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PROFI/602: Wunschkandidat in Stellung gebracht (SB)



Terence Crawford hat leichtes Spiel mit Dierry Jean

Nach dem Rücktritt Floyd Mayweathers steht der für den 9. April 2016 geplante Abschiedskampf Manny Pacquiaos als nächster und vorerst letzter spektakulärer Zahltag im Blickpunkt der Branche. Diverse Kandidaten buhlen um die Gunst, mit dem legendären Philippiner in den Ring zu steigen, der als einziger Boxer Weltmeister in acht verschiedenen Gewichtsklassen geworden ist. Pacquiao, der bereits dem philippinischen Parlament angehört, kandidiert im Frühjahr um einen Sitz im Senat und möchte sich künftig voll und ganz auf seine weitere politische Laufbahn konzentrieren.

Terence Crawford, der wie Pacquiao bei Promoter Bob Arum von Top Rank unter Vertrag steht, hat seine Ambitionen unterstrichen, das Rennen um ein Duell mit dem Philippiner zu machen. Der 28jährige WBO-Champion im Halbweltergewicht besiegte vor mehr als 11.000 Zuschauern in seiner Heimatstadt Omaha, Nebraska, den in Kanada lebenden gebürtigen Haitianer Dierry Jean in der zehnten Runde und ist damit in 27 Profikämpfen ungeschlagen. Für den 33 Jahre alten Herausforderer, der bislang an Nummer sechs der WBO-Rangliste geführt wird, stehen nun 29 Siege und zwei Niederlagen zu Buche.

Dierry Jean hatte zuvor nur einmal im Januar 2014 in Washington D.C. gegen Lamont Peterson verloren, der damals Weltmeister im Halbweltergewicht war. Danach wechselte der Kanadier ins Leichtgewicht, wo er vier Kämpfe in Folge gewann. Für die Herausforderung Crawfords kehrte er in die höhere Gewichtsklasse zurück. Terence Crawford war früher WBO-Champion im Leichtgewicht und stieg ins Halbweltergewicht auf, wo er am 18. April Thomas Dulorme im Kampf um den vakanten WBO-Titel vorzeitig besiegte.

Der deutlich kleinere Herausforderer Dierry Jean konnte zwar in der ersten Runde dann und wann Treffer landen, doch kam er nicht recht zum Zuge, zumal Crawford plötzlich in die Rechtsauslage wechselte. Das irritierte den Herausforderer sichtlich, der kurz vor der Pause nach einem kurz angesetzten rechten Haken erstmals zu Boden ging. Die Dominanz des Weltmeisters setzte sich auch in der Folge fort, und so mußte Jean insbesondere im vierten Durchgang schwere Treffer einstecken, worauf er in der nächsten Runde eine Rißwunde über dem rechten Auge davontrug.

Im achten Durchgang setzte sich der Kanadier mit zwei erfolgreich ins Ziel gebrachten Rechten noch einmal in Szene, doch Crawford erhöhte im Schlagabtausch sofort das Tempo und machte in der neunten Runde Jagd auf den Gegner, der nach zwei Linken des Champions ein zweites Mal auf den Brettern landete. Die zehnte Runde stand endgültig im Zeichen des unablässig angreifenden Lokalmatadors, der den Herausforderer schließlich an den Seilen festsetzte, wo er ihn mit weiteren Schlägen traktierte, bis der Kanadier zu Boden sank. Daraufhin griff Ringrichter Tony Weeks ein und erklärte den Kampf nach 2:30 Minuten des Durchgangs für beendet. Laut der Statistik von CompuBox hatte Crawford 169 von 533 Schlägen ins Ziel gebracht (32 Prozent), während Jean bei 340 Versuchen lediglich 51mal erfolgreich war (15 Prozent).

