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MELDUNG/2188: Am Ereignishorizont des schwarzen Lochs (SB)



WBO ordnet Titelkampf zwischen Saunders und Lemieux an

Billy Joe Saunders ist unversehens an den Ereignishorizont eines schwarzen Lochs geraten, das ihn zu verschlingen droht. Der WBO-Weltmeister im Mittelgewicht aus England muß auf Anweisung des Verbands seinen Titel gegen den kanadischen Pflichtherausforderer David Lemieux verteidigen. WBO-Präsident Francisco Valcarcel hat Frank Warren (Queensbury Promotions) und Eric Gomez (Golden Boy Promotions) aufgefordert, unverzüglich in Verhandlungen einzutreten. Sollte binnen 30 Tagen keine Einigung erzielt werden, kommt es zur Versteigerung der Austragungsrechte mit einem Mindestgebot von 200.000 Dollar, das angesichts der Bedeutung dieses Kampfs natürlich bei weitem übertroffen würde. Während dem Sieger ein hochdotiertes Duell mit Gennadi Golowkin oder Saul "Canelo" Alvarez in Aussicht steht, die Anfang Mai 2018 zur Revanche aufeinandertreffen, steht der Verlierer vor dem Scherbenhaufen seiner Karriere. [1]

Den in 25 Auftritten ungeschlagenen Briten erwartet ein Alptraum, da der Kanadier, für den 38 Siege und drei Niederlagen zu Buche stehen, eine verheerende Schlagwirkung aufbieten kann, die im Mittelgewicht ihresgleichen sucht, wenn man einmal von Golowkin absieht. Während Lemieux alles daransetzen würde, den Gegner zu stellen und auf die Bretter zu schicken, bliebe Saunders nichts anderes übrig, als zwölf Runden lang zu flüchten und für einen fragwürdigen Punktsieg zu beten. Der 28jährige Brite boxte auf dem Höhepunkt seines Könnens, als er seinen Landsmann und Erzrivalen Chris Eubank jun. 2014 dank seiner Beweglichkeit knapp besiegte. Inzwischen spricht alles dafür, daß er diese Qualitäten nie wieder erreichen wird. Im Dezember 2015 nahm er Andy Lee überraschend den WBO-Gürtel ab, weil es der Ire versäumte, ihm energisch genug den Weg abzuschneiden und ihn zu stellen. Seither hat Saunders den Titel nur zweimal verteidigt und dabei im Dezember 2016 gegen den wenig bekannten Artur Akavow und im September 2017 gegen Willie Monroe keine gute Figur gemacht. Der seit jeher für seine Konditionsschwäche bekannte Linkshänder legt zwischen seinen spärlichen Auftritten derart viel Gewicht zu, daß er nach der Tortur des Abkochens vor dem Wiegen zuletzt nur noch wie ein substanzloser Schatten besserer Tage wirkte.

Der gleichaltrige David Lemieux war IBF-Weltmeister im Mittelgewicht, bis er sich im Oktober 2015 Gennadi Golowkin stellte, der ihn in der achten Runde ausschaltete. Dem Kasachen zu unterliegen war keine Schande, zumal der Kanadier im Gegensatz zum Rest der namhaften Konkurrenz den Kampf sofort angenommen und dann im Ring offensiv geboxt hatte. Seit dieser Niederlage hat sich der Mittelgewichtler aus Montreal weiter verbessert und vier ausgezeichnete Auftritte geboten. Zuletzt schickte er im März 2017 Curtis Stevens in der dritten Runde spektakulär auf die Bretter und im Mai ließ er Marcos Reyes trotz einer Verletzung bei seinem einstimmigen Punktsieg keine Chance. Für Lemieux ist die Auflage seitens der WBO ein verfrühtes Weihnachtsgeschenk, da er sich den Gürtel sichern könnte und dadurch seine Verhandlungsposition gegenüber Golowkin oder "Canelo" erheblich verbessern würde.

Promoter Frank Warren wird ein erstes Angebot vorlegen und versuchen, den Kampf nach England zu holen. Saunders, dem als Titelverteidiger 70 Prozent der Gesamtbörse zustehen, kann sich allenfalls vor heimischem Publikum gewisse Chancen ausrechnen, durch ihm gewogene Punktrichter den Kopf aus der Schlinge zu ziehen. Ganz ausgeschlossen wäre das jedenfalls nicht, läßt man die jüngsten Fehlurteile in bedeutenden Kämpfen Revue passieren. So entsprang das für Saul "Canelo" Alvarez überaus schmeichelhafte Unentschieden gegen Gennadi Golowkin einem krassen Versagen zweier Punktrichter, das zumindest in einem der beiden Fälle kaum noch anders als mit einer interessengeleiteten Parteinahme zugunsten des Lokalmatadors zu erklären ist. Dem Kasachen dürfte diese Benachteiligung bekannt vorgekommen sein, mußte sie ihn doch an seinen Kampf gegen Kell Brook in London erinnern. Der britische Herausforderer war nach einer starken zweiten Runde nur noch auf der Flucht, bis ihn Golowkin im fünften Durchgang zur Aufgabe zwang. Dennoch lag Brook zum Zeitpunkt des Abbruchs nach Punkten in Führung, als habe er bis dahin überlegen gekämpft. Zu nennen wäre in diesem Zusammenhang auch das Geschenk an Billy Joe Saunders, der nach Auffassung diverser Experten seinen Titel an den klaren Außenseiter Artur Akavow verloren hätte, wäre alles mit rechten Dingen zugegangen.

