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PROFI/687: Halbschwergewicht - Kanonade aus nächster Nähe ... (SB)



Artur Beterbijew kämpft Callum Johnson nieder

Artur Beterbijew hat den IBF-Titel im Halbschwergewicht erfolgreich verteidigt. Der 33jährige Russe setzte sich in der Wintrust Arena in Chicago bereits in der vierten Runde gegen den gleichaltrigen Briten Callum Johnson aus Boston, Lincolnshire, durch. Während der Weltmeister damit seine dreizehn Profikämpfe ausnahmslos vorzeitig gewonnen hat, mußte sich der Herausforderer nach 17 Erfolgen erstmals geschlagen geben. Wenngleich Johnson als klarer Außenseiter gehandelt worden war, lieferte er dem Favoriten einen hochklassigen und turbulenten Kampf, mit dem beide Akteure die uneingeschränkte Wertschätzung unter Experten und Zuschauern erwarben. [1]

In dem vom Streamingdienst DAZN übertragenen Auftritt ging es unverzögert zur Sache, da sich die Kontrahenten nicht damit aufhielten, vorsichtig Maß zu nehmen. Der Brite ging sofort auf seinen Gegner los und kam nach knapp einer Minute mit einem linken Haken durch, den der Champion mit harten Schlägen beantwortete, die Johnson zurückweichen ließen. Gegen Ende der ersten Runde verhedderte sich der Brite nach einem heftigen Schlagabtausch mit dem Kopf zwischen den Ringseilen, worauf der Referee Celestino Ruiz offenbar ein Trennkommando gab. Beterbijew boxte jedoch weiter, als der Herausforderer wieder bereit zu sein schien und schickte ihn 21 Sekunden vor der Pause mit einer kurz angesetzten Rechten zu Boden. Der Ringrichter wertete dies ungeachtet seines vermeintlichen Eingreifens als Niederschlag. Johnson kam rechtzeitig wieder hoch, doch wirkte er mitgenommen und konnte sich nur mit Mühe über die verbliebene Zeit retten.

Schien der Kampf damit den vorhergesagt einseitigen Verlauf zu nehmen, so belehrte der Brite seine Kritiker in der zweiten Runde eines Besseren, als er sich überraschend revanchierte und den Russen mit einem wuchtigen linken Haken zum Kopf nach 1:24 Minuten seinerseits auf die Bretter schickte. Beterbijew, der noch nie in seiner Karriere niedergeschlagen worden war, stand zwar rasch wieder auf, doch wirkte er konsterniert und hielt sich den Gegner bis zum Pausengong vom Leib. Daß Johnson Vorsicht walten ließ und in dieser Situation nicht mit aller Macht nachsetzte, um den angeschlagenen Favoriten niederzuzwingen, dürfte er hinterher zutiefst bedauert haben.

In der dritten Runde konnten beide Akteure einige harte Treffer landen, doch kämpften sie etwas zurückhaltender als zuvor, da sie die enorme Schlagwirkung des Gegners zu spüren bekommen hatten. Beterbijew arbeitete mit seinem Jab, ging aber nicht so entschieden wie anfangs zu Werke, als wolle er sich vor allem keinen weiteren Volltreffer einfangen. Dadurch gewann der Brite tendenziell die Oberhand, ohne allerdings wirklich Kapital daraus zu schlagen.

In der vierten Runde stellte Beterbijew abermals unter Beweis, was ihn zu einem der gefährlichsten Boxer in dieser Gewichtsklasse macht. Mitten in einem Angriff des Briten brachte er als Konter eine Rechte gegen den Kiefer und sofort eine zweite über dem Ohr durch, die Johnson zu Boden schickten. Auf Händen und Knien versuchte der Herausforderer vergeblich, rechtzeitig wieder aufzustehen, und wurde nach 2:36 Minuten ausgezählt. [2] Artur Beterbijew schlägt höchst wirkungsvolle Haken aus einer so kurzen Distanz wie kaum ein anderer Akteur der Branche und überrascht damit seine Gegner, die derartige Schläge nicht kommen sehen. Auf ähnliche Weise hatte der Russe beispielsweise Isido Prieto 2016 gleich in der ersten Runde ausgeschaltet. Es gibt zwar viele Boxer, die auch dicht am Kontrahenten und im Infight wühlen und schlagen können, doch entfalten die allermeisten dabei keine solche Wirkung wie Beterbijew.

