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PROFI/699: Leichtgewicht - eine atemberaubende Lektion ... (SB)



Wassyl Lomatschenko fackelt nicht lange mit Anthony Crolla

Der als bester Boxer aller Gewichtsklassen gehandelte Wassyl Lomatschenko hat die Titel der WBA und WBO im Leichtgewicht in Los Angeles erfolgreich verteidigt. Anthony Crolla, Pflichtherausforderer beim Verband WBA, war dem Ukrainer in allen Belangen unterlegen und mußte bereits in der vierten Runde die Segel streichen. Damit nahm der von Top Rank veranstaltete und auf ESPN+ übertragene Kampf vor mehr als 10.000 Zuschauern im Staples Center insofern den erwarteten Verlauf, als ein Erfolg des Außenseiters einer Sensation gleichgekommen wäre. Überraschend war dennoch, auf welche Art und Weise der Favorit diesmal zu Werke ging. Bekannt dafür, die Gegner dank seiner überragenden technischen Fertigkeiten und Mobilität zwölf Runden lang auszuboxen, setzte er diesmal von Beginn an auf Wirkungstreffer und steuerte einen vorzeitigen Sieg an. Das gefiel dem Publikum, das zuvor Lomatschenkos unangefochtene, aber nicht allzu aufregenden Siege gegen Jose Pedraza und Jorge Linares mit eher gemischten Gefühlen verfolgt hatte. Während der 31jährige Ukrainer seine Bilanz auf 13 Siege und eine Niederlage ausbauen konnte, stehen für den ein Jahr älteren Briten nun 34 gewonnene und sieben verlorene Auftritte sowie drei Unentschieden zu Buche. [1]

Der in Rechtsauslage boxende Lomatschenko ging wie immer methodisch zu Werke, verfolgte den Gegner und suchte unablässig nach einer Lücke. Bald kam er mit seinem Jab durch und landete zudem einige Körpertreffer, während Crolla zurückweichen mußte und kaum Gelegenheit fand, seinerseits zu schlagen. In der zweiten Runde griff der Ukrainer noch flüssiger mit Kombinationen an und traf unter anderem mit einem gefährlichen Uppercut, der den Briten sichtlich erschütterte. Nach den beiden souverän gestalteten Durchgängen steigerte sich der Ukrainer in der dritten Runde abermals und traf nun aus allen erdenklichen Winkeln, als trainiere er im Übungsraum. Vor allem seine linken Geraden und Schläge zum Körper machten Crolla schwer zu schaffen, der eigentlich für seine robuste Konstitution bekannt ist und eine Menge einstecken kann.

Diesmal hatte er jedoch keine Chance und fiel nach einem Treffer in die Seile, was der erfahrene Ringrichter Jack Reiss zu Recht als Niederschlag wertete, da der Brite andernfalls zu Boden gegangen wäre. Wie die meisten Zuschauer und einige Offizielle glaubte auch Lomatschenko, der Referee habe auf Abbruch entschieden, weshalb er in einer Ringecke am Pfosten hochstieg, um sich als Sieger feiern zu lassen. Als der Irrtum aufgeklärt, der Ring wieder frei und der Kampf freigegeben war, ertönte auch schon der Gong zur Pause. Zum Auftakt der vierten Runde fragte der Ukrainer seinen Gegner, ob alles in Ordnung sei, und setzte sodann sein Werk fort. Er traf ihn nun nach Belieben, trieb ihn in die Seile und schickte ihn mit einer Linken, der sofort ein rechter Haken folgte, zu Boden. Reiss zählte den ausgestreckt liegenden Briten zunächst an und winkte dann nach 58 Sekunden des Durchgangs ab, da Crolla definitiv geschlagen war. Es hätte der Statistik von Compubox nicht bedurft, um die Überlegenheit des Weltmeisters zu unterstreichen, der demnach 72 von 249 Schlägen ins Ziel gebracht hatte (29 Prozent), während dem Herausforderer lediglich 12 Treffer bei 96 Versuchen gelungen waren (13 Prozent). [2]

Promoter Bob Arum lobte seinen Boxer in den höchsten Tönen, der einen phantastischen Auftritt gegeben habe. Er sei seit mehr als 50 Jahren im Geschäft, so der mittlerweile 87jährige Chef von Top Rank, doch habe er nie zuvor einen Akteur dieser Gewichtsklasse auf einem derart hohen Niveau kämpfen sehen. Das sei buchstäblich atemberaubend. Der frühere Meistertrainer und Kommentator bei ESPN Teddy Atlas würdigte Wassyl Lomatschenko nicht nur als besten Boxer der gesamten Branche, sondern zugleich als führenden Entertainer im Ring, der sein Publikum auf außergewöhnliche Weise unterhalte.

Dem schloß sich Anthony Crolla mit den Worten an, Lomatschenko sei eine Klasse für sich und noch besser als erwartet. Seine Balance und Beinarbeit seien überragend, die Fäuste kämen aus den verrücktesten Richtungen. Der Ukrainer verschwende keinen einzigen Schlag, sondern dominiere unentwegt. Da helfe die allerbeste Vorbereitung nichts, die er mit seinem Team in Manchester absolviert habe. So schnell zu verlieren sei schon bitter, doch sei er auch noch nie von einem Treffer derart von den Beinen geholt und bewußtlos geschlagen worden. Seine Laufbahn neige sich ihrem Ende entgegen, doch wolle er nicht auf diese Weise Abschied nehmen. Deshalb hoffe er sehr, daß ihm sein Promoter Eddie Hearn später im Jahr einen Auftritt vor heimischem Publikum verschaffen könne.

