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MELDUNG/2110: Nemesis macht in Sheffield Station (SB)



Kell Brook verteidigt den IBF-Titel gegen Errol Spence

Kell Brook verteidigt den IBF-Titel am Weltergewicht voraussichtlich am 27. Mai in Sheffield gegen den Pflichtherausforderer Errol Spence. Damit kommt dem Briten, der 36 Auftritte gewonnen und einen verloren hat, vor rund 30.000 Zuschauern der Heimvorteil gegen den in 21 Kämpfen ungeschlagenen Kontrahenten aus den USA zugute. Wie dieser berichtet, habe ihn sein Manager Al Haymon gefragt, ob er bereit sei, sich in England mit dem Champion zu messen. Damit habe er keine Probleme, so der Herausforderer: Er werde dorthin reisen, Brook den Gürtel abnehmen und die Trophäe mit nach Hause nehmen.

Wenngleich die britischen Fans und Experten sicherlich ihrem Favoriten den Zuschlag geben, steht doch zu vermuten, daß Brook einen schweren Stand haben dürfte. Spence wird nicht zu Unrecht als einer der talentiertesten und gefährlichsten Akteure seiner Gewichtsklasse gehandelt, dem die Zukunft gehören könnte. Er pflegt seine Gegner unablässig unter Druck zu setzen und das Tempo zu diktieren, so daß der Brite kaum dazu kommen wird, seine bevorzugte Kampfesweise zu etablieren. Wie schon bei seiner Niederlage gegen Gennadi Golowkin muß er damit rechnen, durch den Ring getrieben zu werden. Spence schlägt einen ausgezeichneten Jab wie auch sehr wirkungsvoll zum Körper, so daß der Weltmeister seine übliche Rezeptur aus Laufen und Klammern kaum durchsetzen kann.

Wenngleich das Publikum den Titelverteidiger frenetisch anfeuern und jede seiner Aktionen bejubeln wird, bekommt er es mit einem Herausforderer zu tun, der alles daransetzen dürfte, die Entscheidung nicht den Punktrichtern zu überlassen. Zudem kann man davon ausgehen, daß es dem Briten nicht leichtfallen wird, in der Vorbereitung genügend Gewicht abzubauen. Er ist im Grunde genommen schon längere Zeit zu schwer für das Weltergewicht und hat seinen letzten Kampf im Mittelgewicht gegen Gennadi Golowkin bestritten, der ihn böse malträtierte. Nach diesem Ausflug ins übernächste Limit ist die Rückkehr in die angestammte Region besonders riskant und geht höchstwahrscheinlich auf die Substanz.

Hinzu kommt nicht zuletzt, daß der Brite in seiner dreizehn Jahre währenden Profilaufbahn mit Shawn Porter und Gennadi Golowkin nur zwei wirklich hochklassige Gegner vor den Fäusten hatte. Der Titelgewinn gegen Porter, den Brook eher erklammert als regulär erkämpft hat, war umstritten, und gegen den Kasachen stand er auf verlorenem Posten. Wenngleich er diverse Auftritte vorzeitig für sich entschieden hat, verfügt er über keine sonderlich ausgeprägte Schlagwirkung. Bei seinen erfolgreichen Titelverteidigungen gegen Jo Jo Dan, Kevin Bizier und Frankie Gavin hatte er es schlichtweg mit relativ schwachen Herausforderern zu tun, die ihm nicht gefährlich werden konnten.

Errol Spence weiß den Champion offenbar recht gut einzuschätzen. Brook neige dazu, den Gegner mit dem Jab zu locken, um ihm dann einen Haken oder Uppercut ebenfalls mit der Linken zu versetzen, so der Herausforderer. Diese Variante funktionierte gegen Golowkin nur ein einziges Mal in der zweiten Runde, worauf der Kasache gewarnt war und nie wieder darauf hereinfiel, obgleich es Brook auch in der Folge ständig versuchte. Spence wird den Weltmeister jagen, bis er nicht mehr weglaufen kann, und ihm schwere Körpertreffer versetzen, wenn er in den Clinch geht. Chris Algieri versuchte mangels anderer Mittel, Spence durch Klammern zu neutralisierten, und wurde dafür mit heftigen Schlägen bestraft. Leonard Bundu hielt solchen Treffern mit Mühe stand, bis ihn ein Uppercut auf die Bretter schickte. Daß es Kell Brook besser ergehen könnte, ist nicht abzusehen. [1]

