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PROFI/537: Klammernd zermürbt Klitschko den Gefahrenherd Powetkin (SB)




Klarer und zugleich glanzloser Punktsieg über den tapferen Russen

Vor 14.000 Zuschauern im ausverkauften Sportkomplex Olimpijskij in Moskau hat Wladimir Klitschko seine Titel im Kampf gegen Alexander Powetkin, den regulären Weltmeister der WBA und Pflichtherausforderer des Superchampions, durch einen klaren Punktsieg erfolgreich verteidigt. Alle drei Punktrichter gaben jede einzelne Runde an den Ukrainer, so daß nach den Abzügen für mehrere Niederschläge und einen geahndeten Regelverstoß Klitschkos ein ebenso deutliches wie einstimmiges Resultat verkündet wurde (119:104, 119:104, 119:104). Der 37jährige Wladimir Klitschko verbesserte seine Bilanz auf 61 Siege und drei Niederlagen, während der drei Jahre jüngere Russe im 27. Profikampf erstmals den kürzeren zog und den WBA-Titel verlor.

Als bedeutendstes Schwergewichtsduell seit langem angekündigt und mit einer Gesamtbörse von mehr als 17 Millionen Euro ungewöhnlich hoch dotiert, erfüllte der "Machtkampf in Moskau" die in ihn gesetzten Erwartungen nicht. Es stand zu viel Geld und Prestige auf dem Spiel, als daß Klitschko ein Risiko eingegangen wäre und wie angekündigt einen vorzeitigen Sieg angestrebt hätte. Vor allem aber erwies sich Powetkin insbesondere in der Anfangsphase als einer der gefährlichsten Gegner, mit denen der Ukrainer je im Ring gestanden hat. Klitschko legte sich deshalb unentwegt auf Powetkin, unterband den Schlagabtausch im Nahkampf durch häufiges Klammern und drückte den Russen mehrfach regelwidrig nieder.

Zehn Zentimeter kleiner und 7,2 Kilo leichter als Wladimir Klitschko arbeitete sich Powetkin zunächst so gefährlich an den Ukrainer heran, daß dieser in große Schwierigkeiten geriet. Wer einen Blick dafür hat, erkannte in der Kampfesweise des Russen die deutliche Handschrift seines früheren Trainers Teddy Atlas, der ihm offensichtlich den legendären Stil Cus D'Amatos nahegebracht hat, den einst insbesondere Floyd Patterson und später Mike Tyson in seinen frühen Jahren meisterhaft umgesetzt haben. In nahezu allen traditionellen Stilen entfernt sich der Boxer bei einer Meidbewegung vom Gegner, wodurch er den Schlägen ausweicht, jedoch bei seinem Gegenangriff die zurückgewichene Distanz erst wieder überbrücken muß. Klitschko hat seine Größe und Reichweite in einem seitlichen Stand derart perfektioniert, daß er sich den Gegner mit seiner vorgestreckten Linken vom Leib halten kann, im Zweifelsfall aus dessen Aktionsradius weit zurückweicht oder sich sofort von oben auf ihn wirft, um ihn am Schlagen zu hindern. Für einen Gegner, der im klassischen Stil boxt, ist es daher außerordentlich schwierig, die weite Distanz zu überbrücken und an den Ukrainer heranzukommen.

Beim D'Amato-Stil steht der Boxer frontal vor dem Gegner und überführt seine seitliche Ausweichbewegung auf kürzestem Wege in den eigenen Angriff. Im günstigsten Fall verliert er durch seine Pendel- und Schrittbewegung nicht Raum, sondern nähert sich damit dem Gegner sogar aus einem überraschenden Vektor, für den dessen Bewegungsweise völlig offen ist. Wer sich die frühen Kämpfe des zunächst von Teddy Atlas trainierten Mike Tyson vor Augen führt, erkennt deutlich, daß dieser plötzlich so dicht bei seinen fast durchweg größeren Gegnern auftaucht, daß er sie sofort und aus einer für sie unvorhersehbaren Bewegung heraus mit schweren Treffern eindecken kann. Auch Powetkin zeigte solche Ansätze und machte Klitschko Druck, wobei er jedoch seine günstige Position nicht zu nutzen verstand und zu weiträumig um die Deckung herumzuschlagen versuchte, statt die teilweise offenen kürzeren Bahnen zu nutzen.

