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PROFI/481: Samuel Peter fand kein Mittel gegen Vitali Klitschko (SB)


Nach Aufgabe des Nigerianers ist Klitschko wieder WBC-Weltmeister


Als Samuel Peter nicht mehr zur neunten Runde aus seiner Ecke kam, war das Debakel des entthronten WBC-Weltmeisters im Schwergewicht perfekt. Auf den Zetteln der Punktrichter, deren Stand nach dem neuen Modus des Verbands World Boxing Council offen angezeigt wird, hatte sein Gegner Vitali Klitschko alle acht Runden gewonnen und den Kampf von Beginn an so eindeutig dominiert, daß an einen Sieg des Nigerianers nicht mehr zu denken war. Während der Titelverteidiger von einem frühen Cut an der Lippe, einer Verletzung am Auge und weiteren Blessuren schwer gezeichnet wie auch konditionell am Ende war, trug der Ukrainer nicht einmal eine Schramme und schien nach wie vor in ausgezeichneter Verfassung zu sein. Am schwersten wog jedoch die demoralisierende Überlegenheit des Herausforderers, gegen den Peter einfach kein Mittel fand.

Rückblickend gesehen fiel die Entscheidung bereits in der ersten Runde, als Klitschko nicht lange zauderte, sondern seinem Gegner mit mehreren Treffern deutlich zu verstehen gab, wie riskant es war, sich ihm zu nähern. Samuel Peter marschierte zwar meist voran, doch rückte er dem Ukrainer nur selten so konsequent zu Leibe, daß sich ihm die Chance zu Wirkungstreffern bot. Damit war die Hauptgefahr eines heftigen Angriffsdrucks seitens des Nigerianers gebannt, was es Klitschko erlaubte, seine Vorteile weitgehend ungehindert auszuspielen. Mit seinem weiten Ausfallschritt hatte er jederzeit Raum, rasch nach hinten auszuweichen, während seine fast durchweg hängende Linke eine für Peter unberechenbare Waffe blieb, die von unten, oben oder als durchgestoßene Gerade einschlagen konnte. Zudem ließ der Ukrainer des öfteren die Rechte folgen, die meist schräg von oben kommend die Deckung des Nigerianers überwand. Klitschko boxte sehr konzentriert, legte überwiegend den Rückwärtsgang ein und ließ sich nie in einer Ecke oder in den Seilen festnageln. Zugleich lauerte er unablässig auf eine Trefferchance, die er dann konsequent auszunutzen verstand.

In der Berliner O2-World war Vitali Klitschko von der fast vier Jahre langen Kampfpause nichts anzumerken, während Peter nur selten aus der Nahdistanz Akzente setzen konnte und in der achten Runde bedenklich wankte. Zwei Punktrichter hatten Klitschko zu diesem Zeitpunkt mit 80:72 vorn, der dritte mit 79:73, worauf der Ukrainer nach der Aufgabe seines Gegners zum Sieger durch technischen K.o. erklärt wurde.

Man habe aus gesundheitlichen Gründen so entschieden, erklärte Peters Manager Ivaylo Gotsev. "Samuel konnte nichts mehr beweisen, es war nicht seine Nacht, er muß ein andermal wiederkommen um zu kämpfen." Wie Samuel Peter nach seiner Niederlage in einem kurzen Statement gegenüber dem Sender RTL erklärte, sei er nicht enttäuscht: "Ich habe getan, was ich konnte, aber Vitali war einfach der Bessere. Daß er so eine Leistung gezeigt und sich aufgerappelt hat, ist wirklich toll." WBC-Präsident José Sulaiman, der ausnahmsweise sogar nach Deutschland gereist war, lobte den Sieger in den höchsten Tönen: "Das war der beste Abend, den ich je von Vitali Klitschko gesehen habe. Er hat den besten Schwergewichtler geschlagen, den es derzeit gibt." Und Promoter Don King verkündete mit seinem berühmten breiten Lachen: "Der Mann war par excellence. Er hat das Unmögliche möglich gemacht. Er hat gezeigt, daß er er als Boxer besser ist, als er als Bürgermeister gewesen wäre", womit er natürlich auf zweite Niederlage Klitschkos bei den Wahlen in Kiew anspielte.

"Ich bin kein Risiko eingegangen. Ich habe es geschafft, meinen Traum zu realisieren", sagte Vitali Klitschko, während ihn sein Bruder bewegt beglückwünschte: "Brüderchen, ich hätte nicht gedacht, daß du Samuel Peter nach so vielen Jahren so auseinandernimmst. Du hast bewiesen, daß du der Bessere der Klitschkos bist. Ich bin stolz auf dich. Wir haben Geschichte geschrieben!" "Vitali hat Samuel Peter vorgeführt wie einen Anfänger", faßte Trainer Fritz Sdunek den unerwartet souveränen und ungefährdeten Auftritt seines Schützlings zusammen. Wäre Peter nicht als Weltmeister angereist, müßte man ihn zu einem schlecht ausgewählten oder zuvor künstlich aufgewerteten Gegner erklären. Erinnert man sich jedoch daran, daß er Wladimir Klitschko dreimal am Boden hatte, ehe er nach Punkten verlor, und ansonsten alles niedergewalzt hatte, was sich ihm in den Weg stellte, weiß man, wie gefährlich der "nigerianische Alptraum" für gewöhnlich boxt.