Warum haben Brook und sein Promoter Eddie Hearn diesen riskanten Kampf überhaupt angenommen? Zum einen konnten sie dem Pflichtherausforderer, der schon geraume Zeit darauf gewartet hat, von seinem Vorrecht Gebrauch zu machen, nicht ewig aus dem Weg gehen. Zum anderen zerschlugen sich die Verhandlungen mit dem Wunschgegner Amir Khan, nachdem dieser den Löwenanteil der Börse verlangt hatte. Khan war nach seiner schweren Niederlage gegen Saul "Canelo" Alvarez und einer inzwischen auskurierten Handverletzung gut beraten, nicht sofort gegen seinen britischen Landsmann anzutreten. Seine absurde Gagenforderung dürfte der Vorwand gewesen sein, die Gespräche platzen zu lassen, ohne sich dem Vorwurf auszusetzen, er habe Angst vor Brook.

Da ein Kampf gegen Amir Khan noch erheblich lukrativer und zugleich etwas leichter gewesen wäre, muß sich Hearn ins Zeug legen, um den Gang mit Spence vom Makel zu befreien, Brook habe ihn im Grunde gar nicht gewollt. So erklärt der Promoter, daß der US-Amerikaner fünfmal so gefährlich wie Amir Khan sei. Da man Brook aber vorgehalten habe, er gehe Spence aus dem Weg, wolle er den Gegenbeweis antreten und seinen Gürtel mit Stolz und in Ehren verteidigen. Das wirft natürlich die Frage auf, was so besonders daran sein soll, daß ein Weltmeister seinen Titel ausnahmsweise gegen einen der gefährlichsten Herausforderer verteidigt. [2]

Brooks Kampf gegen Golowkin mutete zwar ausgesprochen abenteuerlich an, da niemand sonst freiwillig mit dem Kasachen in den Ring steigt, sofern er irgend etwas zu verlieren hat. Bei näherem Hinsehen stellte sich aber heraus, daß sich das Risiko des Briten in Grenzen hielt. Eine vorzeitige Niederlage gegen Golowkin ist keine Schande, sondern seit 2008 der Normalfall bei sämtlichen Auftritten des Kasachen. Zudem konnte der Brite vorhalten, er sei zwei Gewichtsklassen über seinem angestammten Limit angetreten. Daß er beim offiziellen Wiegen schwerer als Golowkin war, dürfte den meisten Fans entgangen sein.

Bereits Ende der ersten oder zu Beginn der zweiten Runde wurde Brook so schwer getroffen, daß er sich eine Fraktur an der Augenhöhle zuzog. Der Brite bewegte sich anfangs geschwind umher und hatte im zweiten Durchgang seine besten Szenen, als er etliche Treffer landen konnte. Golowkin ließ sich davon jedoch nicht im geringsten beeindrucken, sondern machte sich von der dritten Runde an auf die Jagd. In der fünften Runde geriet der Brite derart in Bedrängnis, daß sein Trainer rasch das Handtuch zum Zeichen der Aufgabe warf, um dem drohenden Niederschlag zuvorzukommen. Anschließend behauptete Brook, er habe nur wegen der Augenverletzung und auf Rat seines Trainers den Kampf beenden müssen, den er andernfalls womöglich noch für sich entschieden hätte. Wenngleich diese Geschichte allem widersprach, was man zuvor im Ring gesehen hatte, fiel sie beim britischen Publikum auf fruchtbaren Boden, so daß Kell Brook trotz seiner Niederlage sogar noch an Reputation gewann.

Wie zuvor Gennadi Golowkin wird auch Errol Spence den Briten auf den Boden boxerischer Tatsachen herunterholen, sofern Brook nicht wie durch ein Wunder zwölf Runden übersteht und von einem weiteren fragwürdigen Urteil der Punktrichter gerettet wird. Ganz auszuschließen ist das nicht, da eine tobende Fangemeinde durchaus den Eindruck erwecken kann, der heimische Akteur habe eine dominante Vorstellung gegeben, obgleich er sich über weite Strecken eher als Ringer denn als Boxer betätigt hat. Das weiß natürlich auch der Pflichtherausforderer, der sicher nicht nur deshalb in England antritt, weil er dort sehr viel mehr Geld als in den USA verdienen kann. Spence wäre vermutlich längst Weltmeister, gingen ihm nicht alle Titelträger mit der Begründung aus dem Weg, er sei noch zu wenig bekannt, um mit ihm gute Quoten im Fernsehen einzufahren. Das dürfte sich Ende Mai in Sheffield ändern.


Fußnoten:

[1] http://www.boxingnews24.com/2017/02/errol-spence-vs-kell-brook/#more-227302

[2] http://www.boxingnews24.com/2017/02/hearn-spence-fight-5-times-tougher-brook-khan/#more-227279

17. Februar 2017


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