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MELDUNG/2195: Abermals Spiel mit gezinkten Karten? (SB)



Oscar de la Hoya will Golowkin offenbar mit Lemieux ausbooten

Wenn Billy Joe Saunders seinen Titel im Mittelgewicht am 16. Dezember in Quebec gegen David Lemieux verteidigt, dürfte seine eher unrühmliche Ära enden. Jedenfalls steht ein Aufeinandertreffen zweier höchst unterschiedlicher Kampfesweisen zu erwarten. Der in 25 Auftritten ungeschlagene Brite setzt auf einen schnellen Wechsel von Vorstoß und Rückzug, um damit zu punkten, läuft aber im Zweifelsfall rundenlang vor dem Gegner weg. Diese mobile Vorgehensweise kollidiert allerdings mit seiner zumeist dürftigen Kondition, so daß ihm in der Regel zu Mitte des Kampfs die Luft ausgeht. Hingegen ist der kanadische Lokalmatador ein Boxer, der ständig Druck macht, den Kontrahenten unerbittlich verfolgt und mit beiden Fäusten gewaltig zuschlagen kann. Seine gefährlichste Waffe ist ein kurz angesetzter linker Haken, doch auch mit der Rechten kann er einen Widersacher von den Beinen holen.

Die renommierte fachspezifische Datenbank BoxRec führt den 28jährigen Saunders an Nummer fünf und den gleichaltrigen Lemieux an siebter Stelle im Mittelgewicht. Das Ring Magazine hat den Kanadier nach seinem spektakulären Sieg gegen Curtis Stevens, der ein Anwärter auf den Knockout des Jahres ist, von Platz zehn auf den vierten Rang befördert. Die Austragung des Kampfs in Quebec ist natürlich von Vorteil für Lemieux, der 38 gewonnene und drei verlorene Auftritte vorzuweisen hat. Zum einen hat er das Publikum auf seiner Seite, dessen Geräuschkulisse oftmals Einfluß auf die Wertung der Punktrichter hat. Deren Auge sieht nicht selten, was das Ohr hört, ohne daß zwangsläufig eine beabsichtigte Parteinahme für den heimischen Akteur im Spiel sein muß. Zum anderen hat der Titelverteidiger noch nie außerhalb der britischen Insel gekämpft.

Wenngleich der Kanadier mit 1,77 m drei Zentimeter kleiner als sein Gegner ist, dürfte dieser geringfügige körperliche Nachteil kaum ins Gewicht fallen. Lemieux hat schon des öfteren größeren Kontrahenten übel mitgespielt, und seine 33 vorzeitigen Siege zeugen von Angriffslust und durchschlagender Wirkung. Er begann einst im Alter von neun Jahren zu boxen und hat nach seinem Wechsel ins Profilager im Jahr 2007 eine ganze Reihe erfahrener Akteure wie Juandiel Zepeda, Joachim Alcine, Jose Miguel Torres, Hassan N'Dam, Elvin Ayala, Glen Tapia und Hector Camacho jun. in die Schranken gewiesen. Daß er sich Marco Antonio Rubio erschöpft geschlagen geben mußte und von Gennadi Golowkin deklassiert wurde, ist keine Schande. Er hat es ohne zu zögern gewagt, sich mit dem überragenden Kasachen zu messen, und dabei seinen IBF-Titel auf Spiel gesetzt. Auch kann er offensichtlich eine Menge einstecken und hat nach der Niederlage gegen "GGG" seiner Karriere mit bemerkenswert deutlichen Erfolgen neuen Schub verliehen. Der Champion bekommt es also mit einem Herausforderer zu tun, der auf dem Höhepunkt seines außergewöhnlichen Könnens steht und ihn gewiß nicht fürchtet. [1]

Da sich Saunders aufgrund seiner erheblich schwächeren Trefferwirkung den offenen Schlagabtausch mit Lemieux kaum leisten kann, wird er wohl sehr viel weglaufen oder klammern. Dennoch müßte er schon über sich hinauswachsen, um dem jagdfreudigen Kanadier nicht allzu rasch zum Opfer zu fallen. Sein damaliger Titelgewinn gegen den favorisierten Andy Lee gibt keine Blaupause für einen aussichtsreichen Kampf gegen Lemieux ab. Der Ire lief ihm frühzeitig zweimal nacheinander in einen Konter und mußte zu Boden gehen, was ihn am Ende die entscheidenden Punkte kosten sollte. Danach war Saunders nur noch auf der Flucht, doch Lee verließ sich zu sehr darauf, daß er den Herausforderer schon noch mit einem Volltreffer erwischen würde, und setzte ihm nicht entschlossen nach. Selbst wenn es dem Briten gelingen sollte, auch bei Lemieux einen Glückstreffer zu landen, hätte er einen um so erbitterteren Verfolger auf den Fersen, der ihn nicht ungeschoren davonkommen ließe.

