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PROFI/685: Schwergewicht - nach der Holzhammermethode ... (SB)



Anthony Joshua überrollt Alexander Powetkin in Runde sieben

Vor 90.000 Zuschauern im Londoner Wembley-Stadion hat Anthony Joshua die Titel der WBA, WBO und IBF im Schwergewicht erfolgreich gegen Alexander Powetkin verteidigt, der sich in der siebten Runde geschlagen geben mußte. Während der 28jährige Brite damit in 22 Kämpfen ungeschlagen ist, von denen er 21 vorzeitig beendet hat, stehen für den elf Jahre älteren Russen nunmehr 34 Siege und zwei Niederlagen zu Buche. Powetkin, der zuvor nur gegen Wladimir Klitschko nach Punkten, aber nie durch K.o. verloren hatte, bot eine gute Vorstellung und brachte den Weltmeister mehrfach in Bedrängnis. Da Joshua jedoch mit 1,98 m und 112 kg dem zehn Zentimeter kleineren und zwölf Kilo leichteren Herausforderer körperlich weit überlegen war, gewann er schließlich die Oberhand und überrollte den Gegner in der entscheidenden Phase.

Der Pflichtherausforderer der WBA unterstrich seine Gefährlichkeit, als er Joshua kurz vor Ende der ersten Runde mit einem rechten Uppercut, gefolgt von einem linken Haken traf. Der Champion wirkte zwar nicht angeschlagen, blutete anschließend aber heftig aus der lädierten Nase. Auch zu Beginn des zweiten Durchgangs wirkte Powetkin gefährlicher als der Lokalmatador, bis dieser ihn schließlich mit einzelnen Jabs zur Vorsicht gemahnte. In der dritten Runde brachte der Russe eine über die Deckung geschlagene Rechte ins Ziel und setzte sofort mit einem kurzen linken Haken nach, worauf der Weltmeister irritiert wirkte. Dann arbeitete er jedoch konsequent mit dem Jab und nutzte seine Reichweitenvorteile besser als zuvor. Im folgenden Durchgang ging der Weltmeister entschiedener zu Werke und fügte dem Gegner eine Rißwunde über dem linken Auge zu.

Alexander Powetkin, der bei den Olympischen Spielen 2004 die Goldmedaille im Superschwergewicht gewonnen hatte, bereitete dem Olympiasieger von 2012 jedoch aufgrund seiner Erfahrung und technischen Überlegenheit weiterhin Probleme, so daß der Brite auf der Hut sein mußte. Dieser dominierte das Geschehen indessen mit seinem Jab und versetzte dem Kontrahenten in der sechsten Runde aus kurzer Distanz eine gefährliche Rechte, die der offenbar ermüdete Powetkin aber noch gut wegsteckte. Dem Ansturm des Champions im siebten Durchgang hatte er jedoch nichts mehr entgegenzusetzen, nachdem ihn dieser zunächst mit einer Rechten und gleich danach mit der Linken erschütterte. Sofort setzte Joshua mit einer weiteren Kombination nach, die den Herausforderer niederstürzen ließ. Der Russe fiel halbwegs durch die Seile, als er sich mühsam aufraffte und dann gerade noch rechtzeitig wieder auf die Beine kam. Kaum war der Kampf freigegeben, als der Brite abermals mit heftigen Schlägen über den Kontrahenten herfiel, worauf Ringrichter Steve Gray eingriff und den Kampf nach 1:59 Minuten der siebten Runde für beendet erklärte. [1]

Wäre Powetkin nicht derart körperlich unterlegen oder einfach nur einige Jahre jünger gewesen, hätte Joshua den Ring kaum als Sieger verlassen. Der Russe setzte ihn unter Druck, brachte gefährliche Treffer ins Ziel und war der ausgereiftere Boxer, bis er in der sechsten Runde konditionell nachzulassen begann. Deshalb konnte er Joshua den Kampf nicht länger in der Weise aufzwingen, die erforderlich gewesen wäre, um die Masse des Briten auf Abstand zu halten. Für Alexander Powetkin dürfte dies die letzte Gelegenheit gewesen sein, sich noch einmal einen Titel zu sichern. Er war früher regulärer Weltmeister der WBA und mußte sich vor fünf Jahren Wladimir Klitschko nach Punkten geschlagen geben, der ihn im Verlauf des Kampfs viermal niedergeschlagen hatte. Zwei positive Dopingtests hinderten den Russen 2016 daran, gegen Deontay Wilder um dessen WBC-Titel zu kämpfen. Im März 2018 hatte er den Briten David Price vorzeitig besiegt und war damit zum Pflichtherausforderer der WBA aufgestiegen.

Anthony Joshua, der ursprünglich aus Watford stammt, derzeit im Norden Londons lebt und in Sheffield trainiert, freute sich nach seinem Erfolg darüber, die Serie vorzeitiger Siege wieder aufgegriffen zu haben. Powetkin sei der erwartet starke Herausforderer mit einem gefährlichen linken Haken gewesen. Da der Russe vor allem zum Kopf, aber wenig zum Körper geschlagen habe, sei er dazu übergegangen, ihm systematisch mit dem Jab die Luft zu nehmen und ihn auszubremsen.

Da Joshuas größte Rivalen Deontay Wilder und Tyson Fury am 1. Dezember in den USA aufeinandertreffen, womit sie die Titelverteidigung des Briten gegen Powetkin in den Schatten stellen, wollte dieser mit einer überzeugenden Vorstellung im Wembley-Stadion ein Zeichen setzen. Das ist ihm zumindest vom Ergebnis her gelungen, wenngleich er doch vor allem in den ersten Runden Schwächen erkennen ließ. Wie er erklärte, spiele es für ihn keine große Rolle, welcher seiner Konkurrenten die Oberhand behält. Der WBC-Champion müsse jedenfalls herüber nach England kommen, um sich einem finalen Kräftemessen zu stellen. Am liebsten wäre ihm indessen Deontay Wilder.

