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PROFI/661: Schläge unter die Gürtellinie (SB)



Andre Ward gewinnt auch die Revanche gegen Sergej Kowaljow

Andre Ward hat auch die Revanche gegen Sergej Kowaljow gewonnen. Der 33jährige US-Amerikaner setzte sich vor 10.592 Zuschauern im Mandalay Bay Events Center in Las Vegas in der achten Runde durch, blieb damit in 32 Profikämpfen ungeschlagen und ist weiterhin Weltmeister der Verbände WBA, WBO, IBF und IBO in Halbschwergewicht. Für den ein Jahr älteren Russen, dem die Wiedergutmachung des umstrittenen Titelverlusts bei ihrem ersten Aufeinandertreffen im November 2016 mißlang, stehen nun 30 Siege, zwei Niederlagen sowie ein Unentschieden zu Buche. Während die Protagonisten des Kaliforniers diesen jetzt als besten Akteur aller Gewichtsklassen feiern, wenden Kritiker ein, daß sich Ward auch diesmal nur dank unlauterer Mittel und einer unerklärlich schwachen Leistung des Ringrichters durchgesetzt habe, der Tiefschläge in Serie übersah.

Der Referee hatte bereits im siebten Durchgang einen klaren Tiefschlag Wards nicht moniert, sondern Kowaljow aufgefordert weiterzuboxen, als simuliere dieser. Nachdem der Weltmeister seinem Gegner in der achten Runde drei Tiefschläge versetzt hatte, krümmte sich dieser zusammen, worauf er eine Rechte zum Kopf abbekam. Ringrichter Tony Weeks ging dazwischen, doch statt Kowaljow aufgrund der regelwidrigen Treffer eine kurze Erholungspause zu gewähren und Ward mit einem Punktabzug zu bestrafen, erklärte er den Kampf für beendet. Da der Russe nach Einschätzung unabhängiger Experten zu diesem Zeitpunkt in Führung lag, muß man wohl von einem Geschenk sprechen, das dem Titelverteidiger die Gürtel rettete.

Sergej Kowaljow wußte auch diesmal nicht, wie ihm geschah. Offensichtlich überforderte ihn die Gemengelage aus einem Gegner, der als Meister des schmutzigen Boxens gilt, und einem Kampfgericht, das seinen Kontrahenten favorisiert. Obgleich Ward vor einem Heimpublikum auftrat, quittierten die Zuschauer den unverhofften Abbruch mit lautstarkem Protest, weil sie offenbar gesehen hatten, was keinem verborgen geblieben sein konnte. Als sich der Russe die entscheidende Sequenz hinterher in Zeitlupe ansah, zeigte er sich ratlos und erbittert, warum der Kampf nach drei Tiefschlägen zu seinen Lasten abgebrochen worden war. Er forderte eine weitere Gelegenheit zur Revanche, die er jedoch mit Sicherheit nicht bekommen wird.

Zum einen verkündete Ward, er wolle nun ins Cruiser- und womöglich sogar ins Schwergewicht aufsteigen, um sich dort mit namhaften Kontrahenten zu messen. Der Kalifornier dürfte sich im klaren darüber sein, daß er im Halbschwergewicht in absehbarer Zeit auf Artur Beterbijew träfe, der im Unterschied zu Kowaljow auch und gerade im Nahkampf höchst gefährlich ist. Zum anderen ist das Boxgeschäft nach den beiden Niederlagen Kowaljows an keiner weiteren Auflage interessiert, die sich kaum noch einträglich verkaufen ließe. Das Ergebnis zählt, wie immer es auch zustande gekommen ist, und wird als maßgebliche Erinnerung hängenbleiben.

Der renommierte Kommentator des Senders HBO, Max Kellerman, schenkte in seinem Gespräch mit Ward dessen Tiefschlägen bemerkenswert wenig Aufmerksamkeit und sprach lediglich von grenzwertigen Aktionen, die er zudem teils nicht gesehen habe, weil ihm der Ringrichter die Sicht verstellte. Andre Ward griff diese Steilvorlage sofort auf und erklärte, er habe nach diesem einen grenzwertigen Treffer erkannt, daß Kowaljow geschwächt und es Zeit für den entscheidenden Schlag sei. [1]

Wards langjähriger Trainer Virgil Hunter war natürlich hocherfreut und sah sich in seiner Vorgehensweise bestätigt. Er habe gegenüber den Medien schon im Vorfeld erklärt, daß er Andre im Laufe ihrer gesamten Zusammenarbeit nur zweimal auf einen K.o.-Sieg vorbereitet habe: Das erste Mal beim Kampf gegen Chad Dawson 2012 und das zweite Mal nun gegen Kowaljow. Man habe ihn ausgelacht, doch ihm sei klar gewesen, was geschehen würde. Jetzt habe man das Gejammere nach dem ersten Kampf endgültig zum Schweigen gebracht. Daß Hunter die Auffassung vertritt, sein Schützling habe einen meisterhaften Plan perfekt umgesetzt und etwas vollbracht, womit niemand gerechnet hatte, ist durchaus nachvollziehbar, aber dennoch opportunistisch. Kein Wunder, daß Kowaljows Trainer John David Jackson ihm ein hitziges Wortgefecht lieferte.

