Schattenblick → INFOPOOL → SPORT → BOXEN


PROFI/649: Schwacher Gegner, große Worte (SB)



Tony Bellew macht mit BJ Flores kurzen Prozeß

Tony Bellew hat den Titel des Verbands WBC im Cruisergewicht in Liverpool erfolgreich verteidigt. Es kostete den 33jährigen Weltmeister keine allzu große Mühe, den vier Jahre älteren BJ Flores bereits in der dritten Runde zu besiegen. Da der Herausforderer an Nummer 14 der WBC-Rangliste geführt wurde, galt er als vergleichsweise leichter Gegner, den zu bezwingen kein harter Prüfstein für den Champion war. Während Bellew seine Bilanz auf 28 Siege, zwei Niederlagen und ein Unentschieden ausbauen konnte, stehen für den überforderten Flores nunmehr 32 gewonnene und drei verlorene Kämpfe sowie ein unentschieden abgeschlossener Auftritt zu Buche. [1]

Die Vorentscheidung fiel im Grunde schon in der zweiten Runde, als Bellew einen klaren Tiefschlag landete, worauf Flores erstmals zu Boden gehen mußte. Wenngleich der US-Amerikaner diese regelwidrige Aktion sofort beim Ringrichter Ian Lewis monierte, ging dieser nicht darauf ein. Dank dieser krassen Fehlentscheidung des Referees konnte der Titelverteidiger seinen beeinträchtigten Gegner weiter mit Schlägen eindecken und schließlich mit einer Linken zum Kopf erneut auf die Bretter schicken. Flores kam wieder auf die Beine und revanchierte sich nicht, indem er seinerseits zu unerlaubten Mitteln griff, sondern boxte weiterhin sauber mit, schien aber in seinen Bewegungsmöglichkeiten eingeschränkt zu sein.

Statt zu klammern und sich eine Luftpause zu verschaffen, kämpfte Flores tapfer mit, so daß ihn der Weltmeister mit weiteren Schlägen traktieren konnte. Schließlich landete der Herausforderer abermals auf dem Boden, worauf der Pausengong ertönte. Flores kam nur mühsam wieder hoch und taumelte in seine Ecke, weshalb kaum Aussicht bestand, daß er den folgenden Durchgang überstehen würde. Er bot in dieser Phase ein zu leichtes Ziel und verfügte nicht über die Nehmerqualitäten, um den Treffern standzuhalten.

Erstaunlicherweise ging der Herausforderer in der dritten Runde mit schnellen Schlägen in die Offensive und versetzte Bellew diverse klare Treffer, die nur deshalb wenig ausrichteten, weil es Flores an Wirkung fehlte. Es kam zu einem heftigen Schlagabtausch, in dem auch der Champion kräftig einstecken mußte, bis er mit einem linken Haken konterte, der den Gegner auf Hände und Knie niedersinken ließ. Der Herausforderer richtete sich erst bei neun wieder auf und wurde vom Ringrichter ausgezählt, doch hätte er diese Runde ohnehin nicht mehr überstanden.

Nach seinem Erfolg warf sich der Lokalmatador in die Brust, als habe er einen hochklassigen Kontrahenten besiegt, und lobte Flores als einen allseits respektierten Boxer alter Schule, der sich mit aller Macht einen langgehegten Traum erfüllen wollte. Dabei sei er jedoch auf einen Weltmeister getroffen, der im Ring keine Gnade walten lasse, nicht umsonst "Der Bomber" genannt werde und ihn nach Strich und Faden verprügelt habe. [2]

Kaum war der Schlußgong ertönt, als Bellew auch schon über die Seile sprang und auf den in der ersten Reihe sitzenden David Haye losgehen wollte, woran er jedoch von dort postierten Saalordnern gehindert wurde. Der Champion gab als Laiendarsteller eine derart schlechte Figur ab, daß die Inszenierung lächerlich wirkte. [3] Die beiden hatten einander schon im Vorfeld der Veranstaltung in Liverpool verbal beharkt, was darauf schließen ließ, daß sie gegeneinander antreten wollen. Sollte es im nächsten Jahr dazu kommen, fände der Kampf im Schwergewicht statt, wo Haye seit langem antritt. Ob Bellew dafür seinen Titel niederlegen würde, ist ungewiß, aber nicht auszuschließen, da er dem Pflichtherausforderer Mairis Briedis aus dem Weg gegangen ist und den wesentlich schwächeren Flores vorgezogen hat.

