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PROFI/585: Spektakel in letzter Sekunde (SB)



Timothy Bradley klarer Punktsieger gegen Jessie Vargas

Vor mehr als 4700 Zuschauern in Carson, Kalifornien, hat sich Timothy Bradley durch einen Punktsieg über Jessie Vargas den vakanten Interimstitel der WBO im Weltergewicht gesichert (116:112, 117:111, 115:112). In einem temporeichen und anspruchsvollen Kampf gab der 31jährige Bradley eine starke Vorstellung, wenngleich in den letzten Sekunden eine dramatische Wende in der Luft lag. Dank dieses Erfolgs baute er seine Bilanz auf 32 Siege, eine Niederlage sowie ein Unentschieden aus, während für seinen fünf Jahre jüngeren Gegner nach 26 erfolgreichen Auftritten der erste Rückschlag zu Buche steht.

Nach einem ausgeglichenen Auftakt gewann Bradley zusehends die Oberhand und setzte dem Kontrahenten in der vierten Runde beidhändig mit schweren Treffern zu. Gegen Ende des fünften Durchgangs lieferten die beiden einander einen heftigen Schlagabtausch, worauf Bradley in der Folge das Heft wieder in die Hand nahm und Vargas immer häufiger traf, dessen Deckung zu wünschen übrigließ. Lediglich in der siebten Runde kehrten sich die Verhältnisse vorübergehend um, dann kam Bradley wieder stärker auf und diktierte mit seinem soliden Jab und der Rechten das Geschehen.

Als Timothy Bradley schließlich so gut wie gewonnenen hatte, lief er kurz vor Ende der zwölften Runde in eine wuchtige Rechte des Gegners, die ihn sichtlich erschütterte. Vargas wollte sofort nachsetzen, wurde aber von Ringrichter Pat Russell daran gehindert, der das Signal für die letzten zehn Sekunden mit dem Schlußgong verwechselte und den Kampf zu früh beendete. Vargas glaubte zu diesem Zeitpunkt noch, der Referee habe den angeschlagenen Bradley für kampfunfähig erklärt, und ließ sich als vermeintlicher Sieger feiern. Das sah auch die Mehrzahl der Zuschauer so, weshalb es zu heftigen Tumulten kam, als der Ringsprecher den Punktsieg Bradleys verkündete.

Der Statistik von CompuBox zufolge hatte Bradley häufiger geschlagen und getroffen als Vargas, so daß auch seine prozentuale Ausbeute besser war. Wenngleich diese Zahlenwerte einen geringeren Vorsprung als die offizielle Wertung nahelegen, ist doch am Ergebnis als solchem nicht zu rütteln.

Russell, der als erfahrener und kompetenter Ringrichter gilt, räumte hinterher einen gravierenden Fehler ein. Es sei gegen Ende der letzten Runde so laut gewesen, daß er die Ankündigung der letzten zehn Sekunden für den Gong gehalten habe. Wie die Aufzeichnung zeige, sei Bradley angeschlagen gewesen, habe sich aber noch verteidigt.

Timothy Bradley wußte zu berichtete, daß ihn Vargas zwar voll erwischt, doch keineswegs ausgeschaltet habe. Die verbliebenen Sekunden zu überstehen, wäre kein Problem gewesen. Insgesamt gesehen habe er den Gegner ausgeboxt und in der Punktwertung klar geführt. Von Vargas auf eine Revanche angesprochen, erklärte er sich sofort einverstanden.

Jessie Vargas, der Champion im Halbweltergewicht gewesen und in das höhere Limit aufgestiegen war, verlieh seiner Enttäuschung Ausdruck. Er habe den Gegner mehrfach getroffen, bis dessen Beine gewackelt hätten. Nur noch ein weiterer Schlag und Bradley wäre erledigt gewesen. Doch in diesem Augenblick habe Russell vorzeitig abgebrochen und ihn mit diesem Fehler um den Sieg gebracht.

Sein neuer Trainer Erik Morales habe ihn immer wieder angewiesen, die rechte Schlaghand häufiger einzusetzen. Er selbst sei jedoch fälschlich davon ausgegangen, den Gegner mit dem Jab kontrollieren zu können. Bradley habe ihn zwar ab und zu getroffen, jedoch keine nennenswerte Wirkung erzielt. Deshalb fordere er einen Rückkampf, um da weiterzumachen, wo er in der zwölften Runde aufgehört habe.