Auch Wards Promoter Michael Yormark von Roc Nation Sports will vom ersten Tag an gewußt haben, daß sein Boxer vorzeitig gewinnen werde. Andre sei in der besten Verfassung seiner Karriere und motivierter als je zuvor in den Ring gestiegen. Dort habe er unglaubliche Körpertreffer gelandet und Kowaljow buchstäblich niedergemäht. Wenngleich es zutrifft, daß Ward augenscheinlich in Umsetzung einer taktischen Marschroute verstärkt zum Körper geschlagen hatte, rechtfertigt das doch nicht Tiefschläge in Serie, als handle es sich dabei um ein irrelevantes Kavaliersdelikt im Eifer des Gefechts. [2]

Während Ward mindestens 6,5 Millionen Dollar einstreichen kann, ist Kowaljow auch in finanzieller Hinsicht nicht gerade vom Glück begünstigt, da er sich dem Vernehmen nach mit einer wesentlich geringeren Summe zufriedengeben muß. Dem Russe bleibt nach diesen beiden Niederlagen nichts anderes übrig, als seine Karriere zu sortieren, kleinere Brötchen zu backen und einen erneuten Anlauf an die Spitze zu nehmen. Adonis Stevenson wird ihm nie und nimmer eine Chance geben, um den WBC-Titel zu kämpfen. Der Kanadier ist ihm seit Jahren aus dem Weg gegangen und wird das künftig um so entschiedener tun, da der Russe keinen Titel mehr einbringen kann. Eine mögliche Option böte Nathan Cleverly, der reguläre Weltmeister der WBA. Der Waliser rangiert mit diesem Gürtel zwar eine Etage tiefer als der WBA-Superchampion Andre Ward, hat aber 2013 gegen Sergej Kowaljow verloren, der ihm damals den WBO-Gürtel abnahm. Möglicherweise ließe sich eine späte Revanche vereinbaren und halbwegs einträglich vermarkten.

Wechselt Andre Ward ins Cruisergewicht, könnte er sich dort den aktuellen WBO-Weltmeister Oleksandr Ussyk vornehmen. Der Olympiasieger von 2012 aus der Ukraine hat bei seinem letzten Auftritt Schwächen erkennen lassen und kann nur eine beschränkte Schlagwirkung ins Feld führen. Er ist zwar hochgewachsen, boxt in der Rechtsauslage und verfügt über erstklassige athletische Qualitäten, wäre aber für den ungleich erfahreneren und mit allen unsauberen Manövern und Praktiken intim vertrauten Kalifornier durchaus handhabbar. Ward muß im Grunde nur vor Kontrahenten auf der Hut sein, die ihn mit einem Volltreffer zur Strecke bringen könnten, weshalb er eher nicht gegen Mairis Briedis oder Murat Gassijew antreten würde. Das Problem in dieser Gewichtsklasse bleibt aus Wards Perspektive jedoch, daß keiner dieser Kämpfe wirklich bedeutend und lukrativ wäre.

Daher dürfte sich Ward durchaus mit dem Gedanken tragen, ins Schwergewicht aufzusteigen, um dort ein spektakuläres Duell auf die Beine zu stellen. Zu diesem Zweck wäre Deontay Wilder nicht die erste Wahl, da der WBC-Weltmeister aus Tuscaloosa in Alabama bekanntlich gewaltig zuschlagen kann und von seinem Titelgewinn gegen Bermane Stiverne abgesehen sämtliche Kämpfe vorzeitig gewonnen hat. Schon gegen Kowaljow bekam Ward einige gefährliche Treffer ab, die im Falle Wilders noch erheblich schlimmer ausfallen würden. Naheliegender wäre daher Anthony Joshua, der die Gürtel der Verbände WBA und IBF in seinem Besitz hat. Der Brite wäre nicht nur weniger gefährlich für die Kampfesweise des Kaliforniers, sondern brächte auch sehr viel mehr Geld als Wilder ein. Der Haken bei dieser Überlegung ist jedoch, daß der Kampf in England stattfinden müßte, sofern eine wirklich große Kasse das Ziel ist. Will das britische Publikum einen US-amerikanischen Kandidaten sehen, der zweimal mit fragwürdigen Mitteln gewonnen hat und sich trotzdem für den besten Boxer der Welt hält? Die entscheidende Crux bleibt indessen, daß Ward in seiner gesamten Karriere nie weiter als Las Vegas oder ausnahmsweise Atlantic City von Kalifornien entfernt aufgetreten ist. Zu Hause kennt man ihn, läßt seine Regelwidrigkeiten durchgehen und schenkt ihm im Zweifelsfall den Sieg. Aus diesem Grund wird er niemals nach England reisen, wo er nicht auf diesen Rückhalt zählen könnte.


Fußnoten:

[1] http://www.boxingnews24.com/2017/06/andre-ward-vs-sergey-kovalev-2-results/#more-237047

[2] http://www.espn.com/boxing/story/_/id/19666302/andre-ward-defeats-sergey-kovalev-eighth-round-tko-retain-light-heavyweight-titles

18. Juni 2017


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