Klitschko erkannte zweifellos die Gefahr und wußte sich nur durch ständiges Klammern zu helfen, wobei er von Glück reden konnte, daß Powetkin wohl aufgrund seiner häufigen Trainerwechsel die Schule des D'Amato-Stils nicht zur Reife gebracht hat und mit anderen Elementen mischt, die sie in letzter Konsequenz verwässern. Daß der Ukrainer auch im späteren Verlauf des Kampfs selbst bei drückender Überlegenheit nie mit letzter Konsequenz nachsetzte, dürfte vor allem seiner Furcht geschuldet gewesen sein, daß ihm Powetkin erneut gefährlich nahe kommen könnte.

Wladimir Klitschko verfügt im Grunde nur über drei gefährliche Waffen, deren Gebrauch er jedoch hoch entwickelt hat. Sein Jab hält den Gegner auf Abstand, bahnt aber auch den Schlag mit der Rechten, die er jedoch eher sparsam und nur in aussichtsreicher Situation einsetzt. Blitzschnell und daher kaum abzuwehren schlägt er den linken Haken, der Powetkin kurz vor Ende der zweiten Runde erstmals in dessen Karriere auf die Bretter schickte. Der Russe ließ sich jedoch nicht einschüchtern, sondern griff auch im nächsten Durchgang entschlossen an, während Klitschko immer noch Mühe hatte, zu seiner gewohnten Kampfesweise mit weit vorgestreckter Linker, dem Jab und sparsamen Schlägen mit der Rechten zu finden.

Nach und nach kam der Titelverteidiger besser zur Geltung, indem er die Distanz wahrte und mit seinem Jab traf, aber nach wie vor sofort zum Klammern überging, sobald Powetkin ihm zu nahe kam. Im fünften und sechsten Durchgang machte der Herausforderer aus Tschechow eine recht gute Figur und sorgte mit der Schlaghand zum Kopf des Gegners für Gefahr. Danach wirkte er jedoch bereits etwas erschöpft und wurde nun immer häufiger von Klitschkos Jab getroffen, der ihn in der siebten Runde mit einer wohlvorbereiteten Rechten zum zweiten Mal auf die Bretter schickte. Powetkin kam wieder auf die Beine, doch wirkte er angeschlagen und versuchte zu klammern. Klitschko setzte mit einer Kombination und Uppercuts im Infight nach, worauf der Russe ein drittes Mal angezählt wurde. Kurz vor Ende der Runde ging Powetkin nach einem linken Haken erneut zu Boden, doch wurde er diesmal eher niedergedrückt als getroffen.

Nachdem der Russe derart in Bedrängnis geraten war, hätte Klitschko in der achten Runde für die Entscheidung sorgen müssen. Statt kompromißlos anzugreifen, hielt sich der Ukrainer jedoch zurück und konnte daher keine weiteren schweren Treffer anbringen. Ganz offensichtlich wollte er seinen Vorsprung sicher nach Hause boxen, zumal er nun mit seinem Jab fast nach Belieben traf. Seine Rechte kam jedoch viel zu selten und so ungenau, daß ein entscheidender Treffer ausblieb. Auf diese Weise kam Powetkin wieder in den Kampf und wurde in der elften Runde noch einmal gefährlich, als Klitschko nach einem linken Haken ins Stolpern geriet und endlich auch wegen seines ständigen Herunterdrückens von Ringrichter Luis Pabon verwarnt und mit einem Punktabzug bestraft wurde. Auch in der zwölften Runde wirkte der Ukrainer verkrampft und konnte keinen K.o. mehr erzwingen, während sich Powetkin wenigstens des Achtungserfolgs erfreute, bis zum Ende durchgehalten zu haben.[1]

Wie eine Statistik zeigte, waren von 173 Schlägen Klitschkos 164 am Kopf Powetkins gelandet. Hingegen brachte der Russe nur 23 von 81 Schlägen zum Kopf des Gegners durch, womit er den Titelverteidiger letzten Endes nicht gefährden konnte. Alexander Powetkin wurde von Klitschko zermürbt, wobei man die konditionelle Schwächung durch das ständige Klammern und Auflasten von oben nicht unterschätzen darf. Der Russe war mutig und griff bis zum Schluß an, traf aber einfach zu selten, um das Blatt zu wenden.

