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PROFI/592: Marco Huck geht mit fliegenden Fahnen unter (SB)



Krzysztof Glowacki neuer WBO-Champion im Cruisergewicht

Marco Huck hatte sich Großes vorgenommen. Nach der Trennung von seinem langjährigen Promoter Sauerland und damit auch von Trainer Ulli Wegner trat der Berliner nach einer zwölfmonatigen Pause erstmals in Eigenregie an. Mit einer Machtdemonstration wollte der WBO-Weltmeister im Cruisergewicht bei seiner Premiere in den USA zu einem Höhenflug auf dem lukrativen amerikanischen Markt ansetzen. Wie er angekündigt hatte, werde er allen Kritikern das Maul stopfen, die an seiner Durchsetzungsfähigkeit zweifelten. Er hatte seinen Titel dreizehnmal erfolgreich verteidigt und wollte mit einem weiteren Sieg den alleinigen Rekord in seiner Gewichtsklasse aufstellen, um danach auch im Schwergewicht Furore zu machen.

Im Prudential Center in Newark, New Jersey, traf Huck, für den 38 Siege, zwei Niederlagen sowie ein Unentschieden zu Buche standen, auf den in 24 Kämpfen unbesiegten, aber international wenig bekannten polnischen Pflichtherausforderer Krzysztof Glowacki. In einem mitreißenden und spektakulären Duell erwies sich der als Außenseiter eingeschätzte 29jährige Pole als kampfstarker Gegner, der dem ein Jahr älteren Berliner von Beginn an Respekt einflößte. Nach und nach kam der Weltmeister jedoch immer besser zur Geltung und schickte den Herausforderer in der sechsten Runde auf die Bretter. Glowacki wurde bis acht angezählt, kam jedoch wieder auf die Beine und leistete so heftigen Widerstand, daß Huck die vorzeitige Entscheidung versagt blieb. [1]

Der Kampf wurde bei hohem Tempo fortgesetzt, und während der Berliner nun etwas vorsichtiger zu Werke ging, setzte Glowacki seine unermüdlichen Angriffe fort. Immer wieder kam es zum Schlagabtausch zweier Boxer, die sich nicht mit technischen Feinheiten und taktischer Zurückhaltung abgaben, sondern stets auf schwere Treffer setzten. Zu Anfang der zehnten Runde verpaßte der Champion seinem Gegner eine Rißwunde über dem rechten Auge und schien den Kampf unter Kontrolle gebracht zu haben.

Er lag auf den Zetteln der Punktrichter fast komfortabel in Führung (96:93, 96:93, 95:94), als ihn Glowacki im elften Durchgang mit einer Kombination voll am Kopf traf, die den Berliner niederstürzen ließ. Nachdem er schwer angeschlagen wieder hochgekommen war, setzte der Pole unerbittlich nach, bis Huck an den Seilen erneut zu Boden ging. Daraufhin brach Ringrichter David Fields den Kampf unter euphorischem Jubel zahlreicher polnischstämmiger Schlachtenbummler nach 2:39 Minuten der elften Runde ab. [2]

Huck, der viel gewagt und alles verloren hatte, wurde zur Untersuchung ins Krankenhaus gefahren und stand zunächst für eine Stellungnahme nicht zur Verfügung. Wie Krzysztof Glowacki im Hochgefühl des Sieges berichtete, habe ihm sein Trainer Fiodor Lapin eingeschärft, nichts zu überstürzen und zunächst bedachtsam zu Werke zu gehen. Er habe jedoch nicht auf ihn gehört und frühzeitig Duck gemacht. Sein Gehör sei in Folge des Niederschlags noch immer eingeschränkt, doch habe er zu diesem Zeitpunkt weder mitbekommen, daß er angezählt wurde, noch sich um den Punktestand geschert. Wenngleich Huck bestrebt gewesen sei, ihn zu dominieren und zu drangsalieren, habe er dagegen aufbegehrt, nicht eine Sekunde an seinem Sieg gezweifelt und sich auf diese Weise selber die großartigste Nacht seines Lebens beschert.

Hucks US-amerikanischer Promoter Lou DiBella sprach nicht zu Unrecht von einer spektakulären Ringschlacht, die ein Anwärter auf den Kampf des Jahres sei. Der Titelverteidiger boxe unerhört stark, doch habe Glowacki nie aufgesteckt und sei wie der Undertaker von den Toten auferstanden. Am Ende habe der Herausforderer die klare Führung des Champions mit einem Schlag zunichte gemacht. Dank dieser großartigen Vorstellung zweier Kämpfernaturen hätten die Zuschauer Unterhaltung auf höchstem Niveau genossen.

Ulli Wegner, der den Kampf als Co-Kommentator des Senders Sky live am Ring verfolgt hatte, litt mit seinem früheren Schützling: "Das tut unheimlich weh. Da wieder rauszukommen wird ganz, ganz schwer". In jungen Jahren sei Huck schon einmal etwas Ähnliches widerfahren. Doch heute sei er reifer und ein gestandener Mann, der sich besser organisieren müßte. Wer eine deutlich verbesserte Verteidigung ankündigt habe, dürfte sich im Ring nicht so offen präsentieren, rügte der Berliner indirekt auch Hucks neuen Trainer Don House.

Zehn Jahre lang hatte sich Wegner abgemüht, aus dem schlaggewaltigen Haudrauf einen Weltklasseboxer zu formen. Das war ihm mit viel Geduld und akribischer Arbeit letztlich geglückt. Nach dem Desaster in Newark nahm Hucks ehemaliger Promoter Wilfried Sauerland denn auch recht unverblümt Stellung: Marco habe den Mund nicht zuletzt gegenüber seinem früheren Umfeld sehr voll genommen. Es sei enttäuschend mitzuerleben, wie das Werk von zehn Jahren in nur einer Nacht vernichtet wurde. [3]

Wenngleich sich Huck wenigsten über eine Börse von 350.000 Dollar und hohes Lob für seinen beeindruckenden Auftritt freuen kann, ist seine Zukunft nach diesem Sturz doch ungewiß. Eigentlich wollte er seinen Titel im nächsten Schritt gegen Roy Jones jun. verteidigen, den ehemals besten Boxer aller Gewichtsklassen. Dieser saß sogar am Ring, obgleich er nur einen Tag später selber einen Kampf zu bestreiten hatte. Nach Hucks Titelverlust dürfte diese Option für Jones kein Thema mehr sein, und ein Aufstieg ins Schwergewicht wäre für den Berliner wohl gleichermaßen illusorisch. Auch Kämpfe gegen die anderen Weltmeister im Cruisergewicht wie Denis Lebedew (WBA), Grigori Drosd (WBC) oder Yoan Pablo Hernandez (IBF) sind vorerst eher unwahrscheinlich. Daß Marco Huck gleich bei seinem ersten Auftritt in Eigenregie mit fliegenden Fahnen untergegangen ist, stellt ihn vor Probleme, die seinen hochgespannten Ambitionen einen herben Dämpfer versetzt haben. [4]


Fußnoten:

[1] http://www.boxingnews24.com/2015/08/marco-huck-vs-krzysztof-glowacki-heart-hunger-killer-instinct/#more-197583

[2] http://espn.go.com/boxing/story/_/id/13440828/krzysztof-glowacki-upsets-marco-huck-end-title-reign

[3] http://www.rp-online.de/sport/boxen/marco-huck-will-rueckkampf-nach-schwerem-ko-aid-1.5316600

[4] http://www.sueddeutsche.de/sport/boxen-hieb-gegen-die-karriere-1.2609314

17. August 2015


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