Briedis bot an diesem Abend im Vorprogramm eine derart überzeugende Leistung, daß sich Bellew mit seiner Ausflucht vermutlich eine vorzeitige Niederlage erspart hat. Berücksichtigt man, wie leicht ihn ein angeschlagener und insgesamt schwächerer Gegner wie Flores treffen konnte, muß man für den Liverpooler schwarzsehen, sobald er auf einen wirklich anspruchsvollen Kontrahenten mit Dampf in den Fäusten trifft. Wollte Bellew den Pflichtherausforderer ein zweites Mal vertrösten, müßte er ihn mit einer beträchtlichen Summe entschädigen und den Verband dafür gewinnen, was nicht ganz einfach sei dürfte.

David Haye, der früher selbst Weltmeister im Cruisergewicht war, aber schon seit Jahren im Schwergewicht kämpft, sollte leichtes Spiel mit Bellew haben. Da dessen Selbsteinschätzung das eigene Können jedoch erheblich übersteigt, könnte er durchaus der Überzeugung sein, seinem Landsmann auf gleicher Augenhöhe zu begegnen. Als Bellew im Mai gegen den nicht allzu bekannten Ilunga Makabu gewonnen hatte, verkündete der Brite, er habe den besten Cruisergewichtler der Welt geschlagen und stehe damit einsam an der Spitze seiner Gewichtsklasse. Angesichts dieser absurden Aussage drängen sich die Namen von einem Dutzend ausgezeichneter Rivalen auf, denen ein Sieg gegen Bellew ohne weiteres zuzutrauen wäre. Dessen Glück ist nicht zuletzt ein erfahrener Promoter wie Eddie Hearn, der die Grenzen seiner Boxer sehr genau kennt und für eine wohldosierte Auswahl der Gegner bekannt ist.

Selbst der inzwischen 44jährige Shannon Briggs, der sich in jüngerer Zeit auf die britische Schwergewichtsszene verlegt hat, würde Bellew wohl mit seinen wuchtigen Körpertreffern auf die Bretter schicken. Wie Haye in einer Stellungnahme erklärte, habe Bellew zwar Dynamit in den Fäusten, aber eine löchrige Deckung. Sollte es zum Kampf kommen, würde schon ein einziger Volltreffer ausreichen, um den Liverpooler zu fällen. Es wäre ein so leichtes Spiel, daß er Bellew vermutlich sogar mit dem Jab auf die Bretter schicken würde.

Wenngleich auch Haye in seinen Tiraden bekanntlich kein Kind von Traurigkeit ist, kann man ihm doch in diesem Fall zustimmen. Bellew würde zwar heftig auf ihn einschlagen, sich aber absehbar nicht viel besser als gegen Flores decken können, so daß der "Hayemaker" seinem Namen alle Ehre machen würde. Der 36 Jahre alte David Haye hat seit seiner Rückkehr in den Ring nach einer mehrjährigen Pause zwei nahezu unbekannte Gegner besiegt und plant am 10. Dezember seinen nächsten Auftritt. Er strebt eine Herausforderung des IBF-Weltmeisters Anthony Joshua oder möglicherweise auch einen Kampf um den inzwischen vakanten WBA-Titel an, den Tyson Fury niedergelegt hat. Tony Bellew wäre eine relativ leichte Beute, die sich zudem in England gut vermarkten ließe. Eine gute Vorbereitung auf Anthony Joshua wäre der Cruisergewichtler hingegen nicht, der weder die Statur noch die Schlagwirkung des jungen IBF-Champions hat.


Fußnoten:

[1] http://www.espn.com/boxing/story/_/id/17802343/tony-bellew-stops-bj-flores-retain-wbc-cruiserweight-title-calls-david-haye

[2] http://www.boxingnews24.com/2016/10/tony-bellew-vs-bj-flores-results/#more-219325

[3] http://www.boxingnews24.com/2016/10/haye-ill-ko-tony-bellew-jab/#more-219335

16. Oktober 2016


Zur Tagesausgabe / Zum Seitenanfang