Schattenblick →INFOPOOL →SPORT → BOXEN

PROFI/531: Außenseiter stellt Timothy Bradley hart auf die Probe (SB)




Knapper Punktsieg des WBO-Champions gegen Ruslan Provodnikow

Am 9. Juni 2012 kam es in Las Vegas zu einem spektakulären Duell im Weltergewicht. Manny Pacquiao, der Weltmeister in acht verschiedenen Gewichtsklassen geworden und damals Champion der WBO war, traf auf den in 28 Profikämpfen ungeschlagenen Timothy Bradley. Der US-Amerikaner trug den Titel desselben Verbands im Halbweltergewicht und stieg eine Klasse auf, um sich mit dem legendären Philippiner zu messen, der seit mehreren Jahren als bester Boxer aller Gewichtsklassen gehandelt wurde. Bei der öffentlichen Übertragung des Auftritts ihres Nationalhelden standen auf den Philippinen zahllose Menschen unter Schock, viele verliehen ihrer Empörung Ausdruck, andere brachen erschüttert in Tränen aus. Vor mehr als 13.000 konsternierten Zuschauern im MGM Grand Garden hatte Bradley aufgrund eines klaren Fehlurteils Pacquiao knapp mit 2:1-Punktrichterwertungen besiegt und damit als Weltmeister entthront. Der 33 Jahre alte Philippiner mußte seine erste Niederlage seit sieben Jahren und 15 gewonnenen Kämpfen in Folge hinnehmen.

Pacquiao hatte laut der Statistik des übertragenden Fernsehsenders HBO fast 100 Schläge mehr als Bradley ins Ziel gebracht und überdies die gefährlicheren Treffer plaziert. Der renommierte frühere Punktrichter Harold Lederman hatte als Experte des Senders den Kampf inoffiziell mit 119:109 für den Philippiner gewertet. In krassem Gegensatz dazu sahen jedoch zwei Punktrichter den US-Amerikaner mit 115:113 in Führung, während der dritte 115:113 für Pacquiao notiert hatte. Kein Wunder, daß das tobende Publikum seiner Empörung lautstark Luft machte, als das Ergebnis verkündet wurde.

Daß Timothy Bradley in der Folge wenig Einsicht zeigte und darauf beharrte, zu Recht gewonnen zu haben, schadete seinem angeschlagenen Ruf noch mehr als der unverdiente Sieg über Pacquiao, um den sich zwangsläufig alle erdenklichen Spekulationen rankten. Obgleich es so gut wie keinen Experten gab, der die Wertung des Kampfs für angemessen erachtete, hütete sich die WBO davor, das Urteil zu revidieren und damit die Büchse der Pandora zu öffnen. Unter Verweis auf die eigenen Statuten erklärte der Verband, das Urteil sei Sache der drei Punktrichter, und schob damit allen nachträglichen Anfechtungen einen Riegel vor.

Angesichts dieser Vorgeschichte war man natürlich gespannt, wie sich Timothy Bradley bei seiner ersten Titelverteidigung behaupten würde. Da offenbar kein namhafter Kontrahent gegen ihn antreten wollte, hatte Promoter Bob Arum mit dem Russen Ruslan Provodnikow einen wenig bekannten Kandidaten verpflichtet. Die beiden Weltergewichtler lieferten einander in Kalifornien einen ausgesprochen turbulenten Kampf, bei dem die Zuschauer auf ihre Kosten kamen. Wenngleich der 29jährige US-Amerikaner technisch klar überlegen war, brachte ihn der Herausforderer mit seiner enormen Schlagwirkung mehrfach in große Gefahr. Am Ende gewann der Titelverteidiger verdient, aber auch mit einer gehörigen Portion Glück und blieb damit WBO-Weltmeister im Weltergewicht wie auch in seinem 30. Profikampf ungeschlagen. Für Ruslan Provodnikow, der sich als Außenseiter prächtig verkauft hatte, stehen nun 22 gewonnene und zwei verlorene Auftritte zu Buche.

Schon die erste Runde schien wie eine Blaupause vorzuzeichnen, wie der gesamte Kampf in seinen markantesten Zügen verlaufen würde. Boxte Bradley aus der Distanz, beherrschte er das Feld und brachte mehr Treffer als der Herausforderer ins Ziel. Ließ er sich wie in der Schlußminute auf den offenen Schlagabtausch ein, bekam er Probleme. Provodnikow versetzte ihm mehrere Wirkungstreffer, worauf Bradley klammern wollte, dabei aber ins Stolpern geriet und zu Boden fiel, wo er eine unfreiwillige Rolle rückwärts hinlegte. Ringrichter Jack Reiss wertete diese unübersichtliche Situation nicht als Niederschlag und ersparte dem Champion damit einen Punktabzug, was sich beim späteren Urteil als bedeutsam erweisen sollte.

