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PROFI/645: Prestigekampf der Unbesiegbaren (SB)



Roman Gonzalez setzt sich gegen Carlos Cuadras durch

Roman Gonzalez, den renommierte Experten nach vor Gennadi Golowkin als besten Boxer aller Gewichtsklassen einstufen, hat einen weiteren Meilenstein seiner außergewöhnlichen Karriere erreicht. Der 29jährige "Chocolatito" aus Nicaragua war bereits Weltmeister im Stroh- und Halbfliegengewicht sowie zuletzt WBC-Champion im Fliegengewicht. Nun forderte er Carlos Cuadras heraus, den zwei Jahre jüngeren WBC-Weltmeister im Superfliegengewicht aus Mexiko. Beide Akteure konnten mit einer eindrucksvollen Bilanz aufwarten: Während Gonzalez in 45 Kämpfen ungeschlagen war, hatte der ebenfalls unbezwungene Titelverteidiger 35 Siege und ein Unentschieden vorzuweisen.

Vor 6714 zahlenden Zuschauern im Forum von Inglewood, Kalifornien, behielt Roman Gonzalez nach zwölf hart umkämpften Runden voller spektakulärer Szenen einstimmig nach Punkten die Oberhand (117:111, 116:112, 115:113). Als Weltmeister in der vierten Gewichtsklasse übertraf er seinen Mentor Alexis Arguello und wurde der erste Boxer seines Landes, dem dieses Kunststück gelungen ist. Der bislang berühmteste Boxer Nicaraguas scheiterte vor 34 Jahren in zwei denkwürdigen Kämpfen an Aaron Pryor, so daß ihm damals verwehrt blieb, was sein Meisterschüler "Chocolatito" nun vollbracht hat.

Vom Publikum frenetisch angefeuert, erfüllten die Kontrahenten die hochgespannten Erwartungen und schenkten einander nichts. Gonzalez hatte auch nach dem Aufstieg in die höhere Gewichtsklasse nichts von seiner Schnelligkeit und Schlagwirkung eingebüßt. Er griff von Beginn an furios an und glänzte mit seiner exzellenten Beinarbeit und Beweglichkeit. Cuadras hielt unverwüstlich stand und revanchierte sich immer wieder mit überraschenden Kontern. [1]

Auffällig war indessen, daß der deutlich größere und schwerere Mexikaner nicht etwa der Angreifer, sondern häufig auf der Flucht vor dem unablässig attackierenden Herausforderer war. Wenngleich die Mehrzahl der Zuschauer Cuadras anspornten und jeden seiner Schläge bejubelten, konnten sie ihn doch nicht dazu bewegen, sich über längere Strecken zum Schlagabtausch zu stellen. Mit zunehmender Kampfdauer suchte er immer häufiger das Weite oder klammerte sofort, um den Gegner an der Entfaltung zu hindern. In der neunten Runde zog sich der Mexikaner durch einen linken Haken des Kontrahenten eine Rißwunde unter dem rechten Auge zu, doch sah Gonzales am Ende viel schlimmer aus. Er hatte zwar ständig Druck gemacht, dabei aber auch sehr viel eingesteckt. Seine rechtes Auge war am Ende fast zugeschwollen und auch seine linke Gesichtshälfte wies die Spuren zahlreicher Treffer auf. [2]

Die Punktrichter gaben zu Recht Gonzalez den Zuschlag, der mit seinen schnellen Schlägen und gefährlichen Kombinationen Cuadras durch den Ring getrieben und ihm den Kampf aufgezwungen hatte. Der Mexikaner schlug mit seinen wilden Schwingern des öfteren Löcher in die Luft und bekam mit steigender Rundenzahl Konditionsprobleme. Daraufhin kämpfte er nur noch in der ersten Hälfte jedes Durchgangs und überbrückte den Rest mit Laufen und Klammern, was ihn die entscheidenden Punkte kostete. Er wirkte zunehmend wie ein müder Boxer, der vor dem Kampf allzu viel abgekocht und nach dem Wiegen wieder rehydriert hatte, sah er doch fast schon wie ein Leichtgewichtler aus. Vermutlich wäre der nach Verkündung des Ergebnisses tief enttäuschte Mexikaner gut beraten, einen Wechsel ins Federgewicht in Erwägung zu ziehen, statt sich vor jedem Auftritt im Superfliegengewicht zu viele Pfunde abzuquälen und daraufhin konditionell einzubrechen.

Laut der Statistik von CompuBox hatte Gonzales 323 von 985 Schlägen ins Ziel gebracht (33 Prozent), während Cuadras bei 893 Versuchen 258 Treffer landen konnte (29 Prozent). Auch diese Zahlen sprechen also für den Herausforderer aus Nicaragua, und da keiner von beiden schwer angeschlagen wirkte oder gar zu Boden gehen mußte, hielt sich die beiderseitige Schlagwirkung die Waage.

Angesichts seiner technischen Brillanz, überragenden Kampfesweise und beeindruckenden Bilanz wäre Roman Gonzalez längst einer der größten Stars der Branche, boxte er nicht in den leichtesten Gewichtsklassen, die vom breiteren Publikum vernachlässigt werden. Viel Aufmerksamkeit wird ihm jedoch zuteil, seit er vor drei Kämpfen begonnen hat, jeweils gemeinsam mit Gennadi Golowkin aufzutreten. Da der Kasache an diesem Abend im fernen London Kell Brook überrollte, was die im Forum von Inglewood eintreffenden Zuschauer auf großen Videoleinwänden verfolgen konnten, war das Erfolgsgespann diesmal räumlich getrennt und doch vereint. Das erlaubte es Gonzales, erstmals die alleinige Hauptrolle zu spielen, was ihm ausnehmend gut gelang.

Im Forum hatte seine Serie zehn vorzeitiger Siege vor fünf Monaten geendet, als McWilliams Arroyo haushoch nach Punkten, aber aufrecht stehend gegen ihn verlor. Gonzales verteidigte dabei den WBC-Titel im Fliegengewicht erfolgreich, den er auch bei seinem Aufstieg ins höhere Limit nicht niederlegte. Auf diese Weise steht es ihm nun frei zu entscheiden, wo er fortan seine Kreise zieht. Im Superfliegengewicht läuft er eher Gefahr, sich mit körperlich überlegenen Gegnern wie Carlos Cuadras herumschlagen zu müssen. Wenngleich Gonzales schneller und technisch versierter zu Werke ging, wäre der Kampf sehr viel enger verlaufen, hätte der Mexikaner nicht konditionell abgebaut.

Letzten Endes wird die Frage den Ausschlag geben, wo er die namhafteren Gegner und die bedeutenderen Kämpfe bekommt. Der Sieg über Cuadras, der bislang als unbesiegbar galt, hat jedenfalls gezeigt, daß sich Roman Gonzales auch gegen größere und schwerere Kontrahenten von Weltklasse durchsetzen kann. Daß er gemeinsam mit Gennadi Golowkin auftritt, macht also Sinn und ist eine Ehre für beide Boxer. Sie brauchen nicht darüber zu streiten, wer in den Augen der Fachwelt der Allerbeste ist.


Fußnoten:

[1] http://www.espn.com/boxing/story/_/id/17517865/roman-gonzalez-wins-slugfest-carlos-cuadras-becomes-4-weight-champ

[2] http://www.boxingnews24.com/2016/09/roman-gonzalez-vs-carlos-cuadras-results/#more-216935

13. September 2016


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