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MELDUNG/2181: Konfrontation mit einem Torwächter (SB)



WBC-Champion Deontay Wilder trifft auf den Kubaner Luis Ortiz

Mit einer beeindruckenden Bilanz von 38 Siegen, bei denen er nur ein einziges Mal über die volle Distanz gehen mußte, ist Deontay Wilder WBC-Weltmeister im Schwergewicht. In seinem heimatlichen Bundesstaat Alabama hat der 2,01 m große Champion eine begeisterungsfähige Fangemeinde, doch gilt das nicht für die traditionellen Hochburgen des Boxsports wie Las Vegas oder New York. Das mutet auf den ersten Blick erstaunlich an, hat er doch seinen Landsleuten nach der Ära der Klitschkos endlich einen langersehnten Titel in der Königsklasse beschert. Die Begeisterung darüber hält sich jedoch in Grenzen, was auf eine Reihe von Gründen zurückzuführen ist, die er nur in Teilen selbst zu verantworten hat. Dementsprechend sortieren sich die Kommentatoren grob gesehen in zwei Lager, deren eines ihm angesichts seiner Schnelligkeit und Schlagwirkung die Führerschaft im Schwergewicht attestiert. Skeptischer moniert hingegen die Schar moderater Kritiker unter den Boxjournalisten, Wilder habe sich allzu lange relativ schwache Herausforderer ausgesucht und müsse den Beweis erst noch antreten, daß er so gut wie Anthony Joshua, wenn nicht besser als der britische WBA/IBF-Weltmeister sei.

Am 4. November trifft der 32jährige Deontay Wilder im Barclays Center in Brooklyn auf seinen bislang gefährlichsten Gegner. Der ebenfalls ungeschlagene Luis Ortiz hat 27 Widersachern das Nachsehen gegeben und dürfte der versierteste Akteur dieser Gewichtsklasse sein. Nach offiziellen Angaben ist der Kubaner 38 Jahre alt, wie es heißt jedoch in Wirklichkeit wesentlich älter. Jedenfalls lassen seine letzten Auftritte darauf schließen, daß er den Zenit seines Könnens überschritten hat und aufgrund seiner nachlassenden körperlichen Verfassung wachsende Probleme mit jüngeren Kontrahenten bekommt, die schneller auf den Füßen und konditionsstärker sind. [1]

Wilder hatte den WBC-Titel im Januar 2015 durch einen Punktsieg gegen Bermane Stiverne gewonnen. Der US-Amerikaner brach sich dabei frühzeitig die rechte Hand, was maßgeblich dazu beitrug, daß der Kanadier als bislang einziger Gegner zwölf Runden mit ihm überstand. Inzwischen ist Stiverne Pflichtherausforderer des Weltmeisters und hat zweifellos eine beträchtliche Summe eingestrichen, um sein Vorrecht zurückzustellen. Wer immer den Novemberkampf in New York gewinnt, wird sich wohl im Frühjahr 2018 dem Kanadier stellen müssen.

Für Wilder ist Ortiz ein harter Prüfstein und zugleich ein Signal an Anthony Joshua, daß die beiden prominentesten Titelträger auf Kollisionskurs sind. Das scheint sich mit dem Interesse des Briten zu decken, dessen Promoter Eddie Hearn nach den anstehenden Pflichtverteidigungen gegen Kubrat Pulew (IBF) am 28. Oktober in Cardiff und Luis Ortiz (WBA) im Frühjahr ein Duell mit dem WBC-Champion für Sommer 2018 in Aussicht gestellt hat. Allerdings würde eine Niederlage des Kubaners gegen Wilder die Karten natürlich ebenso neu mischen wie ein Scheitern Joshuas an dem bei Sauerland unter Vertrag stehenden Bulgaren Pulew.

