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MELDUNG/2335: Schwergewicht - mehr als nur ein Lückenbüßer ... (SB)



Anthony Joshua verteidigt seine Titel gegen Andy Ruiz

Der britische Schwergewichtler Anthony Joshua verteidigt die Titel der Verbände WBA, WBO und IBF am 1. Juni im New Yorker Madison Square Garden gegen Andy Ruiz. Ursprünglich war Jarrell Miller als Gegner vorgesehen, der jedoch ausfiel, da er dreimal positiv auf verbotene Substanzen getestet und für ein halbes Jahr gesperrt wurde. Joshuas Promoter Eddie Hearn hatte die Qual der Wahl, da er kurzfristig für angemessenen Ersatz sorgen mußte. Das dürfte ihm gelungen sein, da der in Kalifornien lebende Boxer mit mexikanischen Wurzeln in etwa so stark wie Miller, wenn nicht gar als gefährlicher eingeschätzt wird. Dem in 22 Kämpfen ungeschlagenen Weltmeister steht daher bei seinem Debüt in den USA, das dort vom Streamingdienst DAZN und zu Hause auf der Insel von Sky Box Office übertragen wird, eine anspruchsvolle Aufgabe bevor.

Der mit 29 Jahren gleichaltrige Herausforderer hat 32 Auftritte gewonnen und nur einmal gegen Joseph Parker verloren. Da der damalige Kampf um den vakanten WBO-Titel 2016 in Neuseeland ausgetragen wurde, profitierte der Lokalmatador nach Auffassung vieler Experten bei seinem Punktsieg vom Heimvorteil. Zuletzt hat sich Ruiz am 20. April in Carson, Kalifornien, in der fünften Runde gegen Alexander Dimitrenko durchgesetzt, der nicht mehr zum folgenden Durchgang antrat. Daß die Wahl letztendlich auf ihn gefallen ist, obgleich er zuvor überhaupt nicht zur Debatte gestanden hatte, beschert dem Kalifornier einen wahren Glückstreffer. Er verdient mehr Geld als je zuvor in seiner Karriere, katapultiert sich landesweit wie auch international ins Rampenlicht und könnte natürlich für eine kleine Sensation sorgen, stieße er den Champion vom Thron. [1]

Da der Kampf gegen Dimitrenko noch nicht lange zurückliegt, dürfte Ruiz nach wie vor in guter körperlicher Verfassung sein, so daß ein auf vier Wochen verkürztes Trainingslager ausreichen sollte. Vom äußeren Erscheinungsbild her könnte der Unterschied zwischen Joshua und Ruiz kaum größer sein. Während der muskelbepackte Brite an einen Bodybuilder erinnert, wirkt der füllige Herausforderer auf den ersten Blick eher nicht wie ein Boxer in Bestform. Doch der Eindruck täuscht, zumal in dieser Disziplin ohnehin andere Qualitäten als landläufig gutes Aussehen gefragt sind. Ruiz ist relativ schnell, kann gewaltig zuschlagen und gilt als konditionsstark, wobei ihm vor allem sein Durchhaltevermögen eine Chance gegen Joshua verschaffen könnte, dem häufig nach einigen Runden die Luft ausgeht.

Anthony Joshua ist mit 1,98 m deutlich größer als der 1,88 m messende Kalifornier und bringt etwa 113 kg auf die Waage. Ruiz wog zuletzt 119 kg, doch strebt er eigenen Angaben zufolge eine Gewichtsreduzierung auf rund 111 kg an. Wie der Herausforderer in einer aktuellen Stellungnahme mitteilt, könne er fast nahtlos an das Training vor dem Kampf gegen Dimitrenko anknüpfen. Nach einem weiteren Monat intensiver Vorbereitung werde er in noch besserer Verfassung in den Ring steigen. Sein Ziel seien gut 110 kg, wie er sie zuletzt vor drei Jahren gewogen habe. Sollte er dieses optimale Kampfgewicht erreichen, gebe es dort draußen keinen Gegner, der seiner Schnelligkeit gewachsen wäre. Das wirft natürlich die naheliegende Frage auf, warum er nicht immer so leicht antritt. Gegen Parker wog er etwa 116 kg, und bei den drei Kämpfen, die er seither bestritten hat, schwankte sein Gewicht zwischen 115 und 119 kg. Deshalb kann man wohl davon ausgehen, daß er kaum leichter als Joshua sein wird, wenn die beiden aufeinandertreffen. [2]