Daß er in Berlin so begrenzt, unbeholfen und oftmals hilflos wirkte, war darauf zurückzuführen, daß ihm der Ukrainer in einem Aufeinandertreffen zweier inkompatibler Boxstile seine Kampfesweise aufzwang und damit seine körperlichen Vorteile voll ausspielen konnte. Peter mochte pendeln, sich abducken und seine Schwinger abfeuern so viel er wollte - Klitschko war davon weitgehend unbeeindruckt, da er meist außerhalb der Reichweite des Nigerianers blieb und viel steifer als dieser die aufwendigen Schwünge gar nicht erst mitvollzog. Die Treffer des Nigerianers landeten von wenigen Ausnahmen abgesehen auf Klitschkos Brust, während der Ukrainer beinahe mit Muße Maß nehmen konnte. Peter wurde häufig und hart getroffen, doch bewies er enorme Nehmerqualitäten, da ihn Klitschko zwar mehrfach ins Schwanken und insbesondere in der achten Runde in Bedrängnis, doch nicht an den Rand eines Niederschlags brachte. "Ich kann hauen", sagte Klitschko später verwundert, "und meine Hände sind geschwollen, trotzdem stand Samuel immer noch".

Als die Ecke des 28jährigen Nigerianers vernünftigerweise die Aufgabe signalisierte, mischte sich in die Begeisterung der Zuschauer auch Enttäuschung über das unspektakuläre Ende eines allzu einseitigen Kampfs. So waren neben dem Jubel der feiernden Klitschko-Fans auch Pfiffe und Buhrufe zu hören, da man doch mit einem dramatischeren Verlauf des Duells zweier Knockouter gerechnet hatte. Im Vorfeld war ja die Hoffnung auf einen offenen Ausgang geschürt worden, zumal selbst Ex-Weltmeister Lennox Lewis auf einen K.o.-Sieg Peters getippt hatte.

Die Inszenierung der Show bediente die mutmaßliche Bedürfnislage der medialen Zielgruppe mit einer vollen Breitseite, die von einem Auftritt der Pussycat Dolls über die gefühlsbetonte Einbindung von Klitschkos Ehefrau Natalie bis hin zu einem gewaltigen Licht- und Klangspektakel reichte - nicht zu vergessen das bei den Olympischen Spielen in Peking abgekupferte Spalier aus Hologrammen, in dem die fünf Ex-Weltmeister George Foreman, Joe Frazier, Evander Holyfield, Lennox Lewis und Mike Tyson dem Ukrainer aufmunternde Worte mit auf den Weg zum Ring gaben.

Seit Klitschko den Titel 2005 aus Verletzungsgründen niedergelegt hatte, wurde er beim WBC als "Weltmeister im Ruhestand" geführt. Die Fragwürdigkeit dieses Winkelzugs von WBC-Präsident José Sulaiman, die unter anderen Umständen als extreme Vetternwirtschaft verurteilt worden wäre, schien offenbar niemand zu interessieren, da man den hierzulande populären Ukrainer wieder als Weltmeister sehen wollte. Da es ihm tatsächlich gelungen ist, nach 1.400 Tagen Ringabstinenz die Rückkehr zum Triumph zu gestalten und gemeinsam mit seinem Bruder Weltmeister im Schwergewicht zu sein, fragt erst recht niemand mehr nach der seltsamen Vorgeschichte dieses Titelkampfs.

Während Wladimir Klitschko Champion der Verbände IBF und WBO sowie der unbedeutenden IBO ist, besitzt Vitali nun den Gürtel des WBC. Pflichtherausforderer dieses Verbands ist der kubanische Ex-Weltmeister im Cruisergewicht Juan Carlos Gomez aus dem Hamburger Arena-Boxstall. Die Trophäe der WBA hat sich der riesige Nikolai Walujew Ende August im Duell mit dem Puertoricaner John Ruiz zurückgeholt, wobei sich der Russe noch Ruslan Tschagajew aus dem Universum-Boxstall stellen muß, der den Titel zuvor trug, aber ihn mehrmals wegen Verletzungen nicht verteidigen konnte. Wladimir Klitschko tritt am 13. Dezember gegen Alexander Powetkin aus dem Sauerland-Boxstall an, den Pflichtherausforderer der IBF.

Mit seiner beeindruckenden Vorstellung lieferte Vitali Klitschko natürlich die besten Argumente, die Boxerlaufbahn noch einige Zeit fortzusetzen. Nachdem er nun zum dritten Mal in seiner zwölf Jahre währenden Profikarriere Weltmeister geworden ist, reizt ihn zweifellos die Vorstellung, sich auch noch die Trophäe der WBA zu holen und damit gemeinsam mit seinem Bruder die gesamte Konkurrenz aus dem Feld geschlagen zu haben. Unmittelbar nach seinem Sieg ließ Klitschko noch offen, welche Pläne er künftig zu schmieden gedenkt. "Ohne Träume ist das Leben langweilig, ich werde zusammen mit meinem Bruder weiterträumen", hielt er sich zunächst bedeckt. Mit den Worten "Fortsetzung folgt" deutete Klitschko bei der anschließenden Pressekonferenz dann aber doch noch an, daß er das erneute Ende seiner sportlichen Laufbahn noch nicht für gekommen hält. "Ich bin bereit, sofort um die WM zu boxen. Wenn ich gesund bin, sehe ich kein Hindernis. Der Traum ist, alle Titel in der Klitschko-Familie zu haben", erklärte er.

Trainer Fritz Sdunek hofft natürlich ebenfalls, daß die erfolgreiche Zusammenarbeit eine Zukunft hat: "Nach so einem Kampf kann man nicht aufhören. Ich denke schon, daß es noch ein paar Kämpfe geben wird", so Sdunek. Ein Duell der Brüder, das die Klitschkos stets weit von sich gewiesen haben, hält auch Don King für ausgeschlossen: "Vitali und Wladimir werden niemals gegeneinander kämpfen, das kann man vergessen", erklärte der US-Promoter kategorisch.

12. Oktober 2008