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PROFI/613: Im Schongang zum Schwergewichtschampion (SB)



Hlaskow verletzt - Charles Martin ist neuer IBF-Weltmeister

Charles Martin ist neuer Weltmeister der IBF im Schwergewicht. Der bislang wenig bekannte 29jährige aus Carson in Kalifornien setzte sich im Kampf um den vakanten Titel im Barclays Center gegen den zwei Jahre älteren Wjatscheslaw Hlaskow durch, der sich in der dritten Runde wegen einer Verletzung am rechten Knie geschlagen geben mußte. Der letzte Kampf um einen Titel im Schwergewicht in Brooklyn lag 115 Jahre zurück: Am 11. Mai 1900 hatte James J. Jeffries seinen Gegner James J. Corbett in Coney Island in der 23. Runde durch K.o. besiegt. Martin, der zuvor in der IBF-Rangliste an Nummer vier geführt worden war, blieb weiterhin ungeschlagen und verbesserte seine Bilanz auf 23 Siege sowie ein Unentschieden. Hingegen mußte der als Ranglistenerster favorisierte Ukrainer nach 21 Erfolgen und einem unentschieden beendeten Auftritt die erste Niederlage hinnehmen. [1]

Der sechs Zentimeter größere und gut vierzehn Kilo schwerere Außenseiter versuchte von Beginn an, seine körperlichen Vorteile einzusetzen, um den Kontrahenten herumzuschieben. In den ersten beiden Runden schlug er etwas häufiger als der Ukrainer, doch passierte ansonsten nicht viel. Im dritten Durchgang legte Martin deutlich mehr Wucht in seine Schläge, was Hlaskow sichtlich beeindruckte und zurückweichen ließ. [2] Der Ukrainer mußte weitere Treffer einstecken, bis er über den Fuß des in der Rechtsauslage boxenden Gegners stolperte und zu Boden fiel, was Ringrichter Earl Brown zu Recht nicht als Niederschlag wertete. Wjatscheslaw Hlaskow hatte sich jedoch bei diesem Zwischenfall am rechten Knie verletzt. Er kam dennoch wieder auf die Beine und führte einen Schlag aus, mußte dann aber ohne Zutun des Kontrahenten erneut zu Boden gehen und litt offensichtlich unter starken Schmerzen. Es gelang ihm zwar, wieder aufzustehen, doch war an eine Fortsetzung des Kampfs nicht zu denken, der nach 1:10 Minuten der dritten Runde für beendet erklärt wurde. Nach Angaben des Senders Showtime legte eine erste Diagnose eine Verletzung des vorderen Kreuzbands nahe.

Laut der Statistik von CompuBox hatte Martin bis zu diesem Zeitpunkt von 105 Schlägen 26 ins Ziel gebracht (25 Prozent), während Hlaskow bei 64 Versuchen 19 Treffer landen konnte (30 Prozent). Prognosen, welchen Verlauf der Kampf ohne die Verletzung des Ukrainers genommen hätte, lassen sich daraus nicht ableiten. Der seit letztem Jahr in Fort Lauderdale, Florida, lebende Hlaskow war zwar physisch im Nachteil, verfügte aber über die weitaus größere Erfahrung. Er hatte bei den Olympischen Spielen 2008 in Beijing eine Bronzemedaille im Superschwergewicht gewonnen und im Profilager mit so namhaften Gegnern wie Steve Cunningham, Tomasz Adamek und Malik Scott im Ring gestanden.

Hingegen war Charles Martin erst im November 2012 als Gewächs der "Heavyweight Factory" des verstorbenen Michael King Profi geworden und hatte seither ausschließlich gegen relativ schwache Kontrahenten gekämpft. Was er nach seinem rasanten und einer Kombination außergewöhnlicher Umstände zu verdankenden Aufstieg zum Weltmeister zustande bringen wird, läßt sich vorerst kaum einschätzen. Der IBF-Titel war vakant geworden, nachdem sich Tyson Fury geweigert hatte, gegen den Pflichtherausforderer Wjatscheslaw Hlaskow anzutreten. Verständlicherweise zieht der Brite eine lukrative Revanche gegen Wladimir Klitschko einem wenig attraktiven Duell mit Hlaskow vor. Im Zuge dieser Kette von Ereignissen kam Martin plötzlich in den Genuß eines Titelkampfs, der andernfalls auf absehbare Zeit für ihn unerreichbar geblieben wäre.

Der Sieger zeigte sich in seiner anschließenden Stellungnahme bemüht, den naheliegenden Eindruck zu entkräften, er habe den gewonnenen Gürtel nur dem Pech seines Gegners zu verdanken. Er habe die Furcht in den Augen Hlaskows gesehen und sei sich sicher gewesen, mit jeder weiteren Runde immer stärker zu werden, so Martin, der mit einer Börse von 250.000 Dollar mehr als je zuvor in seiner Karriere verdient hat. Hlaskow, der sich mit 524.141 Dollar trösten kann, sah die Sache natürlich ganz anders. Er habe gerade Maß an seinem Gegner genommen und die Distanz gefunden, als ihm die Verletzung einen Strich durch die Rechnung gemacht und ihn des Gürtels beraubt habe, der eigentlich ihm gehöre. Sobald er wieder gesund sei, wolle er eine Revanche mit Charles Martin bestreiten und für klare Verhältnisse sorgen, so der Ukrainer.

Ob es dazu kommen wird, ist ungewiß. Martin erwiderte auf die Frage nach seinen Plänen, er wolle die Titel zusammenführen. Dazu müßte er sich nach aktuellem Stand entweder mit Deontay Wilder (WBC) oder Tyson Fury (WBA, WBO) messen, die durchaus geneigt sein könnten, den mit einer Größe von 1,96 m stattlichen, aber dennoch kleineren und vor allem nicht sonderlich erfahrenen Rivalen vor die Fäuste zu bekommen. Da sich Wilder zunächst mit dem Pflichtherausforderer Alexander Powetkin auseinandersetzen muß und Tyson Fury die Revanche mit Wladimir Klitschko bevorsteht, wird Charles Martin seinen frisch gewonnenen Titel aller Voraussicht nach im Frühsommer freiwillig verteidigen und sich dafür sicher einen passenderen, weil leichter zu besiegenden Gegner aussuchen. Daß Wjatscheslaw Hlaskow dann schon wieder kämpfen kann, ist allerdings wenig wahrscheinlich.


Fußnoten:

[1] http://espn.go.com/boxing/story/_/id/14584884/charles-martin-stops-vyacheslav-glazkov-wins-vacant-heavyweight-title

[2] http://www.boxingnews24.com/2016/01/charles-martin-defeats-vyacheslav-glazkov-captures-ibf-title/#more-204207

18. Januar 2016


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