Daß in den sozialen Medien angesichts dieses Herausforderers Enttäuschung vorzuherrschen scheint, ist nicht zuletzt darauf zurückzuführen, daß John Ruiz nur in Kalifornien populär, ansonsten aber nicht sonderlich bekannt ist. Wenngleich Joshua klarer Favorit bleibt, könnte er mit diesem kampfstarken Kontrahenten durchaus Probleme bekommen. Auf jeden Fall macht dessen Wahl mehr Sinn als die Michael Hunters, der zuletzt als Alternative im Gespräch war. Ruiz kann die riesige mexikanische Fangemeinde mobilisieren und dank seiner Zweisprachigkeit das gesamte Spektrum des Publikums abdecken, was bei der Werbung für den Kampf von großem Vorteil sein dürfte.

Ehe John Ruiz in den unverhofften Genuß dieses Titelkampfs kam, hatten Anthony Joshua und Eddie Hearn eine Liste prominenterer Namen abgearbeitet. Ursprünglich waren Deontay Wilder, Tyson Fury und mit Abstrichen Dillian Whyte im Gespräch. Keiner der drei war mit dem finanziellen Angebot zufrieden, das Hearn auf den Tisch legte. In der Folge kristallisierte sich Jarrell Miller als bestmögliche verbliebene Option heraus, zumal er in New York als Lokalmatador antreten würde und ein loses Mundwerk hat. Kaum hatte man sich langsam mit dieser Aussicht angefreundet, als die Kontrollen der Antidopingagentur VADA dem vorgesehenen Herausforderer den Auftritt verhagelten. Nun war guter Rat teuer, da die Zeit drängte und der Streamingdienst DAZN wie auch der Madison Square Garden einen namenlosen Ersatzkandidaten kaum akzeptiert hätten.

Unter diesen Umständen konnte Eddie Hearn nicht umhin, Luis Ortiz ins Visier zu nehmen, obgleich man dem gefährlichen Kubaner bislang tunlichst aus dem Weg gegangen war. Ortiz links liegenzulassen wäre mit einem unkalkulierbaren Imageschaden verbunden gewesen, da dieser Auftritt Joshuas kein Selbstgänger vor heimischem Publikum ist, sondern das Geschäft in den USA für ihn erschließen soll. Gerüchten zufolge verlangte das Management des Kubaners jedoch eine Börse von 10 Millionen Dollar, was die Miller zugesagten 4,875 Millionen verdoppelt hätte. Das ließ Eddie Hearn nicht zu, weshalb Ortiz umgehend aus dem Rennen war. So blieben von der ursprünglichen Liste möglicher Kandidaten schließlich nur noch John Ruiz und Michael Hunter übrig.

Hunter kommt jedoch aus dem Cruisergewicht, hat erst zwei Auftritte im Schwergewicht absolviert und ist den Riesen, die heute die Königsklasse dominieren, körperlich kaum gewachsen. Er gehörte zwar als Amateur der US-amerikanischen Olympiamannschaft an, ist aber relativ unbekannt. Eddie Hearn hat ihn kürzlich für Matchroom Boxing unter Vertrag genommen, wo er sich unter die weiteren Schwergewichtler Murat Gassijew, Oleksandr Ussyk, Zhilei Zhang, Dave Allen, Dereck Chisora und Filip Hrgovic einreiht. Der britische Promoter fährt besser damit, auch Hunter für spezielle Zwecke bereitzuhalten, als ihn gegen Anthony Joshua ohne nennenswerten Brennwert zu verheizen. Michael Hunter würde mit Sicherheit untergehen, ohne daß Joshuas Stern dadurch in den USA steigen könnte. Diese Konstellation spielte John Ruiz in die Karten, an den anfangs wohl niemand dachte, der aber am Ende übrigblieb, um an Joshuas US-Debüt zu retten, was noch zu retten ist.


Fußnoten:

[1] www.boxingnews24.com/2019/04/andy-ruiz-jr-faces-anthony-joshua-on-june-1st-at-msg/

[2] www.boxingnews24.com/2019/05/andy-ruiz-jr-when-im-at-245-nobody-can-beat-me/

1. Mai 2019


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