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PROFI/599: Kein böses Wort, doch fürchterliche Prügel (SB)



Gennadi Golowkin entzaubert David Lemieux

Vor 20.548 Zuschauern im ausverkauften New Yorker Madison Square Garden hat Gennadi Golowkin seinen kanadischen Gegner David Lemieux klar dominiert und durch technischen K.o. in der achten Runde besiegt. Damit gelang es dem 33jährigen Kasachen, der bereits Superchampion der WBA und Weltmeister des kleinen Verbands IBO im Mittelgewicht war, auch den Titel der IBF in seinen Besitz zu bringen. Golowkin ist nun in 34 Kämpfen ungeschlagen, von denen er 31 vorzeitig gewonnen hat. Mit dem 21. K.o.-Sieg in Folge konnte er seine Titel zum 15. Mal erfolgreich verteidigen und den legendären Argentinier Carlos Monzon in der ewigen Bestenliste dieser Gewichtsklasse überholen, nur übertroffen von Bernard Hopkins, der in seiner Ära 20 Herausforderer in die Schranken gewiesen hat. Darüber hinaus unterstrich der Kasache seinen Anspruch, die Nachfolge Floyd Mayweathers als weltbester Boxer aller Gewichtsklassen anzutreten.

Während alle anderen führenden Akteure dieser Gewichtsregion Golowkin aus dem Weg gehen, hatte sich David Lemieux bereiterklärt, den im Juni gewonnenen IBF-Gürtel sofort gegen den Kasachen aufs Spiel zu setzen. Da der 26 Jahre alte Kanadier zuletzt zahlreiche Kämpfe vorzeitig gewonnen hatte und seinerseits eine beachtliche Schlagwirkung aufbieten kann, galt er als bislang gefährlichster Gegner Golowkins. Für ihn standen vor dem Kampf im Madison Square Garden 34 Siege und zwei Niederlagen zu Buche, wobei er 31mal vorzeitig gewonnen hatte. Wie sich jedoch rasch herausstellte, war der Kasache in allen Belangen überlegen. Selbst die besten Schläge seines Kontrahenten schienen ihn nicht im geringsten zu irritieren, während er Lemieux nach allen Regeln der Kunst auseinandernahm.

Gennadi Golowkin ergriff von Beginn an die Initiative und trieb den Kanadier gleich in der ersten Runde mit Treffern seiner Rechten in die Seile. Im zweiten Durchgang kam der Kasache unter anderem mit einem linken Haken und einer Rechten durch, worauf Lemieux angeschlagen wirkte und wiederum in die Seile zurückwich. In der dritten Runde versetzte Golowkin dem Kontrahenten den ersten schweren Körpertreffer, gefolgt von einem Haken zum Kopf, während der Kanadier noch immer nicht zum Zuge kam. Dieser verlegte sich auf einzelne wuchtige Schläge, die jedoch meistenteils ihr Ziel verfehlten.

Unterdessen variierte Golowkin seine Schläge mit beiden Händen und kontrollierte Lemieux derart, daß der erste Niederschlag nur noch eine Frage der Zeit war. Gegen Ende der fünften Runde war es dann ein linker Haken zum Körper, der den Kanadier auf ein Knie sinken ließ. Da Golowkin im Eifer des Gefechts noch mit der Rechten nachlegte, wurde er vom Ringrichter ermahnt und entschuldigte sich sofort durch ein Senken des Kopfes. Lemieux überstand die Runde, mußte aber noch etliche Treffer einstecken.

Im siebten Durchgang unterbrach Ringrichter Steve Willis den Kampf, da Lemieux aus Mund und Nase blutete. Der zu Rate gezogene Arzt gab jedoch grünes Licht, so daß die Auseinandersetzung fortgeführt werden konnte. Wenig später kam der Kanadier mit einer soliden Rechten zum Kopf durch, die Golowkin jedoch nicht zu beeindrucken, sondern eher noch anzufeuern schien. Er griff seinerseits weiter an und trieb den Kontrahenten wiederum in die Seile. In der achten Runde war der Referee zweimal kurz davor, den Kampf abzubrechen, da der Kanadier unablässig Schläge einstecken mußte. Als Lemieux dann an den Seilen von weiteren wuchtigen Treffern erschüttert wurde, ging Willis dazwischen und nahm ihn nach 1:32 Minuten des Durchgangs aus dem Kampf.

Golowkin hatte zu diesem Zeitpunkt bei allen drei Punktrichtern sämtliche Runden gewonnen und laut der Statistik von CompuBox von 549 Schlägen 280 ins Ziel gebracht (51 Prozent), während Lemieux bei 335 Versuchen nur 89 Treffer landen konnte (27 Prozent). Dies mag verdeutlichen, wie überlegen der Kasache den Kampf geführt hatte.

Angesichts lautstarker Mißfallenskundgebungen seitens des Publikums, das sich enttäuscht von dem sang- und klanglosen Untergang des Kanadiers zeigte, erklärte Lemieux, daß einige Runden doch ziemlich knapp verlaufen seien. Er habe lediglich auf eine günstige Gelegenheit gewartet, Wirkungstreffer zu setzen. Da er in der achten Runde aufrecht gestanden habe und durchaus in der Lage gewesen sei, den Kampf fortzusetzen, habe der Ringrichter seines Erachtens zu früh abgebrochen. Er wolle Golowkin in naher Zukunft zu einer Revanche fordern, um die Dinge geradezurücken. Bei allem Respekt für den Champion hoffe er doch auf eine zweite Chance.