Auch im zweiten Durchgang sah es finster für Bradley aus, der nach erneuten schweren Treffern in den Seilen lehnend fast vom Referee aus dem Kampf genommen worden wäre. Hätte sich Provodnikow bei seinen Angriffen weniger verausgabt, wäre Bradley wohl in der nächsten Runde am Ende gewesen. Da sich der Russe bremsen mußte, um Luft zu schöpfen, ließ er Bradley vom Haken, so daß der US-Amerikaner wieder mit seinen schnellen Schlägen punkten konnte. Dem Titelverteidiger kam dabei zugute, daß die Deckung Provodnikows erhebliche Lücken aufwies, durch die er fast nach Belieben vorstoßen konnte.

Auch im fünften Durchgang machte der Weltmeister eine gute Figur, bis er wieder einige wuchtige Schläge des Russen abbekam. Provodnikow konnte in der nächsten Runde einen Volltreffer landen, der Bradley wanken ließ. Erneut entging der US-Amerikaner nur knapp einer Niederlage, worauf er in der Folge auf Abstand bedacht war und sich zurückzog, dabei aber mit schnellen Händen punkten konnte. Nach der sechsten Runde drohte Bradleys Trainer Joel Diaz seinem Schützling mit einem Abbruch des Kampfs, sollte dieser sich nicht an die Anweisungen halten und aus der Distanz boxen. In der achten und neunten Runde landete endlich auch Bradley einige gefährliche Treffer, die eine Rißwunde am linken Augenlid des Gegners hervorriefen, der nun seinerseits Gefahr lief, wegen dieser Verletzung vorzeitig aus dem Kampf genommen zu werden.

Nach der neunten Runde warnte Provodnikows Trainer Freddie Roach seinen Boxer vor einem Abbruch, da dieser zu viele Treffer am Kopf einsteckte. In der nächsten Pause gab Roach schließlich die Parole aus, nur ein Niederschlag könne das Blatt noch wenden. Nachdem sich Bradley in der vorletzten Runde wieder zu einem Schlagabtausch hinreißen ließ, der freilich auch den erschöpften Russen nicht weiterbrachte, mußte dieser im abschließenden zwölften Durchgang alles auf eine Karte setzen. Ein linker Haken brachte den Champion ins Wanken, eine harte Rechte schickte ihn beinahe auf die Bretter. An den Seilen stehend ging Bradley schließlich nach einer Kombination zu Boden, kam schwer angeschlagen wieder hoch und wurde wenige Sekunden später vom Schlußgong vor einer K.o.-Niederlage gerettet. [1]

So mußte sich Ruslan Provodnikow schließlich nach Punkten geschlagen geben, da er Bradley zu viele Runden überlassen und keinen vorzeitigen Sieg erzwungen hatte. Wie das knappe Ergebnis von 114:113, 114:113 und 115:112 zeigte, hätte der Russe zumindest ein Unentschieden erreicht, wäre der Niederschlag in der ersten Runde gewertet worden.

Wie Timothy Bradley im anschließenden Interview einräumte, habe sich Provodnikow als der erste Gegner erwiesen, der ihm wirklich wehtun konnte. Damit blendete er zwar seinen Kampf gegen Manny Pacquiao vollständig aus, doch gab er immerhin zu, wie gefährlich nahe er an einer vorzeitigen Niederlage gestanden hatte. Er habe versucht, in den Infight zu gehen, doch habe ihm der Russe gezeigt, wie stark er dort ist, wußte Bradley natürlich nur zu gut, welche Grenze ihm gesetzt war. Er habe bewiesen, daß er ein großer Kämpfer sei, erklärte sich der US-Amerikaner dennoch für rehabilitiert. Dahinter kann man natürlich trotz seines Erfolgs in einem spektakulären Kampf ein Fragezeichen setzen, berücksichtigt man, daß Ruslan Provodnikow als krasser Außenseiter angetreten war.

Bob Arum, der zweifellos um seinen Weltmeister gebangt hatte, machte kein Hehl daraus, daß fast niemand Provodnikow vor diesem Auftritt gekannt habe. Von einem Verlierer könne an diesem Abend keine Rede sein, zog der Promoter sichtlich zufrieden Bilanz. Bradley habe gezeigt, daß er ein Entertainer sei, rechnet Arum offenbar damit, daß der Marktwert seines Boxers angesichs dieser ereignisreichen ersten Titelverteidigung wieder gestiegen ist.

Fußnote:

[1] http://www.boxen.de/news/bradley-gewinnt-erste-titelverteidigung-gegen-provodnikov-mit-einigen-schrecksekunden-25357

17. März 2013