Wie der IBF-Weltmeister in einer ersten Stellungnahme nach seinem Erfolg anmerkte, verbuche er den Niederschlag als eine neue und nützliche Erfahrung in seiner Karriere. Jeder könne einmal zu Boden gehen, doch komme es eben darauf an, wieder aufzustehen und am Ende die Oberhand zu behalten. Er freue sich jedenfalls, abermals vorzeitig gewonnen zu haben, und wünsche sich mit Blick auf seinen nächsten Kampf eine größere Auswahl möglicher Gegner, am liebsten jedoch einen anderen Champion, um die Titel zusammenzuführen.

Callum Johnson, der Britischer und Commonwealth-Meister im Halbschwergewicht bleibt, bedauerte hinterher, körperlich nicht so stark wie erhofft gewesen zu sein. Dennoch sei es wohl ein Schlagabtausch gewesen, in dem die Chancen gleich verteilt waren. Der Russe bringe die größere Erfahrung auf diesem Niveau mit und könne die besseren Schläge aufbieten, doch eines Tages werde er erfolgreich an ihm Revanche nehmen. Im Augenblick sei er natürlich sehr enttäuscht, doch verspreche er allen Fans, sich gestärkt zurückzumelden und in absehbarer Zeit erneut um einen Titel zu kämpfen. [3]

Obgleich die angriffslustige Kampfesweise des Briten bei einem Kanonier wie Beterbijew mit fliegenden Fahnen in den Untergang geführt hat, kann man im Grunde nicht von einer mißlungenen taktischen Marschroute des Herausforderers sprechen. Johnson hat so gekämpft, wie er es am besten kann, und seine gefährliche Schlagwirkung offensiv zur Anwendung gebracht. Bei größerer Zurückhaltung oder gar beständiger Flucht hätte er vielleicht länger durchgehalten, aber den Kampf sicher auch nicht gewonnen. So gesehen war sein begeisternder Auftritt insofern keine Niederlage, als er ihm international Aufmerksamkeit und Achtung beschert hat. Sein Marktwert dürfte gestiegen sein, da er den Russen sogar auf dem Boden hatte und in dieser Verfassung die allermeisten anderen Kandidaten in seiner Gewichtsklasse besiegt hätte. Er bringt ausgezeichnete körperliche Voraussetzungen mit und greift frühzeitig mit voller Wucht an, so daß es schon eines außergewöhnlichen Gegners wie Artur Beterbijew bedarf, um seine Kanonade aus kurzer Distanz zu erwidern und zu überbieten.

Der gebürtige Tschetschene war in seiner langen Amateurlaufbahn für die russische Mannschaft international erfolgreich und hat an den Olympischen Spielen 2008 in Beijing und 2012 in London teilgenommen. Seit seinem Wechsel ins Profilager im Jahr 2013 stand er bei Yvon Michel in Montreal unter Vertrag. Er konnte 2015 nur zwei Kämpfe austragen und wurde dann aufgrund einer Schulterverletzung ein Jahr außer Gefecht gesetzt. Aufgrund der Verletzung und wohl auch einer Kontroverse mit Yvon Michel stieg er 2016 nur zweimal und 2017 sogar nur ein einziges Mal in den Ring. Im Frühjahr 2017 wurde bekannt, daß sich Beterbijew von seinem Promoter trennen will. Er war angesichts seiner stagnierenden Karriere unzufrieden mit dessen Möglichkeiten, ihm die maßgeblichen Auftritte in einer angemessenen Frist zu verschaffen.

Im November 2017 setzte er sich im Kampf um den vakanten IBF-Titel in Fresno, Kalifornien, in der zwölften Runde gegen Enrico Kölling durch. Der Russe behielt wie erwartet gegen den Außenseiter die Oberhand, brauchte aber ungewöhnlich lange, um den fast ausschließlich in der Defensive kämpfenden Deutschen endlich zu stellen und doch noch vorzeitig besiegen. Daraufhin kursierenden Spekulationen, Beterbijew lasse offenbar nach und habe seine Gefährlichkeit eingebüßt, dürfte nach der erfolgreichen Titelverteidigung gegen Callum Johnson der Boden entzogen sein.


Fußnoten:

[1] www.boxingnews24.com/2018/10/artur-beterbiev-destroys-callum-johnson-results/

[2] www.boxingscene.com/beterbiev-gets-floor-knock-johnson-out-results--132516

[3] www.dailymail.co.uk/sport/boxing/article-6248675/Callum-Johnson-falls-short-IBF-light-heavyweight-bout-against-Artur-Beterbiev.html

7. Oktober 2018


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