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MELDUNG/2280: Cruisergewicht - Wahn und Wirklichkeit ... (SB)



Tony Bellew will sich mit Aleksandr Ussyk messen

Kaum war Aleksandr Ussyk zum Weltmeister aller vier maßgeblichen Verbände im Cruisergewicht aufgestiegen, als er auch schon Tony Bellew als seinen nächsten Gegner ins Gespräch brachte. Der Brite sprang postwendend auf die Offerte an und beauftragte seinen Promoter Eddie Hearn, diesen Kampf auf die Beine zu stellen. Daß Bellew nicht gerade für eine realistische Einschätzung der eigenen Fähigkeiten bekannt ist, spiegelt sich auch in seiner Mutmaßung wider, aus welchem Grund die Wahl des Ukrainers auf ihn gefallen ist. Er habe das Cruisergewicht zwischen 2014 und 2016 dominiert, und Ussyk wolle sich mit dem besten Akteur dieser Gewichtsklasse messen, meint der Brite. Er werde Ussyk geschlagen auf die Bretter schicken, um seine Karriere mit diesem abschließenden Triumph zu krönen und zu beenden.

Auf welche Weise der 34jährige Brite das bewerkstelligen könnte, ist allerdings schleierhaft. Aleksandr Ussyk, drei Jahre jünger und in 15 Kämpfen ungeschlagen, wird derzeit als einer der besten Boxer aller Gewichtsklassen gehandelt. Murat Gassijew mußte sich ihm vor Wochenfrist im Finale der World Boxing Super Series in Moskau klar geschlagen geben, so daß seine beiden Titel den Besitzer wechselten und die Sammlung des Ukrainers komplettierten. Dessen ungeachtet ist Tony Bellews Euphorie nicht zu bremsen: Er schlage viel härter als Gassijew zu und habe das in den letzten Jahren ein ums andere Mal bewiesen. Entweder sind dem Briten die beiden Siege über seinen körperlich beeinträchtigten Landsmann David Haye maßlos zu Kopf gestiegen oder er handelt wider besseren Wissens stets nach der Devise, sein Licht niemals unter den Scheffel zu stellen und die Kämpfe herbeizureden, die er haben möchte.

Murat Gassijews Schlagwirkung stellt Bellews diesbezügliche Qualitäten definitiv in den Schatten. Aleksandr Ussyks Kunst bestand nicht zuletzt darin, den Russen nicht zur Entfaltung kommen zu lassen. Zugleich stellte der Ukrainer eine äußerst robuste Konstitution unter Beweis, indem er insbesondere einen Volltreffer in der dritten Runde verkraftete, der ihn sichtlich erschütterte. Wenn Belew verkündet, er werde Ussyks Kinn auf die Probe stellen, verkehrt er die Verhältnisse ins Gegenteil. Das gilt um so mehr für seine Behauptung, er sei der führende Akteur im Cruisergewicht gewesen. Als ihn der Verband WBC aufforderte, seinen damaligen Titel gegen Mairis Briedis zu verteidigen, kaufte er sich frei und trat statt dessen im Oktober 2016 gegen den wesentlich schwächeren BJ Flores an. Danach stieg er ins Schwergewicht auf, wo er zwei lukrative Kämpfe gegen David Haye gewann. Im ersten Duell dominierte Haye, der jedoch aufgrund einer Verletzung an der Achillessehne aufgeben mußte. Bei der Revanche war er nur noch ein Schatten früherer Tage, so daß Bellew abermals die Oberhand behielt.

