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PROFI/626: Talent deklassiert Erfahrung (SB)



Errol Spence macht kurzen Prozeß mit Chris Algieri

Errol Spence, der weit über das Weltergewicht hinaus als eines der vielversprechendsten Talente der Branche gilt, hat seinem Ruf mit einem unangefochtenen Sieg über einen so namhaften Kontrahenten wie Chris Algieri alle Ehre gemacht. Zum Leidwesen der 7628 zahlenden Zuschauer im Barclays Center in Brooklyn, die größtenteils den aus Huntington, New York, stammenden Algieri anfeuerten, dominierte der 26jährige Rechtsausleger aus DeSoto in Texas auf ganzer Linie. Spence gehörte 2012 der US-amerikanischen Olympiamannschaft an und wurde 2015 von ESPN zum Nachwuchstalent des Jahres gekürt. Wann immer die Frage aufgeworfen wird, wer es nach dem Abschied Floyd Mayweathers und Manny Pacquiaos zum herausragenden Akteur der Branche bringen könnte, fällt allen voran sein Name.

Wenngleich es zahlreiche Boxer gibt, die wie er 20 Profikämpfe in Folge gewonnen haben und noch immer ungeschlagen sind, kann man Spence nicht vorwerfen, er gehe gefährlichen Gegnern systematisch aus dem Weg, um seine Bilanz sauberzuhalten. Chris Algieri, der früher Weltmeister im Halbweltergewicht war und sich neben 21 erfolgreichen Auftritten lediglich Manny Pacquiao und Amir Khan geschlagen geben mußte, hatte noch nie vorzeitig verloren. Daß der 31 Jahre alte Lokalmatador ungeachtet seiner Beweglichkeit gegen Errol Spence dreimal am Boden lag und bereits in der fünften Runde die Segel streichen mußte, spricht für die außergewöhnlichen Qualitäten seines Bezwingers.

Ein ums andere Mal brachte der Texaner seine schnell und präzise geschlagene Linke ins Ziel, wie er auch in der Nahdistanz unablässig für Gefahr sorgte. Algieri, der durchweg schwächer und langsamer wirkte, fand zu keiner Zeit in den Kampf. Schon in der dritten Runde war er von einer Schwellung unter dem rechten Auge deutlich gezeichnet, während ihn der Gegner mit harten Treffern in die Ecke trieb. Im folgenden Durchgang mußte Chris Algieri erstmals zu Boden gehen, worauf es nur noch eine Frage der Zeit zu sein schien, bis sein Schicksal besiegelt wäre. Das frühe Ende nahte in der fünften Runde, als Spence ihn nach einer Trefferserie erneut mit der Linken zu Boden schickte. Der Lokalmatador kam zwar noch einmal auf die Beine, stürzte aber wenig später nach einem weiteren exakten Volltreffer entlang der Seile auf die Bretter, worauf ihn Ringrichter Benjy Esteves gar nicht erst auszählte, sondern nach 48 Sekunden des Durchgangs aus dem Kampf nahm.

Wie Errol Spence nach seinem überzeugenden Auftritt anmerkte, sei ihm etwas gelungen, was weder Manny Pacquiao noch Amir Khan geschafft hätten. Chris Algieri sei ein zäher Kämpfer, den vorzeitig zu besiegen hohe Anforderungen stelle. Alle Welt habe erwartungsvoll verfolgt, wie er sich gegen einen derart anerkannten Kontrahenten schlage würde. Die Art und Weise seines Erfolgs zeige in aller Deutlichkeit, wo er inzwischen im Weltergewicht stehe.

Chris Algieri zollte dem Sieger uneingeschränkten Respekt und charakterisierte ihn als hungrigen jungen Löwen, der eines Tages ein herausragender Champion sein werde. Spence habe an diesem Abend eine erstklassige Vorstellung gegeben und sei jederzeit hochkonzentriert zu Werke gegangen. Wenngleich er ihn mit einigen Schlägen spürbar getroffen habe, hätten diese für keinerlei Irritationen gesorgt.