"Was soll ich sagen. Es hat nicht geklappt, wie ich es wollte", zog der deutlich gezeichnete Powetkin im RTL-Interview enttäuscht Bilanz. Er habe sich ins Zeug gelegt und werde künftig noch härter trainieren, um sich zu verbessern. Er gebe nie auf und kämpfe stets bis zum Letzten. Klitschko sei einfach stärker und der Beste, den es derzeit gibt.

Wladimir Klitschko sprach von einem harten Stück Arbeit, da er es mit einem wahren Kämpfer zu tun gehabt habe. Obgleich es für Powetkin sehr schwer gewesen sei, habe er nie aufgesteckt. Ein vorzeitiger Sieg sei ihm nicht gelungen, da er vielleicht zu angespannt gewesen sei und einige Dinge wie zum Beispiel den Aufwärtshaken verbessern müsse, so Klitschko. Clinchen gehöre eben zum Boxen, wobei Powetkin des öfteren unter die Gürtellinie geschlagen habe. Er beschwere sich jedoch nicht, da der kleinere Boxer zwangsläufig versuche, sich abzuducken und in den Mann zu gehen.[2]

Unzufrieden mit der Darbietung bemängelte der frühere Weltmeister Lennox Lewis, der das Geschehen vor Ort verfolgt hatte, den Auftritt des Favoriten. Seines Erachtens hätte Powetkin etwas mehr machen können, doch habe sich Klitschko zu oft auf ihn gelegt. Man habe eine Mischung aus Boxen und Ringen gesehen, die eines Champions unwürdig sei. Der Ukrainer habe zu wenig gezeigt und seine Rechte kaum gebracht. Ein Champion versuche, seinen Gegner auszuknocken. Wenn man jemanden in einer Runde dreimal am Boden hat, sollte man eigentlich durch K.o. gewinnen, zog der Brite ein kritisches Fazit.

In finanzieller Hinsicht hat sich der Prestigekampf für beide Kontrahenten ausgezahlt, wenngleich der Löwenanteil von 75 Prozent an den Titelverteidiger ging. Klitschko strich mit 12,88 Millionen Euro die größte Börse seiner Karriere ein. Powetkin mußte sich mit 4,3 Millionen Euro zufriedengeben, verdiente aber ebenfalls mehr als je zuvor bei einem Auftritt im Ring.

Das Duell in Moskau bescherte Klitschkos Fernsehpartner RTL zur besten Sendezeit am Samstagabend eine ausgezeichnete Quote von 11,02 Millionen Zuschauern bei einem Marktanteil von 35,4 Prozent. Allerdings schalteten rund eine Million Zuschauer weg, wenn in den Kampfpausen Werbung lief. Als das Urteil verkündet wurde, waren mehr als 12 Millionen Zuschauer zugeschaltet. Der Kampf gegen Powetkin erzielte ein deutlich besseres Ergebnis als jenes beim letzten Sieg Klitschkos über Francesco Pianeta im Mai, den im Schnitt 8,31 Millionen Zuschauer verfolgten. Die Rekordquote aus dem Kampf gegen den Briten David Haye im Sommer 2011 von 15,56 Millionen blieb allerdings unerreicht.[3]


Fußnoten:

[1] http://www.boxen.de/news/klitschko-dominiert-povetkin-und-feiert-ueberdeutlichen-sieg-in-moskau-29329

[2] http://www.boxen.com/news-archiv/newsdetails/article/klitschko-beschert-povetkin-erste-niederlage/23.html

[3] http://www.welt.de/sport/boxen/article120664668/Wladimir-hat-nicht-wie-ein-Champion-geboxt.html

6. Oktober 2013