Davon abgesehen ist Saunders in den letzten zwei Jahren offenbar schlechter geworden und hat zwischen seinen spärlichen Auftritten erheblich an Gewicht zugelegt. Im Grunde ist er längst zu schwer für das Mittelgewicht und ruiniert seine körperliche Substanz, wenn er im Trainingslager fasten muß. Zuletzt präsentierte er sich teilweise in fragwürdiger Verfassung und konnte sich selbst gegen einen weithin unbekannten Herausforderer nur mit viel Glück und der Gunst der Punktrichter durchsetzen. Aufgrund einer Verletzung, die man ihm natürlich nicht zur Last legen kann, aber auch in Folge seiner großspurigen Behauptung, er wolle sich mit den allerbesten Rivalen wie insbesondere Golowkin messen, der dann ein Rückzieher unter fadenscheinigen Ausflüchten folgte, ist die Regentschaft des Briten eine mehr oder minder leidige Angelegenheit, deren Ende die Branche herbeisehnt. Gennadi Golowkin könnte dann mit einem würdigeren WBO-Weltmeister in den Ring steigen und sich endlich den letzten Gürtel im Mittelgewicht holen, der ihm zur Komplettierung seiner Sammlung noch fehlt.

Nun kommt David Lemieux aber auch zugute, daß Oscar de la Hoya sein Co-Promoter ist und ihm dank seines Einflusses Türen öffnet. Wie der Mehrheitseigner und Chef der Golden Boy Promotions jüngst erklärt hat, setze er weiterhin alles daran, die Revanche zwischen Saul "Canelo" Alvarez und Gennadi Golowkin auf die Beine zu stellen, doch nannte er im selben Atemzug den Kanadier als "eine weitere Option", sollte dieser auf überzeugende Weise Billy Joe Saunders besiegen und sich den WBO-Titel sichern. Mit diesem Manöver setzt De la Hoya den Kasachen und dessen Promoter Tom Loeffler unter Druck, bei den Verhandlungen nicht auf der Hälfte der Börse zu bestehen. Obgleich Golowkin beim ersten Aufeinandertreffen, das mit einem für Alvarez höchst schmeichelhaften Unentschieden endete, nach Auffassung der meisten Experten der bessere Boxer gewesen war, sitzt sein Team in den Gesprächen über den weithin für unabdingbar gehaltenen Rückkampf am kürzeren Hebel. "Canelo" ist dank seiner riesigen mexikanischen Fangemeinde der größere Publikumsmagnet am Veranstaltungsort wie auch im Pay-TV. Dies erlaubt es seinem Promoter, die Bedingungen in erheblichem Maße zu diktieren.

Da die Revanche noch längst nicht zur Reife gebracht ist, lehnt sich Oscar de la Hoya demonstrativ zurück, um das Duell zwischen Saunders und Lemieux in Quebec abzuwarten, das vom Sender HBO übertragen wird. Sollte sich der Kanadier souverän durchsetzen und womöglich vorzeitig gewinnen, wäre er durchaus ein attraktiver Gegner für Saul Alvarez. Zumindest ließe sich mittels einer geschickten Argumentation, um die De la Hoya sicher nicht verlegen wäre, die Forderung der Boxfans und Experten nach einem umgehenden Rückkampf gegen den Kasachen ausbremsen, ohne daß die Reputation "Canelos" gravierenden Schaden nähme. Aus Perspektive der Golden Boy Promotions kann sich Tom Loeffler die Vorstellung abschminken, bei einem Kampf Golowkins gegen den Mexikaner am 5. Mai 2018 eine Teilung der Gesamtbörse im Verhältnis 50:50 herauszuschlagen.