Promoter Lou DiBella, unter dessen Regie die Veranstaltung über die Bühne ging, hat im Laufe dreier Jahrzehnte im Boxgeschäft schon so manches Talent zur Reife gebracht. Einen Boxer wie Spence habe er jedoch schon lange nicht mehr erlebt, da dieser unglaublich schnell und zugleich überaus gefährlich für jeden Gegner sei. Selbst Floyd Mayweather sei voll des Lobes über ihn, denke aber nicht einmal im Traum daran, doch noch einmal die Boxhandschuhe anzuziehen, um sich mit diesem furchterregenden Talent zu messen. Spence sei in den höchsten Rängen angekommen und müsse niemanden in seiner Gewichtsklasse scheuen. Keinem anderen Boxer sei es zuvor gelungen, durch Chris Algieri hindurchzumarschieren. Er würde auf der Stelle sein Haus darauf verwetten, daß selbst Pacquiao keine Chance gegen Spence hätte, so der Promoter überschwenglich, doch keineswegs völlig aus der Luft gegriffen.

Spence, der mit einer Börse von 225.000 Dollar noch unter den 325.000 Dollar Algieris rangierte, hat diesen nun nicht nur in sportlicher, sondern sicher bald auch in finanzieller Hinsicht überholt. Da es sich um einen Ausscheidungskampf der IBF handelte, ist der Texaner jetzt neuer Pflichtherausforderer des Briten Kell Brook. Der in 36 Kämpfen ungeschlagene Weltmeister darf seinen Titel zweimal freiwillig verteidigen, bevor er sich Errol Spence stellen müßte. Brooks Promoter Eddie Hearn hat jedoch bereits angedeutet, daß der Champion nach den beiden kommenden Kämpfen seinen Gürtel zurückgeben könnte, um ins Halbmittelgewicht aufzusteigen. [1]

Wenngleich dort weniger attraktive Gegner als im Weltergewicht zur Auswahl stünden, ginge der Brite mit diesem Manöver nicht zuletzt Spence aus dem Weg, dem zu begegnen er nach dessen jüngstem Auftritt um so weniger geneigt sein dürfte. Brook könnte zwischen den Gewichtsklassen pendeln oder normalerweise leichtere Kontrahenten mittels einer separat vereinbarten Gewichtsgrenze zu sich nach oben locken. Daher steht zu vermuten, daß der Texaner diesen Weltmeister so schnell nicht vor die Fäuste bekommen wird. [2]

Sollte der Brite den IBF-Titel niederlegen, würde ihn Spence entweder sofort oder durch einen Sieg im Kampf um den dann vakanten Gürtel bekommen. Eine Alternative wäre WBC-Weltmeister Danny Garcia, der jedoch ebenfalls bei dem Berater Al Haymon unter Vertrag steht. Da sich Haymon ausrechnen kann, wie dieser Kampf ausgehen würde, und er Garcia vermutlich nicht von Spence demontieren lassen will, wird es kaum zu diesem Duell kommen. Dasselbe dürfte für andere namhafte Rivalen im Weltergewicht wie Adrien Broner, Shawn Porter oder Keith Thurman aus Haymons umfassendem Arsenal prominenter Akteure gelten. Möglicherweise könnte sich der aufstrebende Texaner deshalb in absehbarer Zeit veranlaßt sehen, in höheren Gewichtsklassen anzutreten.

Für den Augenblick bleibt festzuhalten, daß Errol Spence mit seinem spektakulären Sieg über Chris Algieri einen großen Sprung nach vorn gemacht hat und jetzt von erheblich mehr Zuschauern wahrgenommen werden dürfte. Da er sehr attraktiv boxt und stets den frühen Erfolg sucht, sollten ihn diese Qualitäten eigentlich auf direktem Weg in die Publikumsgunst und mithin ins Bezahlfernsehen führen. Andererseits hat sein souveräner Umgang mit dem erfahrenen New Yorker Lokalmatador die Konkurrenz endgültig aufgeschreckt und wohl auch dafür gesorgt, daß ihm die Prominenz im Weltergewicht fortan aus dem Weg geht. Diese Situation erinnert zwangsläufig an jene Gennadi Golowkins, den die namhaften Gegner im Mittelgewicht tunlichst meiden, weil sie nicht wie sämtliche Kontrahenten des Kasachen seit über sechs Jahren vorzeitig auf den Brettern landen wollen. [3]


Fußnoten:

[1] http://espn.go.com/boxing/story/_/id/15219645/errol-spence-jr-knocks-chris-algieri-fifth-round-premier-boxing-champions-main-event

[2] http://www.boxingnews24.com/2016/04/errol-spence-destroys-chris-algieri/#more-208190

[3] http://www.boxingnews24.com/2016/04/spence-something-pacquiao-khan-couldnt/#more-208207

18. April 2016


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