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PROFI/477: Amir Khan braucht keinen amerikanischen Startrainer (SB)


Turbulenzen im Umfeld des populärsten britischen Boxers


Der strahlendste Stern am Himmel der boomenden britischen Boxszene heißt Amir Khan. Im Alter von 17 Jahren gewann der Sohn pakistanischer Einwanderer aus Nordengland bei den Olympischen Spiele 2004 in Athen die Silbermedaille. Seither ist er der Liebling der Medien und hat eine erfolgreiche Profikarriere eingeschlagen. In der National Indoor Arena von Birmingham blieb er jüngst im 18. Kampf ungeschlagen und hat damit seinen Commonwealth-Titel im Leichtgewicht zum fünften Mal erfolgreich verteidigt.

Khan verdarb seinem Gegner Michael Gomez, der ausgerechnet an diesem Tag seinen 33. Geburtstag feierte, gründlich die festliche Stimmung, indem er seine überragende Kondition und Schnelligkeit ausspielte. Gomez, der einst britischer Meister und Champion der unbedeutenden WBU im Superfedergewicht gewesen war, hat seine beste Zeit hinter sich und nun von seinen letzten sieben Auftritten vier verloren. So stieg er als Außenseiter in den Ring und galt als maßgeschneidert für Amir Khan, der an diesem handfesten Kontrahenten und beherzten Fighter seine Überlegenheit demonstrieren wollte.

Während der Sieg des Publikumslieblings den Erwartungen entsprach, ließ sein Leichtsinn doch der zahlreich erschienenen Anhängerschaft die Haare zu Berge stehen. Khan war so sehr damit beschäftigt, die Zuschauer zu unterhalten und die US-amerikanischen Beobachter zu beeindrucken, daß er sich auf eine Keilerei einließ und seine Deckung vergaß. Gomez bestrafte dies in der zweiten Runde mit einem linken Haken, die Khan von den Beinen holte. Erst als der Titelverteidiger auf seine Ecke hörte, die ihn lautstark ermahnte, sich vom Gegner zu lösen und zu kontern, boxte er so souverän, wie man das von ihm kennt.

Bedenklich stimmt indessen, daß dies bereits der dritte Niederschlag war, den Khan einstecken mußte. Im Jahr 2006 hatte ihn der Franzose Rachid Drilzane und im Juli 2007 Willie Limond auf die Bretter geschickt, wobei beide nicht als Knockouter gelten. Amir Khan verfügt über außergewöhnliches Talent und große Hingabe, doch braucht er zugleich eine kompetente Führung, die ihn vor Eskapaden im Ring bewahrt. Langsam aber sicher dringt er in die Sphäre der weltbesten Boxer seiner Gewichtsklasse vor, die mit Kampfkraft und Killerinstinkt solche Schwächen gnadenlos zu ihren Gunsten nutzen.

Amir Khans Vater Shah, der die Karriere seines Sohnes stets mit Argusaugen überwacht und in allen wichtigen Fragen mitbestimmt hat, war die treibende Kraft bei der Entlassung des langjährigen Trainers Oliver Harrison aus Salford nach dem Kampf gegen den Dänen Martin Kristjansen im April. Da Gerüchte für böses Blut sorgten, als Nachfolger solle ein Startrainer aus den USA verpflichtet werden, und überdies der nächste Ringauftritt nicht mehr lange auf sich warten ließ, mußte umgehend Ersatz gefunden werden.

Der 42 Jahre alte Dean Powell ist kein Unbekannter im Lager Amir Khans, da er in der Vergangenheit als Matchmaker bei Promoter Frank Warrens "Sports Network" geeignete Gegner für den Jungstar beschafft hat, an denen sich dieser voranarbeiten konnte. Wenngleich er selbst nie in nennenswertem Umfang geboxt hat, stand er doch bereits bei etlichen guten Boxern in der Ecke und gilt als ausgesprochener Kenner der Branche. Als ihm der Posten zunächst auf vorläufiger Basis angetragen wurde, sagte er sofort zu und zog nach Bolton um, wo Khan seine eigene Trainingshalle besitzt.

Powell nahm diese und jene Änderung vor, die Khan gefiel und ihm den Eindruck vermittelte, er könne sich damit weiter verbessern. So gab er eine positive Rückmeldung über die Zusammenarbeit mit seinem neuen Trainer, der seinerseits nur zu gern die Betreuung des vielversprechendsten britischen Boxers auf Dauer übernehmen möchte. Wie er betonte, gebe es keine Veranlassung, in die USA zu gehen. Khan habe in Bolton alles, was er brauche, und wenn man gute Sparringspartner benötige, müßten sie eben nach Nordengland kommen.

Für Kondition und Ernährung ist weiterhin Phil Richards zuständig, der früher Ausbilder bei der Armee war und sich in Rugby, Fußball und anderen Disziplinen mit Erfolg um die Fitneß der Sportler gekümmert hat. Amir Khan ist so etwas wie sein Musterschüler, dessen Trainingsfleiß und Lebensführung er als beispielhaft lobt. Richards lehnt in diesem Zusammenhang ein Krafttraining wie beim Bodybuilding kategorisch ab und verweist auf die Schnelligkeit seines Schützlings, die dessen größten Kapital sei. Wolle man die Stärke verbessern, dürfte das nur auf dynamische Weise geschehen.

Dean Powell blieben nur sechs Wochen, um Khan auf den Kampf gegen Gomez vorzubereiten, und er hat diese Aufgabe offenbar recht gut bewältigt. Vor Selbstgefälligkeit und Leichtfertigkeit seines Boxers ist auch der beste Trainer nicht gefeit, und wie sich in Birmingham zeigte, gelang es Powell jedenfalls, seinen Schützling zur Räson und auf die Siegerstraße zurückzubringen. Tatsächlich ist gegenwärtig nicht abzusehen, was ein prominenter US-Coach besser machen sollte, denn Amir Khan, der so etwas wie eine intuitive Begabung im Ring an den Tag legt, braucht keinen Trainer, der mit vorgeblichen Geheimnissen hausiert, sondern einen Wegbegleiter, der ihn erreicht und immer wieder auf den Boden des Handwerks zurückholt, wenn er abzuheben droht. Ob Powell dieser Anforderung gerecht wird, kann sich natürlich erst auf längere Sicht erweisen, weshalb das Umfeld Amir Khans gut beraten wäre, ihm dazu Gelegenheit zu geben.

4. Juli 2008