Wenngleich Terence Crawford unangefochten die Oberhand behalten hatte, zeugte doch schon seine körperliche Überlegenheit von der Absicht Bob Arums, seinen Favoriten mit einem sicheren Sieg als Wunschkandidaten für einen Kampf gegen Pacquiao zu plazieren. Der Promoter bestätigte denn auch, daß Crawford die Liste möglicher Gegner des Philippiners anführe, auf der aber auch noch Amir Khan und Timothy Bradley stünden, wobei letzterer zunächst noch am 7. November gegen Brandon Rios gewinnen müsse.

Crawford unterstrich im Interview mit dem übertragenden Sender HBO, daß er bereit für Pacquiao sei. Er werde seine Co-Manager Cameron Dunkin und Brian McIntyre damit betrauen, Gespräche mit Arum und dem Team des Philippiners zu führen. Dierry Jean, der zu den Sparringspartnern Pacquiaos vor dessen Kampf gegen Floyd Mayweather am 2. Mai gehört hatte, zeigte sich indessen skeptisch, was Crawfords Chancen betrifft. Der Philippiner sei schneller und schlage härter, so die Einschätzung des Kanadiers. [1]

Wenngleich der 83jährige Bob Arum stets betont, daß Manny Pacquiao das letzte Wort bei der Wahl des Gegners habe, zeichnet sich doch das klare Interesse des Promoters ab, mit einem Duell zwischen Crawford und dem Philippiner auch nach dessen Rücktritt das Heft in der Hand zu behalten. Timothy Bradley hat bereits zweimal gegen Pacquiao gekämpft, der sich bei ihrer ersten Begegnung 2012 nach einem krassen Fehlurteil knapp nach Punkten geschlagen geben mußte und die Revanche 2014 unangefochten gewann. Die größten Umsätze ließen sich mit dem Briten Amir Khan erzielen, der in den USA wie auch in England zusammen mit Pacquiao gut zu vermarkten wäre. Khan hatte sich bereits wortreich, aber erfolglos als möglicher Gegner Floyd Mayweathers ins Gespräch gebracht und nach dessen Abschied auf den Philippiner gesetzt. Für Arum dürfte jedoch nicht so sehr die absolute Höhe der Einkünfte als vielmehr sein künftiger Einfluß von Interesse sein. [2]

Vernünftigerweise müßte Pacquiao nach seiner Schulteroperation mindestens einen Aufbaukampf gegen einen nicht allzu gefährlichen Gegner bestreiten, um zu prüfen, ob er wieder uneingeschränkt boxen kann. Die Konstellation einer sofortigen Abschiedsvorstellung ist demgegenüber ein riskantes Manöver mit ungewissem Verlauf und Ausgang. Im schlimmsten Fall wiederholt sich das Debakel der Niederlage gegen Mayweather, dem der damals schon verletzte Philippiner nicht das Wasser reichen konnte.

Wollte Arum sein designiertes künftiges Zugpferd Terence Crawford einer ernsthaften Bewährungsprobe im Halbweltergewicht unterziehen, böten sich Kontrahenten wie Ruslan Prowodnikow, Viktor Postol, Lucas Matthysse oder Amir Iman an, die in diesem Limit gefährlicher als Dierry Jean einzuschätzen sind. Der Kampf gegen Manny Pacquiao, der aller Voraussicht nach nicht mehr in der Verfassung früherer Tage antreten wird, soll offenbar Crawfords Türöffner zu einem künftigen Höhenflug im Bezahlfernsehen werden, so das mutmaßliche Kalkül des noch immer eifrig mitmischenden Promoters. [3]


Fußnoten:

[1] http://espn.go.com/boxing/story/_/id/13965220/terence-crawford-defeats-dierry-jean-tko-10th-round

[2] http://www.boxingnews24.com/2015/10/crawford-vs-jean-early-results/#more-201070

[3] http://www.boxingnews24.com/2015/10/crawford-im-ready-to-fight-pacquiao/#more-201079

25. Oktober 2015


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