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PROFI/656: Wenn der gute Ruf zur Bürde wird ... (SB)



Jason Sosa chancenlos gegen Wassyl Lomatschenko

Der Ukrainer Wassyl Lomatschenko gehörte zu den besten Amateurboxern aller Zeiten, wurde er doch 2008 Olympiasieger im Federgewicht und 2012 im Leichtgewicht, bevor er mit einer beeindruckenden Bilanz von 396 Siegen und nur einer Niederlage seine Amateurlaufbahn beendete. Im August 2013 wechselte er ins Profilager, wo er von dem US-Promoter Top Rank Boxing unter Vertrag genommen wurde. Er zog ins kalifornische Oxnard um und gewann am 12. Oktober 2013 sein Profidebüt. Am 1. März 2014 trat er bereits in seinem zweiten Kampf gegen den WBO-Weltmeister Orlando Salido an, der 52 Profikämpfe bestritten hatte und vom Magazin The Ring auf Platz zwei der Weltrangliste geführt wurde. Nach zwölf Runden wurde Salido zum 2:1-Punktsieger erklärt, doch waren sich die Experten einig, daß der Ukrainer unter fragwürdigen Umständen bezwungen worden war. Der Mexikaner hatte beim offiziellen Wiegen den Titel verloren, weil er die Gewichtsgrenze überschritt, und war beim Kampf selbst rund fünf Kilo schwerer als sein Gegner. Hinzu kam eine unerklärlich schwache Leistung des Ringrichters, der Salidos schmutzige Tricks durchgehen ließ und Tiefschläge in Serie ignorierte.

Als Lomatschenko am 21. Juni 2014 erneut um den vakanten WBO-Titel im Federgewicht kämpfte, besiegte er Gary Russell und wurde damit bereits in seinem dritten Profikampf Weltmeister, was vor ihm nur dem Thailänder Saensak Muangsurin 1975 im Halbweltergewicht gelungen war. Er verteidigte seinen Gürtel dreimal erfolgreich, doch gingen ihm die namhaftesten Akteure wohlweislich aus dem Weg, so daß ihm die erhofften spektakulären Duelle und weitere Gürtel in dieser Gewichtsklasse versagt blieben. Nach seinem Aufstieg ins Superfedergewicht wurde er in seinem siebten Profikampf Champion in einer zweiten Gewichtsklasse, als er am 11. Juni 2016 im Madison Square Garden dem Puertoricaner Roman Martinez den WBO-Gürtel abnahm.

Wassyl Lomatschenko, der längst als einer der besten Akteure aller Gewichtsklassen gehandelt wird, hat nun den Titel der WBO im Superfedergewicht zum zweiten Mal erfolgreich verteidigt. Der 28jährige Ukrainer setzte sich vor rund 2800 Zuschauern in Oxon Hill, Maryland, vorzeitig gegen den ein Jahr älteren ehemaligen Champion Jason Sosa aus Camden in New Jersey durch, dessen Trainer seinen Schützling nach der neunten Runde aus dem Kampf nahm. Während der Weltmeister acht Auftritte gewonnen und einen verloren hat, stehen für den Herausforderer nunmehr 20 Siege, zwei Niederlagen sowie vier Unentschieden zu Buche.

Wenngleich der favorisierte Lomatschenko dank seiner Schnelligkeit und technischen Qualitäten von Beginn an der klar überlegene Boxer war, machte Sosa seine Sache in den ersten beiden Runden gut und versetzte dem Champion diverse wuchtige Treffer. Als der Ukrainer jedoch von der dritten Runde an blitzschnelle Viererkombinationen schlug, stand sein Gegner zunehmend auf verlorenem Posten. Er verschanzte sich hinter seiner Deckung und ließ die Schläge über sich ergehen, was zwar verständlich war, ihn aber jeglicher Konterchancen beraubte.

Auf diese Weise war dem Favoriten nicht beizukommen, der sehr beweglich auf den Füßen manövrierte und aus ständig wechselnden Vektoren angriff. In den folgenden Durchgängen traf der Ukrainer fast nach Belieben, so daß der Kampf immer einseitiger verlief. Spätestens nach fünf Runden war klar, daß Sosa nicht mehr gewinnen konnte und nur aufgrund seiner enormen Nehmerqualitäten durchhielt. Zeitweise mußte er Serien von Treffern einstecken, ohne zurückzuschlagen, weshalb ein Abbruch schon zu diesem Zeitpunkt durchaus gerechtfertigt gewesen wäre.

