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MELDUNG/2130: Rotschopf zeigt Nerven (SB)



"Canelo" reagiert unwirsch auf Frage nach Golowkin

Auf die harmlose Frage, ob er sich auf ein Duell mit Gennadi Golowkin im Herbst vorbereite, reagierte Saul "Canelo" Alvarez dieser Tage bemerkenswert unwirsch. Wie der Mexikaner im Rahmen einer öffentlichen Trainingseinheit vor Medienvertretern in San Diego erklärte, bestreite er am 6. Mai mit Julio Cesar Chavez jun. den vermutlich bedeutendsten Kampf in der Geschichte ihres Landes. Er denke ausschließlich daran und rede über nichts anderes. Wenn sich einer Sorgen über die angemessene Vorbereitung machen müsse, dann sei das der Kasache. Was ihn selbst betreffe, konzentriere er sich voll und ganz auf Chavez und verschwende keinen Gedanken an den darauffolgenden Gegner. [1]

Der Kampf der beiden prominentesten mexikanischen Boxer ist unter dem Gesichtspunkt der Vermarktung zweifellos ein Glücksgriff, da er eine riesige Fangemeinde mobilisiert. Auch in sportlicher Hinsicht ist seine Bedeutung insofern gewachsen, als Chavez längst nicht mehr als krasser Außenseiter gehandelt wird. Der zeitweise mißratene Sprößling der gleichnamigen mexikanischen Legende scheint nach einer langen Phase mangelnder Fokussierung auf die Erfordernisse seiner Profession wieder Tritt gefaßt zu haben. Zumindest lassen die Signale aus seinem Trainingslager darauf schließen, daß er seine Gewichtsprobleme in den Griff bekommen und sich in angemessene Form gebracht hat. Das macht ihn angesichts seines Talents wider Erwarten zu einem Gegner, der "Canelo" durchaus Paroli bieten könnte.

Was anfangs wie ein kommerzieller Geniestreich der Golden Boy Promotions anmuten mochte, sich eines noch immer namhaften, aber inzwischen relativ leicht zu besiegenden Kontrahenten zu versichern, nimmt längst die Züge einer riskanten Fehleinschätzung an. Wäre die mutmaßliche Wiederauferstehung des zuvor bereits abgeschriebenen Landsmanns absehbar gewesen, hätte Oscar de la Hoya diesen Weg kaum gewählt. Wenngleich er sich in seiner aktiven Zeit mit den gefährlichsten Gegnern gemessen und dabei zwangsläufig auch manche Niederlage eingesteckt hat, fährt er als Promoter bei der Plazierung seines wichtigsten Boxers eine ganz andere Strategie. Er preist Saul Alvarez nun schon seit Jahren als künftigen Superstar und legitimen Nachfolger Floyd Mayweathers an, hält ihn aber systematisch von gefährlichsten Rivalen fern, um den sorgsam genährten Mythos nicht platzen zu lassen.

"Canelo", für den 48 Siege, eine Niederlage und ein Unentschieden zu Buche stehen, wurde 2013 von Mayweather regelrecht lektioniert. Seither war Erislandy Lara im darauffolgenden Jahr sein einziger wirklich hochklassiger Gegner, wobei er nach Einschätzung diverser Experten auch diesen Kampf verloren hätte, wären ihm nicht die Punktrichter zu Hilfe gekommen. Danach hielt Oscar de la Hoya seinen prominentesten Akteur von allen gefährlichen Kontrahenten fern. Vor allem aber spielte Alvarez stets seine körperliche Überlegenheit aus, indem er entweder gegen von vornherein leichtere Gegner antrat oder zwischen offiziellem Wiegen und Kampf durch nächtliches Rehydrieren - vermutlich mittels Infusion - enorm an Gewicht zulegte. Bezeichnenderweise lehnten es Alvarez und sein Promoter stets ab, das tatsächliche Kampfgewicht bekanntzugeben.

Auf diese Weise setzte sich "Canelo" gegen Miguel Cotto, Alfredo Angulo, James Kirkland, Amir Khan und Liam Smith durch, ging aber insbesondere Gennadi Golowkin unter immer neuen Ausflüchten aus dem Weg. So legte der Mexikaner sogar den WBC-Titel im Mittelgewicht nieder, um nicht gegen den damaligen Pflichtherausforderer Golowkin antreten zu müssen. Später hieß es dann, Alvarez sei nach wie vor ein Halbmittelgewichtler und müsse erst ins Mittelgewicht hineinwachsen, was insofern absurd war, als er bei seinen Auftritten sichtlich schwerer als der Kasache ist, der seit jeher zu den leichten Mittelgewichtlern gehört.