Eric Gomez, der Präsident der Golden Boy Promotions aus Los Angeles, will den Sender HBO mit ins Boot holen, der seinen Angaben zufolge bereits Interesse bekundet hat. Daß der für den nächsten Auftritt von David Lemieux vorgesehene Termin am 16. Dezember eingehalten werden kann, ist unwahrscheinlich, da sich die Verhandlungen mit Saunders und dessen Team bestimmt nicht einfach gestalten werden. Sollte es zu einer Versteigerung des Kampfs kommen, müßte dieser dann binnen 90 Tagen ausgetragen werden, was auf Februar oder März 2018 hinauslaufen könnte. Für HBO macht eine Beteiligung auf jeden Fall Sinn, da der Sender im Mittelgewicht mit den Auftritten von Gennadi Golowkin, Canelo Alvarez, David Lemieux und Daniel Jacobs die führenden Akteure präsentiert. [2]

Was Billy Joe Saunders tatsächlich vorhat, läßt sich selten erschließen, sofern man nicht zu der naheliegenden Deutung Zuflucht nimmt, er riskiere jederzeit eine dicke Lippe im übertragenen Sinn, nicht aber wortwörtlich in Kämpfen gegen gefährliche Gegner. Im vergangenen Jahr schien ein Kampf gegen Golowkin nahezu ausgehandelt zu sein, als der Brite im letzten Moment mittels einer absurden Gagenforderung einen Rückzieher machte. Statt dessen verteidigte er seinen Titel, den sich der Kasache gern gesichert hätte, um seine Gürtelsammlung im Mittelgewicht zu komplettieren, in Schottland für sehr viel weniger Geld freiwillig gegen Artur Akavow, was um ein Haar schiefgegangen wäre, da Saunders in sichtlich schlechter Verfassung antrat. Golowkins Promoter Tom Loeffler bot den Kampf daraufhin zu den ursprünglichen Konditionen Kell Brook an, der ohne zu zögern zugriff.

Eingedenk dieser Vorgeschichte kann man eine Titelverteidigung des Briten gegen Lemieux erst dann für bare Münze nehmen, wenn beide Akteure im Ring stehen und die erste Runde eingeläutet wird. Saunders stehen verschiedene Fluchtwege offen, die allerdings seinen ohnehin angeschlagenen Ruf weiter schädigen würden und mit Fragezeichen zu versehen sind. Er könnte den Kanadier mit einer hohen Summe dazu bewegen, sein Vorrecht als Pflichtherausforderer befristet zurückzustellen und sich einen anderen Gegner zu suchen. Eine andere Möglichkeit wäre, den Titel niederzulegen und damit Lemieux aus dem Weg zu gehen. Da Saunders jedoch ohne seinen WBO-Gürtel bedeutungslos für Golowkin und "Canelo" wäre, ist das allenfalls eine hypothetische Variante. Naheliegender wäre da schon eine tatsächliche oder fingierte Trainingsverletzung, die eine Austragung des Kampfs verhindern und das Verhängnis fürs erste abwenden würde.

Sollte Saunders jedoch tatsächlich gegen Lemieux antreten, wird er mit Sicherheit versuchen, zu klammern und wegzulaufen was das Zeug hält. Treffen lassen darf er sich nicht, da der Kanadier einen Gegner mit beiden Fäusten niederstrecken kann. Mit solchen Fluchtmanövern strapazierte kürzlich sein britischer Landsmann Hughie Fury die Geduld des Publikums und die Nerven des WBO-Champions im Schwergewicht, Joseph Parker. Fury landete zumindest nicht auf den Brettern, verlor aber nach zwölf Runden gegen den Neuseeländer, wobei ein Punktrichter ein völlig abwegiges Unentschieden notiert hatte. Vor einem Heimpublikum in England ist alles möglich, könnte auch die aus der Not geborene Ratio eines Billy Joe Saunders lauten. Da ihm für gewöhnlich nach fünf oder sechs Runden die Luft ausgeht, ist jedoch fraglich, ob er einem Kontrahenten wie David Lemieux über die volle Distanz davonlaufen könnte.

Wohl um sein Gesicht zu wahren, hat Saunders in einer ersten Stellungnahme behauptet, er sei "glücklich" über die Entscheidung der WBO, einen Kampf gegen David Lemieux anzuordnen. [3] Daß er das tatsächlich so sieht, ist eher nicht anzunehmen. Allenfalls könnte er das Wunder, immer noch WBO-Weltmeister in dieser außergewöhnlich stark besetzten Gewichtsklasse zu sein, obwohl er dafür erschreckend wenig getan hat, als ein wohlverdientes Glück auslegen, das ihm auch künftig zur Seite stehen wird.


Fußnoten:

[1] http://www.boxingnews24.com/2017/10/saunders-vs-lemieux-ordered-wbo/#more-244669

[2] http://www.espn.com/boxing/story/_/id/20980360/wbo-orders-middleweight-champ-billy-joe-saunders-fight-former-titlist-david-lemieux

[3] http://www.boxingnews24.com/2017/10/saunders-lemieux-fight-ordered/#more-244707

11. Oktober 2017


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