Die Lektion nahm jedoch noch einige Runden ihren Lauf, da es Lomatschenko offensichtlich nicht darauf anlegte, den Kontrahenten mit aller Macht zu Boden zu schicken. Sosa hielt trotz des Schlaghagels tapfer durch und klammerte nur selten, selbst als er in der achten Runde einen schweren Körpertreffer verkraften mußte. Ringrichter Kenny Chevalier verfolgte aufmerksam das Geschehen, brach aber nicht ab, da der Herausforderer dann und wann zurückschlug. In der Pause kündigte Sosas Trainer seinem Schützling an, daß er ihm nur noch eine Runde geben würde, da er besorgt um seine Gesundheit sei. Im neunten Durchgang wirkte der Außenseiter immer noch angeschlagen, doch ließ ihn Lomatschenko die drei Minuten überstehen, indem er seinen Druck etwas verminderte. Nach Ende der Runde warf Sosas Trainer und Manager Raul Rivas dann wie angekündigt das Handtuch zum Zeichen der Aufgabe.

Wassyl Lomatschenko hatte ausgezeichnet gekämpft und Sosa des öfteren ins Leere schlagen lassen, war aber vor allem in der Anfangsphase dennoch häufiger getroffen worden als in sämtlichen Kämpfen seit seiner Niederlage gegen Orlando Salido im Jahr 2014. Damals konnte der Ukrainer mit dessen zahlreichen Schlägen zum Körper noch nicht angemessen umgehen. Vielleicht wäre Jason Sosa gut beraten gewesen, nach dieser Blaupause vorzugehen, zumal Lomatschenko dank seiner enormen Beweglichkeit sehr schwer am Kopf zu treffen ist. [1]

Wenngleich sein Promoter Top Rank einen paßförmigen Gegner für ihn ausgesucht hatte, der ihm in technischer Hinsicht klar unterlegen war, dürfte das doch für die allermeisten anderen Kontrahenten in dieser Gewichtsklasse gleichermaßen gelten. Die zumeist ukrainischen Zuschauer waren hochzufrieden und feierten ihren Landsmann euphorisch, der mit den Worten Bilanz zog, er habe wohl seinen Job gut gemacht und eine technisch anspruchsvolle Vorstellung gegeben. Wie Jason Sosa einräumte, sei Lomatschenko ein großartiger Boxer, der ihm keine Chance zur Entfaltung gelassen habe. Sein Trainer Raul Rivas begründete die Aufgabe damit, daß sein Boxer schlichtweg zu viele Treffer abbekommen habe und möglicherweise Schaden genommen hätte, wäre der einseitige Kampf fortgesetzt worden.

Es sei ein regelrechtes Massaker gewesen, erklärte Carl Moretti, Vizepräsident bei Top Rank. Er zolle Sosa dennoch höchsten Respekt, da der Herausforderer dieses Wagnis eingegangen sei, dem sich diverse andere Kandidaten verweigert hätten. Auch die Statistik von CompuBox unterstreicht die höchst ungleichen Möglichkeiten der beiden Akteure in diesem Kampf. Demnach hat Lomatschenko von 696 Schlägen 275 ins Ziel gebracht (40 Prozent), während Sosa bei 286 Versuchen lediglich 68 Treffer erzielen konnte (24 Prozent).

Nachdem es dem Ukrainer im Federgewicht nicht gelungen war, einen anderen Weltmeister vor die Fäuste zu bekommen, um die Titel zusammenzuführen, möchte er das nun im Superfedergewicht unbedingt nachholen. Er werde seinem Promoter Bob Arum dringend nahelegen, daß er einen Champion als nächsten Gegner verpflichten müsse. Sollte das nicht gelingen, werde er ins Leichtgewicht aufsteigen und dort gegen Terry Flanagan in England oder gegen den WBC-Champion Mikey Garcia antreten. Letzteres wäre in der Tat ein spektakuläres und wohl auch hochdotiertes Duell, da Garcia seinerseits als ein Meister seines Fachs gilt und überdies eine große Fangemeinde mobilisieren kann.

Dem Vernehmen nach steht Arum jedoch der Sinn nach einem Rückkampf gegen Orlando Salido, bei der sich Lomatschenko für die knappe Punktniederlage revanchieren könnte. Der Ukrainer soll dieser Aussicht nicht ganz abgeneigt sein, obgleich der Mexikaner zu den Kandidaten gehört, die diesmal nicht gegen ihn antreten wollten. Damals sei er im Profigeschäft noch zu unerfahren gewesen, so Lomatschenko. Inzwischen habe er aber so schnell dazugelernt, daß sich die Verhältnisse umgekehrt hätten. Auf längere Sicht wünsche er sich einen Kampf gegen Terence Crawford, den Champion zweier Verbände im Halbweltergewicht. So gesehen stehen Wassyl Lomatschenko viele Türen offen, doch stellt sich längst die Frage, welcher namhafte Rivale es überhaupt noch wagt, mit ihm in den Ring zu steigen. [2]


Fußnoten:

[1] http://www.boxingnews24.com/2017/04/vasyl-lomachenko-vs-jason-sosa-results/#more-231951

[2] http://www.espn.com/boxing/story/_/id/19115191/vasyl-lomachenko-dominates-jason-sosa-defend-junior-lightweight

9. April 2017


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