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PROFI/640: Blendwerk eines sinkenden Sterns (SB)



Adonis Stevenson setzt sich gegen Thomas Williams durch

Adonis Stevenson hat den WBC-Titel im Halbschwergewicht zum siebten Mal erfolgreich verteidigt. Der 38jährige Kanadier setzte sich in Quebec City durch K.o. in der vierten Runde gegen den zehn Jahre jüngeren Thomas Williams durch. Während für den Weltmeister damit 28 Siege und eine Niederlage zu Buche stehen, hat der bislang an Nummer acht der WBC-Rangliste geführte Herausforderer aus Fort Washington in Maryland nunmehr 20 Auftritte gewonnen und zwei verloren. [1]

In einem Duell zweier Boxer, die in erster Linie auf ihre enorme Schlagwirkung vertrauen, lieferten die Kontrahenten einander einen turbulenten Abtausch heftiger Treffer. Williams ging mutig zu Werke und versteckte sich nicht vor dem Champion, der sich zunächst mit einem Gegner auf gleicher Augenhöhe konfrontiert sah. Dennoch hätte der Kampf um ein Haar bereits in der ersten Runde geendet, als Stevenson dem Kontrahenten mit der Linken einen heftigen Schlag gegen den Kopf versetzte, der Williams niederstürzen ließ. Der Herausforderer kam jedoch wieder auf die Beine, ehe ihn Ringrichter Michael Griffin ausgezählt hatte, und überstand die verbliebenen Sekunden bis zur Pause.

Wer erwartet hatte, daß damit die Weichen für einen enttäuschenden Untergang des US-Amerikaners gestellt seien, sah sich im zweiten Durchgang eines Besseren belehrt. Williams ging beherzt zur Sache, arbeitete sich abduckend und pendelnd an den Champion heran und traf ihn des öfteren mit seinen schnellen Schlägen. Stevenson wurde von diesen Treffern zurückgetrieben, was seine Fangemeinde im Publikum jedesmal entsetzt nach Luft schnappen ließ. Der Herausforderer schien in dieser Phase das Blatt zu wenden, da der Champion angeschlagen wirkte und von Glück reden konnte, daß sein Gegner nicht noch mehr Dampf in den Fäusten hatte. Williams marschierte unablässig nach vorn, womit er Stevenson geschickt den Raum und den Schlägen des Kanadiers die Wirkung nahm, der viel Platz zum Ausholen braucht, um die größtmögliche Wucht zu entfalten.

Auch die dritte Runde verlief ausgeglichen, wobei die eindrucksvollste Aktion des Titelverteidigers ein Uppercut war, der den Kopf des Gegners zurückschnellen ließ. Williams revanchierte sich jedoch postwendend mit wuchtigen Schlägen, wenngleich nun sein rechtes Auge zuzuschwellen begann und seine Stirn eine Beule zierte, die er offenbar bei einem Zusammenstoß mit den Köpfen davongetragen hatte.

In der vierten Runde konzentrierte sich Stevenson vor allem auf Körpertreffer, wobei ihm ein Tiefschlag unterlief. Der Referee gewährte Williams zwar eine kurze Erholungspause, die jedoch offensichtlich nicht ausreichte, da der Weltmeister in der Folge ohne Rücksicht auf eine mögliche Verwarnung weiter zum Körper schlug. Nun erlahmte die Gegenwehr des Herausforderers, der sich von Stevenson in die Seile treiben ließ, wo er den Angriffen des Weltmeisters ausgeliefert war. Als sich der geschwächte Herausforderer vornüber beugte, hatte der Lokalmatador freie Bahn, ihm mit einer kurz angesetzten Linken einen heftigen Schlag gegen den Kopf zu versetzen, der Williams zu Boden schickte. Der US-Amerikaner versuchte zwar, sich noch einmal aufzuraffen, doch als ihm das nicht gelang, erklärte der Referee den Kampf nach 2:54 Minuten der vierten Runde für beendet. [2]

Wie Stevenson in einer anschließenden Stellungnahme erklärte, seien an diesem Abend zwei Boxer aufeinandergetroffen, die es verstünden zu kämpfen. Williams habe ordentlich Druck gemacht, der jedoch nicht unerwidert geblieben sei. Gemeinsam habe man eine gute Show geboten, wie es dem Publikum gefalle.