Da der Brite mit seinem Sieg gegen Wladimir Klitschko am 29. April gewissermaßen auf höchster Ebene vorgelegt hat, ist es nun an Wilder, seinerseits einen der gefährlichsten Herausforderer aus dem Weg zu räumen. Seit dem Titelgewinn gegen Bermane Stiverne hat der US-Amerikaner seinen Gürtel bereits fünfmal in Folge freiwillig verteidigt und dabei Eric Molina, Artur Szpilka, Johann Duhaupas, Chris Arreola und Gerald Washington vorzeitig besiegt. Das waren teils robuste Kontrahenten, die jedoch allesamt nicht der höchsten Kategorie zuzurechnen sind. Verdenken kann man dem WBC-Weltmeister diese Auswahl nicht, zumal auch Anthony Joshuas Aufstieg mit sorgsam dosierten Anforderungen gepflastert war. Zudem fiel eine anberaumte Pflichtverteidigung Wilders ins Wasser, nachdem Alexander Powetkin kurz vor ihrem vereinbarten Kampf in Moskau über eine Dopingprobe gestolpert und damit aus dem Rennen war.

Davon abgesehen hat Wilder in der Vergangenheit mehrfach angeboten, nach England zu reisen und sich dort mit den allerbesten Rivalen zu messen. Eddie Hearn versuchte vor einiger Zeit, dem WBC-Champion einen Kampf gegen Dillian Whyte schmackhaft zu machen. Deontay Wilder wies jedoch ein Angebot von angeblich 3 Millionen Dollar mit der Begründung zurück, man müsse ihm mindestens das Doppelte bieten, um ihn für einen ansonsten irrelevanten Kampf zu gewinnen. Er wolle gegen Anthony Joshua antreten, um ihre Titel zu vereinigen, nicht jedoch gegen einen britischen Ersatzmann.

Als Joshua und Eddie Hearn das Risiko eingingen, sich mit Klitschko einzulassen, dürften sie kaum damit gerechnet haben, daß der Ukrainer noch einmal zu Höchstform auflaufen würde. Als der Brite wie so oft gegen Mitte des Kampfs Konditionsprobleme bekam und sogar zu Boden gehen mußte, schien ein Sieg des Herausforderers greifbar nahe. Wladimir Klitschko versäumte es bekanntlich, rückhaltlos nachzusetzen, und wurde dafür in der elften Runde bestraft. Ähnlich ist die Konstellation bei Wilder und Ortiz, da auch der WBC-Champion davon ausgehen dürfte, daß sein namhafter Gegner längst abgebaut hat und ihn daher nur noch mit überschaubaren Problemen konfrontieren kann. Allerdings ist der US-Amerikaner nach Joshuas knapper Rettung natürlich gewarnt, daß man einen in die Jahre gekommenen Kontrahenten vom Kaliber des technisch hochklassigen Kubaners keinesfalls unterschätzen darf.

Daß Luis Ortiz sichtlich Probleme hatte, einen Gegner wie Malik Scott in Monte Carlo zu besiegen, muß keineswegs bedeuten, daß seine frühere Gefährlichkeit unwiderruflich geschwunden ist. Er konnte sein Repertoire nur in engen Grenzen entfalten, da ihm die Luft ausging, worauf ihn Scott phasenweise ausmanövrierte. Den langersehnten Titelkampf vor Augen, wird sich Ortiz diesmal in der Vorbereitung noch einmal alles abverlangen, um in Bestform anzutreten. Deontay Wilder steht also womöglich ein ebenso turbulenter und anspruchsvoller Kampf ins Haus, wie ihn Anthony Joshua gegen Klitschko zu bewältigen hatte.

Der WBC-Weltmeister hat Duhaupas und Arreola auf überzeugende Weise in die Schranken gewiesen, bei Molina, Szpilka und Washington eher nicht geglänzt. Er hat sich in jüngerer Zeit durchaus technisch verbessert und sein taktisches Repertoire ausgebaut. Setzt er sich auch gegen Luis Ortiz durch, dürfte das seine Kritiker zum Schweigen bringen und das Interesse eines breiteren Publikums wecken. Es wäre gewissermaßen eine gelungene Generalprobe für einen späteren Kampf gegen Anthony Joshua und würde seine Verhandlungsposition gegenüber dem Lager des Briten stärken. Viel steht auf dem Spiel, geht es doch um nichts weniger als die alleinige Führungsposition im Schwergewicht. Joshua hat Wilder in Zugzwang gebracht, sich mit dem Torwächter Luis Ortiz zu konfrontieren.


Fußnote:

[1] http://www.boxingnews24.com/2017/09/wilders-statement-fight-ortiz/#more-243258

22. September 2017


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