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PROFI/618: Australischer Höhenflug im Kaukasus (SB)



Lucas Browne entthront Ruslan Tschagajew

Lucas Browne ist der erste australische Weltmeister im Schwergewicht. Der 36jährige Herausforderer sicherte sich vor 7000 Zuschauern in Grosny durch technischen K.o. in der zehnten Runde gegen den ein Jahr älteren Ruslan Tschagajew den regulären Titel der WBA. Während Browne damit in 24 Kämpfen unbesiegt ist, von denen er 21 vorzeitig gewonnen hat, stehen für den in Hamburg lebenden Usbeken nun 34 Siege, drei Niederlagen sowie ein Unentschieden zu Buche. Zuvor hatte er gegen Wladimir Klitschko (2009) und Alexander Powetkin (2011) verloren.

Tschagajew, der erneut auf Einladung des tschetschenischen Präsidenten Ramsan Kadyrow in der Hauptstadt der russischen Teilrepublik antrat, machte in der ersten Hälfte des Kampfs eine gute Figur und schickte den elf Zentimeter größeren Kontrahenten in der sechsten Runde mit einem linken Haken zu Boden. Browne wurde angezählt, konnte den Kampf aber fortsetzen und rettete sich in die Pause. In der Folge mußte der Australier weitere Angriffe über sich ergehen lassen und steckte immer wieder harte Treffer ein.

Das Publikum feuerte seinen Favoriten frenetisch an, dem jedoch allmählich die Luft auszugehen schien. Browne arbeitete fleißig mit dem Jab, bewegte sich viel und bewies ausgezeichnete Nehmerqualitäten. Das nachlassende Tempo kam dem Herausforderer aus Sydney zugute, der zwar nicht allzu schnell schlug, aber genügend Zeit hatte, Maß zu nehmen.

Das überraschende Ende kam in der zehnten Runde, als Browne einen wuchtigen Haken zum Kinn durchbrachte, der Tschagajew niederstreckte. Nun wurde der Champion angezählt, der zwar rechtzeitig wieder auf die Beine kam, aber von dem Herausforderer sofort mit weiteren Schlägen eingedeckt wurde, bis der erfahrene südafrikanische Ringrichter Stanley Christodoulou dazwischenging und den Kampf für beendet erklärte.

Ruslan Tschagajew hatte sich offenbar in der sechsten Runde beim Versuch, den Australier vorzeitig zu besiegen, derart verausgabt, daß er danach nicht mehr in der Lage war, fortgesetzt Druck zu machen und mit der erforderlichen Wucht zu schlagen, um den Herausforderer endgültig in die Schranken zu weisen. Lucas Browne, der in der Vergangenheit lediglich für seine enorme Schlagwirkung bekannt war, machte die Ankündigung wahr, er werde dem Champion dank einer neuen Kampfesweise Paroli bieten. Er boxte mobil, schlug einen guten Jab und traf präzise, als ihm der erschöpfte Usbeke immer mehr Gelegenheiten dazu bot. Hervorzuheben ist auch die Standhaftigkeit des neuen Weltmeisters, der den schweren Niederschlag in der sechsten Runde und eine blutende Rißwunde, die er dabei davongetragen hatte, verkraften konnte. [1]

Rückblickend gesehen hätte Browne womöglich schon früher die Entscheidung herbeiführen können, wäre er dem nachlassenden Titelverteidiger energisch zu Leibe gerückt. In der zehnten Runde traf er Tschagajew zunächst mit einer Rechten, die den Champion in die Seile zurückweichen ließ. Vermutlich war der Usbeke bereits angeschlagen, als ihn wenig später der Volltreffer von den Beinen holte. Alles in allem kann man beiden Akteuren eine gute Leistung attestieren, was für Tschagajew allerdings eher für die erste Hälfte des Kampfs gilt. Browne ist ein würdiger neuer Weltmeister, der keineswegs nur dank eines Glückstreffers die Oberhand behalten hat.

Im Jahr 2007 hatte Ruslan Tschagajew den Gipfel seiner Karriere erklommen, als er den riesigen Russen Nikolai Walujew nach Punkten besiegte und ihm den WBA-Gürtel abnahm. Der Titel des regulären WBA-Weltmeisters, den er nun in Grosny bei der zweiten Verteidigung verloren hat, ist eine Stufe niedriger als seine damalige Trophäe angesiedelt. Darüber rangiert als Superchampion der Brite Tyson Fury, der zudem Weltmeister der WBO und des kleineren Verbands IBO ist. Die Aussichten des Usbeken, noch einmal einen Gürtel zu gewinnen, dürften weitgehend geschwunden sein. Einzig eine baldige Revanche gegen Browne böte eine statthafte Gelegenheit, sich den verlorenen Titel wiederzuholen.

Wahrscheinlich ordnet der Verband jedoch eine Titelverteidigung von Lucas Browne gegen den Interimschampion Luis Ortiz an, die der Australier so wenig gewinnen könnte, wie die meisten anderen führenden Akteure im Schwergewicht. Der in Miami lebende Kubaner gilt derzeit als Schrecken der Königsklasse und hat zuletzt mit Bryant Jennings und Tony Thompson zwei respektable Konkurrenten auf eindrucksvolle Weise demontiert. Tschagajew müßte Ortiz oder Fury besiegen, um noch einmal an eine Trophäe der WBA zu kommen. Verliert der Brite die Revanche gegen Wladimir Klitschko, wäre ein zweiter Kampf des Usbeken gegen den Ukrainer zumindest theoretisch nicht ausgeschlossen. [2]

Das alles sind vorerst jedoch nur Gedankenspiele, zumal in den kommenden Wochen und Monaten diverse Weichenstellungen vorgenommen werden. Am 9. April verteidigt Charles Martin den IBF-Titel in London gegen den Briten Anthony Joshua. Fury und Klitschko werden nach Lage der Dinge im Juni aufeinandertreffen. Weltmeister des Verbands WBC ist Deontay Wilder, der seinen Titel gegen den Pflichtherausforderer Alexander Powetkin verteidigt. Dessen Promoter hat sich bei der Versteigerung der Austragungsrechte durchgesetzt, so daß der Kampf aller Voraussicht nach in Rußland über die Bühne gehen wird. Bis spätestens Mitte des Jahres sollte sich also die in Bewegung geratene Schwergewichtsszene neu aufgestellt haben.


Fußnoten:

[1] http://espn.go.com/boxing/story/_/id/14909871/lucas-browne-stops-ruslan-chagaev-win-wba-regular-heavyweight-boxing-title

[2] http://www.boxingnews24.com/2016/03/lucas-browne-stops-ruslan-chagaev-wins-wba-title/#more-206253

6. März 2016


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