Hätte "Canelo" bereits vor zwei Jahren gegen Golowkin gekämpft, spräche heute wohl kein Mensch mehr über das Thema, da der Mexikaner zumindest in sportlicher Hinsicht längst in den zweiten Rang verwiesen wäre. Das Kalkül Oscar de la Hoyas, das Aufeinandertreffen hinauszuzögern, bis der übermächtige Kasache aus Altersgründen allmählich nachzulassen beginnt, ist nur bedingt aufgegangen. Golowkin hat gegen Kell Brook in London vorzeitig gewonnen, dann aber beim Punktsieg über Daniel Jacobs in New York den Nimbus eingebüßt, er lasse keinen Gegner über volle zwölf Runden kommen. Dies dürfte maßgeblich dazu beigetragen haben, daß der Kampf gegen "Canelo" überhaupt zustande kam.

Ob der inzwischen 35 Jahre alte Kasache tatsächlich etwas von seiner früheren Gefährlichkeit verloren hat, wie die Mehrzahl der Kommentatoren schlichtweg behauptet, steht jedoch auf einem anderen Blatt. Er hat sich in seinen letzten beiden Kämpfen offenbar an die taktische Marschroute seines Trainers Abel Sanchez gehalten, der beim Duell mit Kell Brook nur bedingt zufrieden mit seinem Boxer war. Nun dürfte klar sein, daß sich Golowkin auch mit seinem Jab und ausgezeichneten Kombinationen gegen hochklassige Kontrahenten durchsetzen kann, ohne mit aller Macht auf einen Niederschlag zu drängen. In diesem Sinne ist er reifer geworden, was nicht bedeuten muß, daß ihm seine früher demonstrierten Qualitäten abhanden gekommen sind.

Als ehemaliger Boxer von Weltklasse, der mit den gefährlichsten Rivalen seiner Zeit im Ring gestanden hat, weiß Oscar de la Hoya natürlich, daß sein mit Abstand prominentester und einträglichster Akteur in Las Vegas gegen Golowkin verloren hat und nur durch mehr oder minder absurde Wertungen vor der Niederlage gerettet wurde. Deshalb dürfte er entgegen seiner öffentlich zur Schau getragenen Zuversicht größte Zweifel hinsichtlich einer unmittelbaren Revanche hegen. Da der Kasache nun definitiv davon ausgehen muß, im Falle einer Punktwertung abermals betrogen zu werden, würde er noch gefährlicher als bei der ersten Begegnung zu Werke gehen und für klare Verhältnisse sorgen. Wie sich "Canelo" entscheidend steigern könnte, ist hingegen nicht abzusehen. Selbst wenn sich Golowkin im Falle furioser Angriffe des öfteren eine Blöße gäbe und Alvarez dadurch Konterchancen böte, dürfte dessen Schlagwirkung kaum ausreichen, um den Kasachen ernsthaft zu beeinträchtigen.

Daher steht zu befürchten, daß Oscar de la Hoya längst plant, den Rückkampf auf die lange Bank zu schieben und zu hoffen, daß Golowkin eines Tages tatsächlich schwächer geworden ist. Abgesehen davon würde die Revanche in den Augen des Publikums zusätzlich aufgewertet, brächte "Canelo" den WBO-Titel mit, den er Lemieux zuvor abgenommen hat. Ein weiterer Nebeneffekt wäre, daß der Verband WBC vermutlich Jermall Charlo zum Pflichtherausforderer des Kasachen erklären würde, sollte dieser nicht Anfang Mai gegen Alvarez kämpfen. Der aus dem Halbmittelgewicht aufgestiegene Charlo ist groß, schnell, stark und mutig, was ihn zum derzeit gefährlichsten Akteur des Mittelgewichts neben Golowkin machen dürfte. De la Hoya könnte sich also zumindest gewisse Hoffnungen machen, daß der Kasache dabei Schaden nimmt. [2]

Allerdings ist natürlich ungewiß, ob nicht auch David Lemieux eine Nummer zu groß für "Canelo" wäre. Als der Mexikaner im September 2016 gegen den als klaren Außenseiter gehandelten Liam Smith antrat, gelang es dem beherzt angreifenden Briten, diverse Treffer ins Ziel zu bringen. Da er jedoch körperlich klar unterlegen war, fehlte es seinen Schlägen an Wirkung, um Saul Alvarez entscheidend zu beeinträchtigen. Das sähe im Falle des Kanadiers schon ganz anders aus, der nicht minder druckvoll als Smith auf den Star der Golden Boy Promotions losmarschieren, aber weit gefährlicher zuschlagen würde.


Fußnoten:

[1] http://www.boxingnews24.com/2017/10/david-lemieux-dangerous-opponent-billy-jo-saunders/#more-245622

[2] http://www.boxingnews24.com/2017/10/lemieux-earn-canelo-fight-win-saunders/#more-245683

26. Oktober 2017


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