Dieser Einschätzung kann man insofern nicht zustimmen, als der Kasache das Heft durchweg in der Hand gehalten und Runde für Runde eindeutig für sich entschieden hatte. Dabei trug Golowkin nicht nur seine Angriffe variabel und stets gefährlich durch, sondern war auch durch Treffer des Kanadiers nicht im geringsten zu bremsen. Wollte man unter den zahlreichen Stärken des Kasachen die bemerkenswerteste hervorheben, so ist es das sämtliche Gegner ängstigende Phänomen, daß ihn selbst ihre wuchtigsten Treffer in seiner Kampfeslust nur noch anzuspornen scheinen.

Wie Ringrichter Steve Willis erklärte, sei es seine Pflicht gewesen, in der entscheidenden Situation einzugreifen. Wenngleich David Lemieux ein erstklassiger Boxer sei, der so lange wie möglich mitgekämpft habe, seien seine Aussichten mit steigender Rundenzahl doch zunehmend geschwunden. Da dem Kanadier bei einem Gegner wie Golowkin nur noch weitere schwere Treffer gedroht hätten, die seiner Gesundheit abträglich gewesen wären, sei er als Referee der vordringlichen Verantwortung nachgekommen, den klar unterlegenen Boxer vor gravierenden Schäden zu schützen. Er habe Lemieux alle Chancen eingeräumt und dabei eher zu lange gezögert, als ihn vorschnell aus dem schließlich aussichtslosen Kampf zu nehmen. [1]

Gennadi Golowkin, der sich nie zu bösen Worten hinreißen läßt, zollte seinem Gegner Respekt, den er als starken und sehr guten Boxer würdigte. Lemieux sei ein großer Champion, den zu besiegen ihn um so mehr freue. Der Kasache dankte all seinen Fans und widmete ihnen den Erfolg. Er habe ihnen die versprochene Vorstellung in diesem außerordentlich wichtigen Kampf geboten. Sein Ziel bleibe weiterhin die Zusammenführung aller Titel im Mittelgewicht, weshalb er solange in diesem Limit bleiben wolle, bis ihm das gelungen sei. Er fürchte keinen Gegner und würde am liebsten gegen den Sieger des Kampfs zwischen Saul "Canelo" Alvarez und Miguel Cotto antreten. [2]

Da Golowkin auch Interimschampion des Verbands WBC ist, steht ihm ein Kampf gegen den Sieger des Duells zwischen WBC-Weltmeister Cotto und dem jungen Mexikaner zu, das am 21. November über die Bühne geht. Ob es tatsächlich dazu kommt, ist jedoch ungewiß, da keiner von beiden Lust haben dürfte, sich mit dem ungeschlagenen Kasachen zu messen. Eine Alternative wäre daher der IBF-Gürtel, den der Ire Andy Lee am 19. Dezember gegen den Briten Billy Joe Saunders verteidigt.

Der erste Auftritt beim Sender HBO im Bezahlfernsehen brachte Golowkin mit 2 Millionen und Lemieux mit 1,5 Millionen Dollar jeweils eine Rekordbörse ein, wozu noch weitere Gelder aus den Fernseheinnahmen kommen könnten. Dem Kasachen, der schon geraume Zeit bei HBO kostenlos zu sehen war, ist damit ein glänzender Einstand in der höchsten Sphäre der Einkünfte gelungen. Sollte es zu einem Kampf gegen Cotto oder Alvarez kommen, wäre dies mit Sicherheit der höchstdotierte des Jahres 2016, sofern Floyd Mayweather seine Karriere tatsächlich beendet hat.

Mit einer Quote vorzeitiger Siege von 91 Prozent führt Golowkin die ewige Bestenliste im Mittelgewicht an. Er hat in seiner Amateurzeit 345 Kämpfe gewonnen und nur fünf verloren, wobei er damals Gegner wie Lucian Bute, Daniel Geale, Matwei Korobow, Andre Dirrell und Andy Lee besiegt hat, die sich auch als Profis einen Namen gemacht haben. In 384 Amateur- oder Profikämpfen wurde Golowkin noch kein einziges Mal niedergeschlagen, was auch für das Sparring gilt.

Im Profilager hat der Kasache alle Gegner besiegt, die sich mit ihm in den Ring getraut haben, und seit nunmehr sieben Jahren sämtliche Kontrahenten vorzeitig besiegt. Ob Gabriel Rosado oder Nobuhiro Ishida, Matthew Macklin oder Curtis Stevens, Daniel Geale oder Marco Antonio Rubio, Martin Murray, Willie Monroe oder David Lemieux - Gennadi Golowkin hat sie alle auf die Bretter geschickt und in den Abbruch gezwungen. Der immer wieder vorgebrachte Einwand, der Kasache habe nur gegen ungefährliche Gegner gewonnen, mag sich dem Eindruck verdanken, er habe seine Kämpfe allzu souverän für sich entschieden. Daß diese Dominanz nicht auf die Schwäche seiner Kontrahenten, sondern sein überlegenes Können zurückzuführen ist, sollte eine Erkenntnis sein, die spätestens seit dem Debakel des hoch gehandelten Kanadiers im Madison Square Garden nicht mehr von der Hand zu weisen ist. [3]


Fußnoten:

[1] http://espn.go.com/boxing/story/_/id/13913898/gennady-golovkin-stops-david-lemieux-tko-eighth-round

[2] http://www.boxingnews24.com/2015/10/golovkin-vs-lemieux-live-results/#more-200748

[3] http://www.boxingnews24.com/2015/10/can-anyone-beat-gennady-golovkin/#more-200754

18. Oktober 2015


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