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PROFI/512: Ein Arm reicht Vitali Klitschko zum Sieg über Dereck Chisora (SB)



Chisora nach Prügelei mit David Haye festgenommen

Vitali Klitschko hat den Titel des WBC-Weltmeisters im Schwergewicht in der Münchner Olympiahalle durch einen einstimmigen Punktsieg über den britischen Herausforderer Dereck Chisora erfolgreich verteidigt (118:110, 118:110, 119:111). Da sich der Ukrainer in der vierten Runde eine Verletzung an der linken Schulter zugezogen hatte, die später nach einer Kernspintomographie im Klinikum Bogenhausen als Sehnenanriß diagnostiziert wurde, mußte er seinen Gegner mit dem rechten Arm in die Schranken weisen. Unter diesen Umständen gelang es dem Champion nicht, Chisora wie erwartet klar zu dominieren und vorzeitig in die Kabine zu schicken. Während für Klitschko nach diesem Erfolg 44 Siege und zwei Niederlagen zu Buche stehen, hat der Brite nun 15 Auftritte gewonnen und drei verloren.

Der mit 28 Jahren wesentlich jüngere Herausforderer ging von Beginn an in die Offensive und versuchte Klitschko in die Enge zu treiben, doch schlug er dabei mit seinen wilden Schwingern größtenteils Löcher in die Luft, während er mehrmals in Uppercuts des Weltmeisters lief. Im zweiten Durchgang verlegte sich der Brite auf Schläge zum Körper, die ihm auch recht gut gelangen, doch agierte er dabei so statisch, daß sich Klitschko postwendend revanchieren konnte. In der Folge ließen die Kontrahenten Genauigkeit ihrer Aktionen vermissen, wobei der Ukrainer ab der vierten Runde von seiner Verletzung beeinträchtigt war. Er konnte mit seiner Führhand, die seine Gegner für gewöhnlich auf Distanz hält, daher deutlich weniger ausrichten, so daß Chisora in seinem Vorwärtsdrang selten eingeschränkt wurde. In einem ausgeglichenen sechsten Durchgang landete der Herausforderer zwar einen Volltreffer, mußte aber seinerseits etliche Schläge einstecken.

Da der Brite seine Chance witterte und weiter Druck machte, sah sich Vitali Klitschko erstmals seit Jahren zu einer entschieden kämpferischen Leistung genötigt. Zwar traf der Ukrainer des öfteren, doch entfalteten seine Schläge nicht die Wirkung, seinen Gegner aufzuhalten, der mit Schwingern die Entscheidung suchte. In der neunten Runde lief Chisora mehrmals voll in die Rechte des Champions, und auch zu Beginn des folgenden Durchgangs machte Klitschko die bessere Figur. Der Brite steckte jedoch nie auf und arbeitete sich verbissen heran, wofür er jedoch in der elften Runde schwere Konter kassierte. Erst im zwölften und letzten Durchgang dominierte wieder der Herausforderer, während Klitschko Mühe hatte, seinen Vorsprung nach Hause zu bringen.

Der 40jährige Weltmeister war bei seiner achten Titelverteidigung wesentlich mehr gefordert als in den vorangegangenen Auftritten und konnte nicht wie gewohnt überzeugen. Berücksichtigt man jedoch die Schulterverletzung und die daraus resultierende Demobilisierung des linken Arms, bot er dennoch eine beachtliche Leistung. So war sein Sieg unbestritten, wenngleich die Wertung in Anbetracht des phasenweise recht engen Verlaufs zu deutlich ausfiel.

Im anschließenden Interview zeigte sich Vitali Klitschko etwas enttäuscht, da er sich eine deutlichere Abreibung für den Briten erhofft habe. Weil Chisora hochmotiviert zu Werke gegangen und stets nach vorn marschiert sei, habe sich der Kampf schwierig gestaltet. Sportlich gesehen habe der Brite eine gute Leistung gezeigt, doch menschlich habe er keinen Respekt vor ihm. Damit bezog sich Klitschko nicht nur auf die Ohrfeige, die ihm der Herausforderer am Vortag nach dem Wiegen verpaßte hatte, sondern insbesondere auf die Ereignisse bei der nachfolgenden Pressekonferenz. Dem schloß sich Wladimir Klitschko mit den Worten an, er schäme sich für solche Boxer wie Chisora. Das gehöre nicht in den Sport. Weltmeister wie Joe Louis, Max Schmeling, Rocky Marciano und Muhammad Ali hätten alle Respekt vor ihrem Gegner gezeigt. Hingegen erklärte Chisora, der sich zumindest unmittelbar nach dem Kampf als fairer Verlierer zeigte, ihm sei es gleichgültig, wenn das Publikum buhe. Was ihn geschlagen habe, sei die Erfahrung des Champions gewesen. Er verlange eine Revanche, egal gegen welchen Klitschko.