Der WBC-Weltmeister stand erstmals seit seinem vorzeitigen Sieg über Tommy Karpency im September 2015 wieder im Ring und mußte dabei größere Probleme bewältigen, als ihm lieb sein konnte. Wenngleich die beiden Niederschläge und der vorzeitige Erfolg den Eindruck erwecken könnten, es habe sich um eine souveräne Vorstellung gehandelt, war das nicht der Fall. Stevenson wirkte in der zweiten und dritten Runde recht angreifbar und mußte diverse wuchtige Treffer einstecken. Der Kanadier ist weniger beweglich auf den Füßen als in der Vergangenheit und schlägt nicht mehr so schnell wie früher. Williams konnte bei seinen Schlägen nur nicht genügend Wirkung entfalten, um den Weltmeister nachhaltig zu erschüttern oder gar niederzustrecken. Stünde Stevenson jedoch einem robusten Kandidaten gegenüber, der seine Treffer wegsteckt und seinerseits gewaltig zuschlagen kann, dürfte es eng für ihn werden.

Ein entscheidender Vorteil des Weltmeisters war an diesem Abend sein sichtlich höheres Gewicht, da er offenbar nach dem offiziellen Wiegen am Vortag durch Rehydrieren beträchtlich zugelegt hatte und wie ein Cruisergewichtler wirkte. Wie schon bei seinen früheren Auftritten brachte er auch diesmal eine physische Überlegenheit ins Spiel, die es dem Herausforderer von vornherein schwer machte, Druck zu entfalten und Schlagwirkung zu erzielen. Im nächsten Schritt bekommt es Adonis Stevenson höchstwahrscheinlich mit dem Pflichtherausforderer Eleider Alvarez zu tun, der die WBC-Rangliste anführt. Alvarez ist zwar schwerer als Williams, ansonsten aber wohl nicht gefährlicher als der US-Amerikaner, der trotz seiner frühen Niederlage für eine positive Überraschung gesorgt hatte.

Nachdem Adonis Stevenson jahrelang aus der Ferne mit Sergej Kowaljow darüber gestritten hat, wer von beiden der beste Akteur im Halbschwergewicht sei, scheint sein Stern langsam aber sicher zu sinken. Mußte er sich schon geraume Zeit den Vorwurf gefallen lassen, bei der Wahl seiner Gegner den gefährlichsten Rivalen systematisch aus dem Weg zu gehen, hat er in seiner aktuellen Verfassung nicht nur den Russen, sondern auch dessen Landsmann Artur Beterbijew wie auch Andre Ward, Joe Smith jun. und Oleksandr Hwosdyk zu fürchten.

Kowaljow und Beterbijew sind Boxer, die Stevenson mit einem einzigen Volltreffer von den Beinen holen könnten. Der aus dem Supermittelgewicht aufgestiegene Ward ist mit allen Wassern gewaschen und will bei einem Prestigeduell mit Kowaljow im Herbst beweisen, daß er auch im höheren Limit den Ton angeben kann. Der Ukrainer Hwosdyk ist in der Lage, aus häufig wechselnden Vektoren gehörig zuzuschlagen, und technisch versierter als Williams, so daß auch er eine Gefahr für den Kanadier darstellen würde. Zu all diesen Kämpfen wird es jedoch nicht kommen, da Stevenson und sein Management sicher noch weniger als in der Vergangenheit bereit sein dürften, ein Risiko einzugehen. Der Weltmeister bringt bei seinen Titelverteidigungen in Kanada genug Geld in die Kasse und kann das sicher noch einige Zeit weiter tun, sofern sich das Können seiner Herausforderer in Grenzen hält.


Fußnoten:

[1] http://espn.go.com/boxing/story/_/id/17176577/adonis-stevenson-knocks-thomas-williams-jr-fourth-round-retain-light-heavyweight-world-title

[2] http://www.boxingnews24.com/2016/07/adonis-stevenson-vs-thomas-williams-jr-results/#more-214188

30. Juli 2016


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