Der tatsächliche Grund, warum Ussyk ausgerechnet auf Bellew verfallen ist, liegt auf der Hand: Nirgendwo sonst könnte er auf Anhieb so viel Geld mit einer lösbaren Aufgabe verdienen, da der Brite im einheimischen Pay-TV etabliert ist. Dank Hearns Vertrag mit Sky Sports werden auch Tony Bellews Auftritte bei Sky Box Office übertragen. Kämpfe gegen Mairis Briedis, Yunier Dorticos, Denis Lebedew, Krzystof Glowacki oder eine Revanche gegen Murat Gassijew wären gefährlicher, aber weit weniger lukrativ für den Ukrainer. Bellew könnte zwar auch im Schwergewicht mit Tyson Fury große Kasse machen, doch müßte er nach Lage der Dinge wohl bis zu zwei Jahre auf diese Gelegenheit warten, was er sich schlichtweg nicht leisten kann. Die einzig ersichtliche Goldgrube könnte Aleksandr Ussyk sein, was erklärt, warum der Brite die damit verbundenen Risiken herunterspielt. [1]

Laut Eddie Hearn hat ihn Tony Bellew geradezu bekniet, einen Kampf mit Ussyk möglich zu machen. Sein guter Rat, doch wenigstens im Schwergewicht gegen ihn anzutreten und nicht nach zwei Jahren wieder ins Cruisergewicht zurückzukehren, sei leider auf taube Ohren gestoßen. Bellew habe sich in den Kopf gesetzt, dem Ukrainer die vier Gürtel abzunehmen und damit Boxgeschichte zu schreiben. Wenn er schon alles riskiere, dann auch für den höchstmöglichen Lohn. Nun fällt dem führenden britischen Promoter die knifflige Aufgabe zu, Bellew beizubringen, daß er dabei weit weniger als zuletzt gegen David Haye verdienen würde, und zugleich Ussyk bei der Stange zu halten. Er habe bereits bei dessen Manager Egis Klimis und den K2 Promotions vorsondiert, die beide großes Interesse signalisiert hätten. Jetzt sei es im wesentlichen eine Frage des Geldes, ob dieser Kampf im November stattfinden könne oder nicht. [2]

Dabei denkt Eddie Hearn wie immer weit über den Tag hinaus. Wenn Aleksandr Ussyk ins Schwergewicht aufsteigen und dort Anthony Joshua herausfordern wolle, müsse er zuerst gegen Tony Bellew und dann gegen Dillian Whyte antreten. Hearn führt wie so oft Torwächter ins Feld, die seinen einträglichsten und erfolgreichsten Champion abschirmen. Allerdings könnte eine Niederlage Whytes gegen den früheren WBO-Weltmeister Joseph Parker am Samstag diese Pläne durchkreuzen, so daß der britische Promoter möglicherweise auf den kürzlich verpflichteten US-Amerikaner Jarrell Miller als Hindernis für Ussyk zurückgreifen müßte. Hearns Überlegungen haben durchaus Hand und Fuß. Der Ukrainer ist eine Attraktion, die er gern für Matchroom Boxing unter Vertrag nehmen würde. Solange das aber noch nicht der Fall ist, will er ihn mit Kämpfen gegen Schwergewichtler einbinden, die unter der Obhut von Matchroom Boxing in den Ring steigen. Ussyk ist zumindest in Europa weithin bekannt und wird noch erheblich an Marktwert gewinnen, wenn er künftig auch in der Königsklasse international von sich reden macht.

Wenn Hearn daher den Eindruck erweckt, Bellews aberwitziges Vorhaben nötige ihn als Promoter, seiner Verpflichtung nachzukommen und diesen Wunsch zu erfüllen, ist diese Darstellung längst Teil einer umfassenderen Strategie, die Zukunft wenn irgend möglich mit Aleksandr Ussyk zu planen. Anthony Joshua ist der Magnet, auf den alle fliegen, die von Ruhm und Reichtum träumen. Diese Zugkraft macht sich Hearn zunutze, indem er das Vorfeld nach seinen Maßgaben gruppiert und gestaltet, Hürden errichtet und Perspektiven eröffnet, vor allem aber dafür Sorge trägt, daß alle zentripetalen Bewegungen seiner Regie unterworfen werden.


Fußnoten:

[1] www.boxingnews24.com/2018/07/bellew-says-hell-knockout-usyk-and-then-retire/#more-267444

[2] www.boxingnews24.com/2018/07/hearn-wants-usyk-to-face-bellew-then-dillian-whyte/#more-267558

27. Juli 2018


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