Inzwischen hat sich De la Hoya auf das Manöver eingeschossen, die Börse nicht unter "Canelo" und Golowkin prozentual aufzuteilen, sondern dem Kasachen lediglich eine Pauschale von zuletzt 15 Millionen Dollar in Aussicht zu stellen. Das hört sich gewaltig an, dürfte aber weit unter den zu erwartenden Einkünften bei diesem spektakulären Kampf liegen. Zudem kann Golowkins Promoter Tom Loeffler von K2 diese Praxis kaum hinnehmen, da Golden Boy ihn damit in einen prinzipiell untergeordneten Rang verweisen würde. Deshalb liegt die Annahme nahe, daß Oscar de la Hoya und Saul Alvarez nach wie vor mit Ausflüchten hausieren, um Golowkin weiterhin aus dem Weg zu gehen, bis er eines mehr oder minder fernen Tages sichtlich nachzulassen beginnt und schließlich ein Brocken wäre, an dem sich "Canelo" nicht verschluckt.

Dessen verärgerte Reaktion auf die eingangs erwähnte Frage und die Äußerung, er schere sich nicht um den Gegner seines Auftritts im Herbst, lassen jedenfalls nicht gerade darauf schließen, daß er fest von einem Kampf gegen Golowkin ausgeht. Hinzu dürfte wohl auch kommen, daß er Nerven zeigt, weil Julio Cesar Chavez in zunehmendem Maße bedrohliche Konturen annimmt. Dieser ist mit 50 Siegen, zwei Niederlagen sowie einem Unentschieden nicht minder erfahren und ebenso erfolgreich wie "Canelo", vor allem aber größer und schwerer. Chavez kommt zwar aus dem Supermittelgewicht herunter und riskiert dabei einen Substanzverlust, doch ist die vereinbarte Gewichtsgrenze für diesen Kampf nicht so niedrig angesetzt, daß sie ihn definitiv benachteiligen würde. Damit steht Alvarez das gravierende Problem ins Haus, erstmals seit Jahren nicht mehr körperlich klar überlegen, sondern im Gegenteil kleiner und möglicherweise leichter als sein Gegner zu sein.

Daher nimmt es nicht wunder, daß "Canelo" über Gebühr betont, wie gut er damit zurechtkomme, schwerer als in der Vergangenheit in den bevorstehenden Kampf zu gehen. Er fühle sich wirklich gut, nicht mehr so viel Gewicht reduzieren zu müssen, da ihn das stärker mache, ohne zu Lasten der Schnelligkeit zu gehen. Er habe im Sparring problemlos mit Supermittelgewichtlern und Halbschwergewichtlern trainiert und sei bereit für Chavez, mit dem ihn eine langjährige persönliche Abneigung verbinde. Ob diese Vorbereitung ausreicht, muß sich zeigen. Julio Cesar Chavez hat zwar in den letzten fünf Jahren immer wieder längere Pausen eingelegt, was jedoch nicht ausschließt, daß er diesmal eine intensive Vorbereitung absolviert und noch einmal auf dem Niveau seiner besseren Tage boxen kann, als er noch WBC-Weltmeister im Mittelgewicht war.

Er glaube nicht, daß Chavez irgend etwas von seinem legendären Vater gelernt habe, so "Canelo". Dessen Popularität habe dem Sohn viele Türen geöffnet, ohne daß dieser Gebrauch von der Begünstigung gemacht hätte. Zuviel zu bekommen führe seines Erachtens ohnehin in den allermeisten Fällen zu nichts Gutem. Chavez jun. sei undiszipliniert, mehrfach aufgestiegen und wieder abgestürzt, so daß man sein Gerede nicht ernst nehmen könne. Die ganze Welt schaue bei dem kommenden Kampf zweier Mexikaner zu. Es erfülle ihn mit Stolz, seinen Landsleuten diese Sternstunde präsentieren zu können, in der er Geschichte schreiben werde.

Wenngleich es zutrifft, daß Julio Cesar Chavez jun. zwar das Talent, nicht aber die Hingabe und Unbeugsamkeit seines Vaters "geerbt" und seine Vorteile oftmals durch eine allzu lockere Lebensführung vergeudet hat, sollte sich Saul "Canelo" Alvarez an die eigene Nase fassen, bevor er zu harscher Kritik an seinem Widersacher ansetzt. Auch er hat in den letzten Jahren nicht gerade mit Taten geglänzt, wie man sie von einem Boxer erwarten würde, der Geschichte schreibt, ohne ständig darüber zu reden.


Fußnote:

[1] http://www.boxingnews24.com/2017/04/canelo-golovkin-prepare-dont-prepare/#more-232685

22. April 2017


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