Zum Eklat des Abends kam es im weiteren Verlauf der Pressekonferenz, als sich Dereck Chisora und sein Landsmann David Haye, der als Experte für einen britischen Fernsehsender anwesend war, ein hitziges Wortgefecht lieferten. Aus 30 Metern Entfernung pöbelte Haye zunächst gegen die Klitschkos und deren Manager Bernd Bönte. Als sich Chisora berufen sah, auch etwas zu der angespannten Situation beizutragen, forderte er Haye zum Kampf heraus. Chisora sei ein "Loser", der dreimal in Folge verloren habe, lästerte Haye daraufhin. "Wie geht's dem kleinen Zeh?", konterte Chisora in Anspielung auf die fadenscheinige Entschuldigung seines Landsmanns nach der Niederlage gegen Wladimir Klitschko im vergangenen Jahr.

Was zunächst wie ein weiterer Showauftritt der beiden Hitzköpfe anmutete, eskalierte in eine Schlägerei, als Chisora wütend aufsprang und mit Fäusten auf den Widersacher losging. Während sich die umstehenden Journalisten in Panik in Sicherheit zu bringen versuchten, schlugen die beiden auf dem Boden liegend aufeinander ein, dann jagten sie sich durch den Saal, verfolgt von Trainern und Betreuern der beiden Lager. In dem Gewühl soll mit Glasflaschen und Kamerastativen geschlagen worden sein, Hayes Trainer Adam Booth trug eine Schnittwunde davon. Als die Auseinandersetzung endete, sah man Booth blutüberströmt, während der am Mund verletzte Chisora behauptete, Haye habe ihn mit einer Flasche geschlagen, wofür er ihn erschießen werde. Der tobende Herausforderer ließ sich auch von seinem Trainer Don Charles nicht von den Morddrohungen abbringen: "Ich werde ihn finden", kündigte er an, bevor er den Raum verließ.

Hayes Manager Booth trat mit blutigem Gesicht vor das Podium und sagte zu Vitali Klitschko: "Du bist ein großer Kämpfer." Bernd Bönte hingegen beschimpfte er als "eine Schande". Hintergrund des Streits sind die gescheiterten Verhandlungen um einen Kampf gegen Haye, der den Klitschkos wider besseren Wissens erneut vorwirft, sie hätten Angst vor ihm. Wie Bönte dazu erklärte, verlange die Gegenseite zwei Millionen britische Pfund sowie die Hälfte der Einnahmen aus dem Bezahlfernsehen. Diese Forderung sei absurd, weshalb es niemals zu einem erneuten Kampf kommen werde.

In sportlicher Hinsicht wäre Dereck Chisora nach seinem beherzten Auftritt im Ring für die Klitschkos weiterhin ein interessanter Gegner. Manager Bernd Bönte wollte jedenfalls nicht ausschließen, daß es zu einem Rückkampf kommen könnte. Allerdings drohen dem Briten nach seinen Provokationen vor dem Kampf und den Ausschreitungen bei der Pressekonferenz nun Konsequenzen. Nachdem Chisora einen Tag zuvor Klitschko nach dem Wiegen geohrfeigt hatte, spuckte er unmittelbar vor Kampfbeginn Wladimir Klitschko einen kräftigen Schluck Wasser ins Gesicht. Der Weltverband WBC hat bereits 50.000 Dollar Strafe für die Ohrfeige gegen den Briten verhängt. Ungeschoren dürfte auch David Haye nicht davonkommen, der den Streit mit Chisora vom Zaun gebrochen hatte. Allerdings hat Haye seit seinem offiziellen Rücktritt vor rund vier Monaten ohnehin keine Boxlizenz mehr. Wie der Präsident des Bundes Deutscher Berufsboxer, Thomas Pütz, erklärte, habe Chisora im Ring nichts zu suchen. Er werde eine Präsidiumssitzung mit dem Ziel einberufen, Chisora und Haye nie wieder in Deutschland boxen zu lassen.

Es sei kriminell, daß Chisora davon rede, Haye zu erschießen, empörte sich Wladimir Klitschko. Dafür müsse er bestraft werden. Als Veranstalter des Abends erstatteten die Klitschkos Anzeige gegen den Briten, der samt seinem Trainer am Flughafen München festgenommen wurde. Er werde von der Kriminalpolizei zu den Vorfällen am Vorabend befragt, teilte ein Polizeisprecher am Sonntagmittag mit. Nach David Haye wurde zu diesem Zeitpunkt noch gesucht.

19. Februar 2012