Nach dem Gewinn des Interimstitels hat Timothy Bradley gute Aussichten, in wenigen Tagen zum regulären Weltmeister der WBO erklärt zu werden. Der Verband hat Floyd Mayweather eine Frist gesetzt, die fällige Gebühr für seinen Kampf gegen Manny Pacquiao vom 2. Mai zu entrichten. Zudem soll er seine beiden Titel im Halbmittelgewicht niederlegen, da die WBO eine gleichzeitige Weltmeisterschaft in mehreren Gewichtsklassen nicht zuläßt. Mayweather, der ohnehin erklärt hat, Titel seien für ihn bedeutungslos geworden, wird der Aufforderung des Verbands kaum nachkommen. Daher kann Bradley, der in der Vergangenheit bereits vier Titel im Halbwelter- und Weltergewicht gewonnen hat, damit rechnen, in Kürze zum fünften Mal in seiner Karriere zum Champion aufzusteigen. [1]

Sollte Promoter Bob Arum nach Gründen suchen, die eine Revanche rechtfertigen könnten, hat ihm Ringrichter Pat Russell unfreiwillig einen geliefert. Immerhin kann man darüber streiten, ob Vargas andernfalls in letzter Sekunde gewonnen oder Bradley das Verhängnis abgewendet hätte. Dennoch steht zu hoffen, daß die Verantwortlichen beim Sender HBO einem Rückkampf nicht zustimmen, da Vargas schlichtweg die Mittel fehlen, um Bradley das Wasser zu reichen. Er boxt zu langsam, sparsam und übersichtlich, was sich in der jüngeren Vergangenheit bereits bei seinen knappen Siegen über Antonio DeMarco und Anton Nowikow abgezeichnet hatte. [2]

Beide Boxer haben bei ihrem Auftritt in Carson gut verdient, wobei Bradley neben dem sportlichen Erfolg auch die deutlich höhere Börse einstreichen kann. Obgleich er seit geraumer Zeit nicht mehr gewonnen und keinen Titel mitgebracht hatte, erhielt er 1,5 Millionen Dollar. Sollte er wie erwartet zum regulären WBO-Weltmeister erklärt werden, stünde ein Kampf gegen den Pflichtherausforderer Sadam Ali an. Danach könnte Brandon Rios an die Reihe kommen, gefolgt von Terrence Crawford, sofern dieser ins Weltergewicht aufsteigt. Ein dritter Kampf Bradleys gegen Manny Pacquiao ist hingegen sehr unwahrscheinlich. Jessie Vargas ist mit 600.000 Dollar auch nicht schlecht bedient, doch entgehen ihm nach der Niederlage die erhofften spektakulären und lukrativen Duelle. [3]

Aufmerksamer Beobachter am Ring war Gennadi Golowkin, was sicher nicht nur daran lag, daß er mit seiner Familie in Los Angeles lebt. Der in 33 Kämpfen ungeschlagene Kasache ist unter anderem Superchampion der WBA im Mittelgewicht und stets auf der Suche nach attraktiven Gegnern, da ihm alle namhaften Kontrahenten aus dem Weg gehen. Was er gesehen hat, kann ihn nicht schrecken, da keiner der beiden Kontrahenten mit einer gefährlichen Schlagwirkung zu überzeugen verstand. Bradley und Bob Arum hatten erst kürzlich laut über einen Kampf gegen Golowkin nachgedacht, wobei der Promoter sogar behauptete, sein Boxer könne den Kasachen schlagen.

Wie das funktionieren sollte, kann jedoch selbst Arum nicht beantworten, da Bradley allenfalls dank seiner Schnelligkeit und Kombinationsstärke Golowkin einige Runden beschäftigen könnte. Eher früher als später würde ihn der Kasache jedoch stellen, von der eher schwach entwickelten Defensive des US-Amerikaners profitieren und ihn auf die Bretter schicken. Mehr Geld als mit einem Kampf gegen Gennadi Golowkin könnte Bradley derzeit nicht verdienen, doch wäre dabei seine vorzeitige Niederlage unvermeidlich. [4]


Fußnoten:

[1] http://espn.go.com/boxing/story/_/id/13162076/timothy-bradley-jr-defeats-jessie-vargas-unanimous-decision-claims-interim-welterweight-title

[2] http://www.boxingnews24.com/2015/06/bradley-vs-vargas-early-results/#more-195422

[3] http://www.boxingnews24.com/2015/06/purses-bradley-1-5m-vargas-600k/#more-195411

[4] http://www.boxingnews24.com/2015/06/bradley-would-be-easy-work-for-golovkin/#more-195432

28. Juni 2015


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