Nach seiner gelungenen Darbietung unterstrich Lomatschenko, daß sein Wunschgegner Mikey Garcia sei, der den WBC-Titel im Leichtgewicht hält. Er selbst werde solange wie möglich in dieser Gewichtsklasse bleiben und versuchen, alle vier Gürtel zusammenzuführen. Garcia böte in der Tat die Gelegenheit, den spektakulärsten Kampf dieses Limits auszutragen. Der Kalifornier hatte nach 39 Siegen am 16. März gegen den IBF-Weltmeister im Weltergewicht, Errol Spence, die erste Niederlage seiner Karriere bezogen. Dabei machte der 31jährige keine gute Figur, da er Spence nicht nur körperlich unterlegen war, sondern auch boxerisch nicht zum Zuge kam. Wenngleich Garcia im Grunde zu klein für das Weltergewicht ist, könnte er dort gegen Manny Pacquiao, Keith Thurman oder Danny Garcia die bedeutendsten Kämpfe bestreiten und mit Abstand das meiste Geld verdienen. Im Halbweltergewicht ist das hingegen nicht der Fall und im Leichtgewicht wäre Lomatschenko der einzig hochkarätige Kontrahent. Um sich mit dem Ukrainer zu messen, müßte er jedoch die Muskelmasse wieder abbauen, die er sich für Spence antrainiert hatte, und liefe zudem akute Gefahr, die zweite Niederlage in Folge zu kassieren.

Der zweimalige Olympiasieger aus der Ukraine ist in seiner kurzen Profikarriere bereits Weltmeister in drei Gewichtsklassen geworden. Er sollte ursprünglich gegen den IBF-Champion im Leichtgewicht, Richard Commey, antreten, der jedoch wegen einer Verletzung absagen mußte. Deswegen kam Anthony Crolla zum Zuge, der ansonsten kein Thema für Lomatschenko gewesen wäre. Der Kampf gegen Commey dürfte im Sommer nachgeholt werden, sofern Top Rank dieses Duell auf die Beine stellen kann. Legt man die überragende Leistung des Ukrainers beim Sieg über Crolla zugrunde, sollte auch der IBF-Weltmeister keine allzu hohe Hürde für ihn sein. Zöge es Mikey Garcia vor, seinen WBC-Titel im Leichtgewicht aufzugeben, um sein Glück weiterhin im Weltergewicht zu versuchen, würde Bob Arum zweifellos danach trachten, Lomatschenko einen Kampf gegen den neuen Titelträger zu verschaffen, der dann vermutlich der Brite Luke Campbell wäre.

Der in Las Vegas residierende Promoter plant jedenfalls weit über den Tag hinaus. Sobald Wassyl Lomatschenko alle vier Titel im Leichtgewicht zusammengeführt habe, wolle er ihn Anfang 2020 nach dem Super Bowl gegen Teofimo Lopez antreten lassen, der ebenfalls bei ihm unter Vertrag steht. Der erst 21 Jahre alte Lopez ist in zwölf Auftritten ungeschlagen, gilt als sehr talentiert und fordert den Ukrainer bereits verbal heraus. Der "alte Löwe" fürchte die "jungen Löwen" wie ihn, und diese provozierende Aussage könnte dazu beigetragen haben, daß Lomatschenko so entschieden auf Crolla losgegangen ist und ein klares Zeichen gesetzt hat, wozu er fähig ist. Der Brite selbst hatte nämlich im Vorfeld keinerlei Anlaß gegeben, sich den Zorn des Weltmeisters einzuhandeln, den er größtenteils höflich und respektvoll adressierte. Teofino Lopez hingegen behauptet, der Ukrainer komme in die Jahre und werde von Verletzungen heimgesucht, weshalb seine letze Stunde als Champion geschlagen habe. Er fürchte ihn jedenfalls nicht, werde aber auch nicht länger als bis zum Frühjahr 2020 auf ihn warten, da er ins Halbweltergewicht aufsteigen wolle.

Lopez, der Lomatschenkos Auftritt im Staples Center aus nächster Nähe verfolgte, wird seinen nächsten Kampf am 20. April im Vorprogramm des Duells zwischen Terence Crawford und Amir Khan in New York bestreiten. Sollte er gewinnen, würde ihn Arum am liebsten mit Commey um dessen IBF-Titel kämpfen lassen. Parallel dazu könnte sich Lomatschenko den WBC-Titel sichern, worauf die beiden Anfang nächsten Jahres untereinander ausmachen würden, wer unangefochtener Champion im Leichtgewicht ist. Soweit die Pläne Bob Arums, der wie immer am liebsten alles unter Kontrolle behalten will, indem er vorzugsweise seine eigenen Boxer gegeneinander antreten läßt.


Fußnoten:

[1] www.boxingnews24.com/2019/04/vasiliy-lomachenko-defeats-anthony-crolla-results/

[2] www.espn.com/boxing/story/_/id/26510649/vasiliy-lomachenko-shines-again-next-hi-tech

14. April 2019


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