichen Niederlage Whytes den in der Rechtsauslage boxenden Veteranen für einen Titelkampf gegen Joshua zu verpflichten, der sich als Rache vermarkten ließe. Allerdings hat sich Tarver nicht definitiv bereiterklärt, bei Whytes nächstem Auftritt am 30. Juli in Leeds mit ihm in den Ring zu steigen, wie auch noch längst nicht feststeht, ob Hearn grünes Licht für diese Option gibt. Der US-Amerikaner ist erfahren, technisch versiert und steht möglicherweise im Training, so daß er in guter körperlicher Verfassung sein könnte, obgleich der Kampf bereits in drei Wochen stattfände.

Einem Dillian Whyte in Bestform wäre ein Sieg über Tarver durchaus zuzutrauen. Wie sich jedoch bei seinem letzten Auftritt am 25. Juni zeigte, ist er nach seiner langen Verletzungspause noch nicht wieder ganz auf dem Damm. Nachdem er in den ersten beiden Runden sporadisch mit der Linken geschlagen hatte, setzte er sie in der Folge lediglich als Jab ein und boxte ansonsten ausschließlich mit der Rechten, als sei die operierte linke Schulter nicht vollständig auskuriert oder nur noch eingeschränkt funktionstüchtig. Das reichte zwar, um Ivica Bacurin vorzeitig zu besiegen, doch ist dieser relativ schwache Aufbaugegner nicht mit Antonio Tarver zu vergleichen. Überdies hatte Whyte beträchtliche Probleme, dem beweglichen Kroaten den Weg abzuschneiden und ihn zu stellen. Auch dies stimmte bedenklich, da er früher für seine überfallartigen Angriffe bekannt war, denen sich seine Gegner selten entziehen konnten.

Whytes Äußerung in einem Interview, er werde Tarver "in Stücke hauen", verhallte jedenfalls nicht ungehört. Wie der US-Amerikaner in einer Replik anmerkte, sei der Brite augenscheinlich von seinem Können überzeugt und sprühe vor Zuversicht. Deshalb habe er beschlossen, nach Großbritannien zu reisen und dort Nägel mit Köpfen zu machen. Sollte Tarver nicht außer Form sein, kann man Whyte nur wünschen, daß es bei einem Gefecht der Worte bleibt. Ließe Hearn diesen Kampf zu, sähe es schlecht für seinen Schwergewichtler aus, der angesichts der Kürze der verbliebenen Zeit kaum wieder im Vollbesitz seiner früheren Mittel und Möglichkeiten wäre.

Whytes gefährlichste Waffe war stets der mit enormer Wucht geschlagene linke Haken, den auszuführen ihm derzeit verwehrt zu sein scheint. Mit einer Hand könnte er einen technisch und taktisch versierten Gegner wie Tarver kaum in die Schranken weisen. Für den Briten ist vordringlich, sich in aller Ruhe körperlich wiederherzustellen und die lädierte linke Schulter Schritt für Schritt zu testen. Weder sollte er sich mit derzeit unlösbaren Aufgaben überfordern noch eine erneute Verletzung riskieren. So verständlich sein Wunsch anmuten mag, möglichst schnell wieder Tritt zu fassen und eine Revanche mit Anthony Joshua einzufordern, solange das Eisen noch halbwegs heiß ist, übersteigt dieses Anliegen doch seine derzeitigen Voraussetzungen. [1]

Wozu Antonio Tarver gut 15 Jahre nach dem Höhepunkt seiner Karriere immer noch fähig ist, unterstrich er im August 2015, als er Steve Cunningham ein Unentschieden abnötigte. Der frühere IBF-Weltmeister im Cruisergewicht hatte damals alle Hände voll zu tun, sich des Veteranen zu erwehren. Daß Cunningham durchaus noch ein Wort mitzureden hat, bestätigte sich im April 2016, als er Krzysztof Glowacki herausforderte, den Sieger über Marco Huck und aktuellen WBO-Champion im Cruisergewicht. Wenngleich der Pole vier Niederschläge erzielte und am Ende nach Punkten gewann, war Cunningham dank seiner versierten Kampfesweise und höheren Schlagfrequenz ansonsten der bessere Boxer.

Man darf wohl annehmen, daß Dillian Whyte vor seiner Verletzung mit Antonio Tarver und Steve Cunningham fertiggeworden wäre, wie er auch Anthony Joshua bei ihrem Kampf im Dezember 2015 bereits am Haken zu haben schien, als ihm die Schulter einen Strich durch die Rechnung machte. Von solchen Aussichten kann vorerst keine Rede mehr sein. Whyte kündigte an, er werde sich in diesem Jahr mit seiner Rehabilitation befassen und an der Kondition arbeiten. Er mache indessen bereits Fortschritte und wolle 2017 um einen Titel kämpfen. Den ersten Satz kann man nur unterstreichen, den zweiten sollte der britische Schwergewichtler vorerst vergessen. [2]


Fußnoten:

[1] http://www.boxingnews24.com/2016/07/tarver-accepts-dillian-whytes-challenge-fight/#more-212913

[2] http://www.boxingnews24.com/2016/07/dillian-whyte-interested-antonio-tarver-fight/#more-212896

7. Juli 2016


Zur Tagesausgabe / Zum Seitenanfang