Joshua wird am 13. April 2019 wiederum im Wembley-Stadion seinen nächsten Kampf bestreiten, wobei der Gegner noch nicht feststeht. Neben Wilder oder Fury könnte es auch der Sieger des geplanten Duells der Briten Dillian Whyte und Dereck Chisora sein, sofern kein weiterer Pflichtherausforderer dazwischenkommt. Dieses Thema sei aber erst einmal abgehakt, und so neige er dazu, die Fans über seinen nächsten Kontrahenten abstimmen zu lassen, so Joshua. Auch sein Promoter Eddie Hearn besteht darauf, daß eine Zusammenführung der Titel nun Vorrang habe. Er werde versuchen, einen Kampf gegen Wilder möglich zu machen, und falls das scheitern sollte, Dillian Whyte für den 13. April zu verpflichten. Stünde Joshua tatsächlich der Sinn nach Deontay Wilder, hätte er ihn vermutlich als definitiven Gegner genannt. Eine Meinungsumfrage in den sozialen Medien erübrigt sich insofern, als das Ergebnis seit langem feststeht: Die Fangemeinde fordert ein Duell der Weltmeister mit Wilder, das Eddie Hearn jedoch systematisch verhindert, indem er dem US-Amerikaner nur eine Pauschale von 15 Millionen Dollar zahlen will, obwohl der Gesamterlös wahrscheinlich über 100 Millionen läge. Der WBC-Champion kann dieses geringe Angebot schlichtweg nicht akzeptieren, weshalb es die Spatzen längst von den Dächern pfeifen, daß Joshuas Promoter fest mit Whyte plant. [2]

Tyson Fury nahm natürlich verärgert zur Kenntnis, daß sein Name überhaupt nicht fiel, als Joshua und Hearn über den nächsten Gegner sprachen. Wie er in den sozialen Medien schreibt, könne man wohl mit Sicherheit sagen, daß Anthony Joshua nie im Leben gegen den "Gypsy King" antreten werde. Lieber nehme er sich einen 39jährigen vor, der nur halb so groß wie er selber sei. Nach diesem Auftritt Joshuas stehe fest, daß Deontay Wilder der beste Schwergewichtler da draußen sei. Joshua sei zwar stark, was aber für alle gelte, und ansonsten langsam, schwerfällig und schlichtweg kein guter Boxer. Abschließend ergeht sich Fury in die für ihn üblichen Beschimpfungen, die man an dieser Stelle nicht wiedergeben muß. [3]

Eddie Hearns Pläne für seinen populärsten und einträglichsten Akteur wären unabweislich, hätte nicht Tyson Fury dazwischengefunkt. Dessen Initiative, sich noch vor Ende des Jahres mit Deontay Wilder zu messen, kam wie ein Blitz aus heiterem Himmel, da der Brite seit seinem Comeback nach langer Abwesenheit erst zwei Aufbaukämpfe bestritten hat und der WBC-Weltmeister deshalb nach allgemeiner Einschätzung viel zu früh für ihn kommt. Man mag es Mut oder Selbstüberschätzung Furys nennen, jedenfalls stellt der inzwischen fest vereinbarte Kampf am 1. Dezember Hearn vor ein Problem. Er muß Joshuas nächsten Gegner in absehbarer Zeit nennen, um die Werbekampagne in Angriff zu nehmen. Da Wilder natürlich der Favorit, aber ein Überraschungserfolg Furys nicht gänzlich auszuschließen ist, müßte Matchroom theoretisch den Ausgang dieses Kampfs abwarten, wäre der WBC-Champion tatsächlich eine Option. Auch Dillian Whyte will im Dezember noch einen Auftritt geben, wobei die Verhandlungen mit seinem Landsmann Dereck Chisora bislang recht zäh verlaufen. Nach Lage der Dinge muß sich Hearn auf seinen Wunschkandidaten Dillian Whyte unter der Maßgabe festlegen, daß alle übrigen Erwägungen irrelevant seien.

Das macht seine Behauptung natürlich nicht gerade glaubwürdiger, daß Wilder eine ernsthafte Option gewesen sei, und gleicht insofern einem Pokerspiel, als Whyte zuvor nicht verlieren darf. Anthony Joshua wird absehbar einen Gegner vor die Fäuste bekommen, der schwächer als Wilder, Fury und wohl auch Powetkin ist. Sollte die Wahl wie erwartet auf Dillian Whyte fallen, wäre das überdies nur eine zweite Auflage, da Joshua ihn 2015 schon einmal vorzeitig besiegt hat. Die Perspektive, wonach die Pflichtverteidigung gegen den Russen lediglich eine lästige, aber unvermeidliche Zwischenetappe sei, worauf im Frühjahr der langersehnte Höhepunkt des aktuellen Schwergewichtsboxens folgen werde, ist offensichtlich Makulatur.


Fußnoten:

[1] www.espn.com/boxing/story/_/id/24764108/anthony-joshua-knocks-alexander-povetkin-7th-round-retain-titles

[2] www.boxingnews24.com/2018/09/anthony-joshua-stops-alexander-povetkin-results/

[3] www.boxingnews24.com/2018/09/tyson-fury-reacts-to-joshuas-win-over-povetkin/

23. September 2018


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