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MELDUNG/2098: Rekordkulisse im Wembley-Stadion (SB)



Joshua und Klitschko kämpfen vor 90.000 Zuschauern

Der Kampf zwischen Anthony Joshua und Wladimir Klitschko wird am 29. April vor einer Rekordkulisse von 90.000 Zuschauern im Londoner Wembley-Stadion über die Bühne gehen. Der Bürgermeister der Hauptstadt, Sadiq Khan, hat Joshuas Promoter Eddie Hearn die Erlaubnis erteilt, die Kapazität der Großarena um 10.000 Plätze aufzustocken. Auf diese Weise macht er die höchste Zuschauerzahl bei einer britischen Boxveranstaltung seit dem Zweiten Weltkrieg möglich. Wie Khan in seiner Stellungnahme erklärte, könne er es kaum erwarten, dem Kampf des Jahres in London beizuwohnen. Es sei phantastisch, daß dieser Rekord in einer Weltklassearena wie Wembley stattfinden könne.

Der Bürgermeister will außerdem dafür sorgen, daß mehr Züge und U-Bahnen bereitgestellt werden, um den Transport zu dieser Veranstaltung zu bewältigen. Die Verkehrsbetriebe Network Rail und Transport for London haben sich demnach bereiterklärt, an diesem Tag geplante Bauarbeiten ruhen zu lassen und zusätzliche Züge einzusetzen. Wie er selbst hätten auch die Unternehmensleitungen die Bedeutung für die Hauptstadt erkannt, dieses epische Duell der beiden besten Schwergewichtler zu veranstalten, und er freue sich darauf, künftig weitere bedeutende Kämpfe in dieser großartigen Stadt präsentieren zu können, so Khan.

Wie Eddie Hearn hinzufügte, sei die Nachfrage nach Eintrittskarten so phänomenal, daß es möglich gewesen wäre, das Wembley-Stadion zweimal bis auf den letzten Platz zu füllen. Es handle sich zweifellos um den größten Kampf in der Geschichte des britischen Boxsports. Im Jahr 2014 hatte ebenfalls unter Hearns Regie und im Wembley-Stadion die Revanche der beiden Supermittelgewichtler Carl Froch und George Groves 80.000 Zuschauer in seinen Bann geschlagen. Froch gewann damals auch den zweiten Kampf gegen seinen jüngeren Landsmann durch K.o. und beendete mit diesem neuerlichen Triumph seine Karriere, was sich allerdings erst viel später herausstellte.

Der in 18 Auftritten ungeschlagene Anthony Joshua ist IBF-Weltmeister im Schwergewicht und 15 Jahre jünger als der zum Zeitpunkt ihres Kampfs bereits 41jährige Wladimir Klitschko, für den 64 Siege und vier Niederlagen zu Buche stehen. Da auch der Titel der WBA zur Disposition steht, avanciert der Sieger mit zwei Gürteln zum dominierenden Akteur der Königsklasse. Für den Ukrainer wäre das allerdings nichts Neues, stand er doch mehr als neun Jahre lang an der Spitze des Schwergewichts, bis er sich im November 2015 überraschend dem Briten Tyson Fury nach Punkten geschlagen geben mußte. [1]

Den Zuschauerrekord hält in England bislang der Kampf zwischen Len Harvey und Jack McAvoy im Jahr 1939, der ebenfalls vor 90.000 Zuschauern ausgetragen wurde. Die Zahl von 80.000 Menschen beim Kampf zwischen Carl Froch und George Groves mutet auch deswegen so erstaunlich an, weil Groves zwar ein aufstrebender Supermittelgewichtler war, aber im Unterschied zu seinem wesentlich erfahreneren Gegner, der sich als Weltmeister zweier Verbände mit allen namhaften Konkurrenten gemessen hatte, noch nie gegen hochklassige Kontrahenten gewonnen hatte. Wie dieses Beispiel zeigt, spielen keineswegs nur rein sportliche Gesichtspunkte bei einer massenhaften Mobilisierung der beiderseitigen Fangemeinde eine Rolle. Nicht selten sind es über längere Strecken inszenierte Fehden, die maßgeblich dazu beitragen, das Interesse breiterer Kreise des Sportpublikums zu wecken und zu binden.

Der Kampf zwischen Joshua und Klitschko wird in Großbritannien von Sky Box Office im Pay-TV übertragen, so daß niemand darauf verzichten muß, selbst wenn er keine Eintrittskarte mehr bekommen hat oder die riesige Menschenmenge scheut, die sich zum Schauplatz des Geschehens wälzen wird. Für die beiden Boxer und Promoter Eddie Hearn ist das enorme Interesse natürlich ebenso erfreulich wie einträglich. Dabei gehen viele Experten davon aus, daß Klitschko der krasse Außenseiter sei, weil er den Zenit seines Könnens längst überschritten habe, in jüngerer Zeit gealtert wirke und seit der Niederlage gegen Fury nicht mehr im Ring gestanden habe.

Unklar bleibt, warum der Ukrainer keinen Aufbaukampf vorgezogen hat, bevor er es mit Joshua aufzunehmen versucht. Möglicherweise wollte er das Risiko nicht eingehen, an einem weniger namhaften Gegner zu scheitern. Im Grunde genommen hatte er aber auch kaum eine andere Wahl, als sofort wieder nach den Sternen zu greifen, da er trotz aller Kritik an seiner mäßigen Leistung gegen Bryant Jennings und dem katastrophalen Auftritt gegen Tyson Fury noch immer hoch gehandelt wird. Zudem hatte er mit Tyson Fury die Option eines sofortigen Rückkampfs vertraglich vereinbart, die de facto verfiel, als der Brite auf Grund gravierender psychischer Probleme eine Auszeit nehmen mußte und seine Titel zurückgab. Wenngleich Joshua natürlich in keiner Weise an diese Vereinbarung gebunden ist, scheinen es doch viele Boxfans für angemessen zu halten, daß der Ukrainer auf diesem Weg noch einmal eine Titelchance bekommt. [2]

Für Anthony Joshua und seinen Promoter stellt sich die Wahl Klitschkos als ausgesprochener Glücksgriff dar, da die britischen Fans Feuer und Flamme sind. Zugleich kann sich der wesentlich jüngere IBF-Weltmeister Hoffnungen machen, daß der langjährige Alleinherrscher im Schwergewicht seine Dominanz unwiderruflich eingebüßt hat und vergleichsweise leicht zu besiegen ist. Sollte man sich jedoch in Klitschko getäuscht haben und dieser an seine früheren Leistungen anknüpfen können, dürfte es eng für Joshua werden, den sein Promoter mit mehr oder minder handverlesenen Gegnern an die Spitze geführt hat. Wurde der Brite noch vor nicht allzu langer Zeit wegen seines geschenkten Olympiasiegs, seiner muskelgepanzerten Statur und seiner beschränkten boxerischen Möglichkeiten von vielen Experten kritisiert, hat sich inzwischen mehr und mehr eingebürgert, ihm die Attribute eines überragenden Champions zu attestieren.


Fußnoten:

[1] http://www.espn.com/boxing/story/_/id/18563990/anthony-joshua-vs-wladimir-klitschko-set-90000-crowd

[2] http://www.boxingnews24.com/2017/01/joshua-vs-klitschko-90k/#more-225940

28. Januar 2017


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