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PROFI/689: Mittelgewicht - auf Turbulenz folgt Langeweile ... (SB)



Demetrius Andrade dominiert überforderten Walter Kautondokwa

Demetrius Andrade ist neuer WBO-Weltmeister im Mittelgewicht. Vor rund 6800 Zuschauern in Boston dominierte der 30jährige Favorit aus Providence, Rhode Island, seinen drei Jahre älteren Gegner Walter Kautondokwa aus Namibia auf ganzer Linie und sicherte sich durch einen einstimmigen Punktsieg (120:104, 120:104, 119:105) den vakanten Titel. Während Andrade, der früher Champion der Verbände WBA und WBO im Halbmittelgewicht war, in 26 Auftritten ungeschlagen blieb, mußte sich Kautondokwa nach 17 Erfolgen erstmals geschlagen geben. Das Ergebnis entsprach voll und ganz den Erwartungen, da der Außenseiter zuvor fast ausschließlich in Namibia und nur einmal in Ghana angetreten war. Obgleich er noch keinen international bekannten Kontrahenten besiegt hatte, wurde er in der WBO-Rangliste an Nummer zwei geführt. Andrade hatte sich nach seinem Aufstieg ins Mittelgewicht am 21. Oktober 2017 nach Punkten gegen Alantez Fox durchgesetzt und seither nicht mehr im Ring gestanden.

Wenngleich der Namibier erheblich größer war und Reichweitenvorteile hatte, konnte er daraus keinen Nutzen ziehen, da er recht steif und aufrecht stehend zu Werke ging. Andrade legte flott los und kam etwa 30 Sekunden vor Ende der ersten Runde mit zwei Linken durch, die den Kontrahenten auf die Bretter schickten. Kautondokwa ließ sich zwar Zeit beim Aufstehen, wirkte aber in der Folge nicht angeschlagen. Im dritten Durchgang gelang dem US-Amerikaner ein weiterer Niederschlag, worauf er in die Ringseile sprang und sich voreilig als Sieger feiern ließ. Der Namibier kam jedoch gerade noch rechtzeitig wieder auf die Beine und rettete sich in die Pause. Ein kurioser gleichzeitiger Niederschlag spielte sich dann im folgenden Durchgang ab, doch obwohl beide Boxer zu Boden gingen, zählte Ringrichter Steve Willis nur Kautondokwa an. Gegen Ende der Runde schlug Andrade seinen Gegner zum vierten Mal nieder, ohne daß der ungleiche Kampf damit beendet gewesen wäre.

In der Folge verlegte sich der US-Amerikaner darauf, seinen Vorsprung auszubauen, ohne das Risiko einzugehen, von der wuchtigen Rechten des Namibiers voll getroffen zu werden. Er blieb ständig in Bewegung und umkreiste Kautondokwa, der eine günstige Gelegenheit für den Volltreffer suchte, die sich ihm jedoch nicht bot. Wie der Favorit hinterher erklärte, habe sich in der fünften Runde eine alte Verletzung an der linken Schulter wieder bemerkbar gemacht. Jedenfalls flachte der Kampf in der zweiten Hälfte ohne weitere Höhepunkte erheblich ab. Laut der Statistik von CompuBox hatte Andrade 152 von 501 Schlägen ins Ziel gebracht (30 Prozent), während Kautondokwa bei 325 Versuchen lediglich 45 Treffer gelungen waren (14 Prozent), was den höchst einseitigen Verlauf unterstreicht. [1]

Nachdem die ersten vier Runden turbulent über die Bühne gegangen waren, enttäuschten die acht folgenden Durchgänge. Während Andrade immerzu herumlief, um nicht getroffen zu werden, riskierte Kautondokwa viel zu wenige Schläge, da er offenbar die schnellen Konter des Favoriten fürchtete. Das führte zwangsläufig dazu, daß immer weniger passierte und sich Langeweile einstellte. Hinzu kam eine schwache Leistung des Referees, der in der ersten Runde Andrade nicht dafür sanktionierte, dem bereits zu Boden gegangenen Gegner einen weiteren heftigen Schlag zu versetzen. Da der US-Amerikaner mit voller Wucht zuschlug, hätte er mit einem Punktabzug bestraft werden müssen. Statt den Namibier zu schützen, wie es seine Pflicht als Ringrichter gewesen wäre, schritt Willis nicht ein. Hinzu kam dann der doppelte Niederschlag in der vierten Runde, den er einseitig nur Andrade gutschrieb. [2]

In einer ersten Stellungnahme nach seinem Erfolg verlieh Andrade seiner Freude Ausdruck, Geschichte geschrieben zu haben und in der zweiten Gewichtsklasse Weltmeister geworden zu sein. Nach nur zwei Auftritten im Mittelgewicht und einem Jahr Pause sei es gelungen, sich in diesem Limit zu etablieren. Walter Kautondokwa habe sich als starker und zäher Gegner erwiesen, der im Laufe des Kampfes stets gefährlich geblieben sei. Deshalb habe er seine Vorgehensweise geändert und verstärkt seine technischen Fertigkeiten ausgespielt, so der US-Amerikaner. Nun werde er sich mit Eddie Hearn zusammensetzen, um die nächsten Schritte zu planen, da er aktiv bleiben wolle und sich namhafte Gegner wünsche.

Demetrius Andrade sollte ursprünglich den Briten Billy Joe Saunders herausfordern, der jedoch aufgrund einer positiven Dopingprobe den Titel niederlegen mußte. Hearn, der Andrade für den Streamingdienst DAZN unter Vertrag genommen hatte, verschaffte ihm statt dessen den Kampf gegen Kautondokwa, den er als Ersatz bereithielt. Saunders wird voraussichtlich ein halbes Jahr gesperrt und dürfte danach versuchen, sich den WBO-Titel wiederzuholen. Das ist jedoch beileibe nicht die einzig denkbare Option für den neuen Weltmeister, der gerne im Januar 2019 wieder in den Ring steigen möchte. Vor wenigen Tagen hat Saul "Canelo" Alvarez einen Vertrag mit DAZN geschlossen, der elf Auftritte in fünf Jahren umfaßt und mit der Rekordsumme von insgesamt 365 Millionen Dollar dotiert ist. Sollte Andrade weiter ungeschlagen bleiben, könnte er ein Kandidat für den populären Mexikaner sein und dabei sehr viel Geld verdienen.

Da auch die anderen Akteure der Golden Boy Promotions bei DAZN auftreten werden und Oscar de la Hoya die Zusammenarbeit mit Eddie Hearn in den höchsten Tönen lobt, wären der Kanadier David Lemieux wie auch der bei dem britischen Promoter Matchroom Boxing unter Vertrag stehende Daniel Jacobs mögliche Kontrahenten für Andrade. Jacobs kämpft am 27. Oktober gegen Sergej Derewjantschenko um den vakanten IBF-Titel im Mittelgewicht, wobei es sich dabei um eine der letzten Übertragungen des Senders HBO handelt, der zum Jahresende seine Boxsparte endgültig einstellt. Dieser Gürtel war Golowkin aberkannt worden, weil es der Kasache wegen der weit wichtigeren Revanche mit Saul "Canelo" Alvarez ablehnte, im Sommer fristgerecht gegen den Pflichtherausforderer Derewjantschenko anzutreten.

In Frage käme für Andrade auch Gennadi Golowkin, dem "Canelo" mit Unterstützung der Punktrichter in Las Vegas die Titel abgenommen hat. Der Kasache tritt bislang bei HBO auf und wird nun von diversen Anbietern umworben, deren Offerten sein Promoter Tom Loeffler derzeit sondiert. Fiele die Entscheidung für DAZN, wäre dies natürlich ein Türöffner, der verschiedene Kombinationen erleichtern würde. Eddie Hearn hofft jedenfalls, "Canelo" oder "Golowkin" für einen Kampf gegen Andrade interessieren zu können, was jedoch nicht einfach sein dürfte. Beide schätzen Gegner nicht, die rundenlang vor ihnen weglaufen und sich nicht zum Schlagabtausch stellen.

Das gilt insbesondere für den Kasachen, der schon gegen den Briten Kell Brook, Daniel Jacobs aus New York und im ersten Kampf gegen Saul Alvarez gezwungen war, einem flüchtigen Gegner nachzusetzen und ihn zu stellen. Brooks Trainer warf nach fünf Runden das Handtuch, Jacobs war Golowkins erster Gegner seit 2008, der nicht vorzeitig, sondern nach Punkten gegen ihn verlor, und "Canelo" wurde im September 2017 durch ein krasses Fehlurteil ein Unentschieden geschenkt. Das zeugt vom Vermögen des Kasachen, auch einem entweichenden Widersacher den Weg abzuschneiden und ihn im Zweifelsfall aus der Distanz auszuboxen. Vor die Wahl gestellt, wird er aber sicher nicht dazu neigen, sich einen Läufer wie Andrade zu wünschen und abermals auf das fragwürdige Urteil der Punktrichter zu verlassen.

Doch auch "Canelo" zieht Kontrahenten vor, die stehenbleiben und kämpfen, da er mit mobilen Akteuren schlecht zurechtkommt. Am liebsten sind ihm nicht allzu bewegliche Widersacher, die stehenbleiben und sich seinen schnellen Schlägen aussetzen. Deshalb kann sich Andrade keine allzu großen Hoffnungen machen, jemals auf den Mexikaner zu treffen. Wahrscheinlicher wäre da schon Billy Joe Saunders, der selber gern im Ring herumläuft, um sich einem weniger wendigen Gegner zu entziehen. Da beide zu einem schnellen Wechsel zwischen Vorstoß und Rückzug neigen, ist zumindest nicht auszuschließen, daß sie sogar zusammenpassen und sich nicht gegenseitig neutralisieren. Der Brite steht allerdings bei Frank Warren unter Vertrag, der bislang mit Matchroom Boxing des Konkurrenten Eddie Harn und dessen DAZN-Vertrag im Vereinigten Königreich und in den USA nichts zu schaffen hat. Da Warren und Saunders jedoch bereit waren, gegen Demetrius Andrade anzutreten, könnte ein zweiter Anlauf nach der Dopingsperre durchaus zu realisieren sein.


Fußnoten:

[1] www.espn.com/boxing/story/_/id/25039355/demetrius-andrade-cruises-winning-vacant-middleweight-world-title

[2] www.boxingnews24.com/2018/10/demetrius-andrade-decisions-walter-kautondokwa-results/

21. Oktober 2018


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