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PROFI/702: Halbmittelgewicht - unverhoffte Wachablösung ... (SB)



Jarrett Hurd unterliegt überraschend Julian Williams

Julian Williams ist neuer Weltmeister der Verbände WBA und IBF im Halbmittelgewicht. Der Ranglistenerste der IBF setzte sich in Fairfax, Virginia, unerwartet gegen den favorisierten Titelverteidiger Jarrett Hurd durch, der sich nach einem hochklassigen Kampf einstimmig nach Punkten geschlagen geben mußte (116:111, 115:112, 115:112). Die mehr als 5000 Zuschauer in der EagleBank Arena und das Fernsehpublikum beim Sender Fox bekamen einen turbulenten und über weite Strecken ausgeglichenen Auftritt zu sehen, in dem sich der Außenseiter am Ende verdient durchsetzte. Während der 29jährige Williams damit seine Bilanz auf 27 Siege, eine Niederlage sowie ein Unentschieden ausbauen konnte, mußte sich der ein Jahr jüngere Hurd nach 23 Erfolgen erstmals geschlagen geben. [1]

Jarrett Hurd, der im nur 30 Meilen entfernten Accokeek, Maryland, zu Hause ist, hatte zuletzt im November 2014 einen Kampf in der Region bestritten, als er Terry Cade in Washington gleich in der ersten Runde besiegte. Er wurde bei seiner Rückkehr in heimische Gefilde begeistert empfangen und unter den Klängen einer Marching Band der Washington Redskins, deren Logo er an seinem Mantel trug, zum Ring geleitet. Wenngleich der aus Philadelphia stammende Julian Williams einen echten Heimvorteil des Titelverteidigers dementiert hatte, da schließlich niemand in den Ring steigen und seinem Gegner zur Seite stehen könne, dürften nicht nur die Buchmacher vom Erfolg des Lokalmatadors überzeugt gewesen sein. Er hatte vor gut einem Jahr durch einen Sieg über den Kubaner Erislandy Lara ihre beiden Titel zusammengeführt und schien auf dem besten Weg zu sein, die Gewichtsklasse zu dominieren. Wer hätte gedacht, daß Williams die triumphale Heimkehr des Champions in eine Tragödie verwandeln würde! [2]

Vor zweieinhalb Jahren war Julian Williams im Dezember 2016 in seinem ersten Titelkampf an dem damaligen Weltmeister Jermall Charlo gescheitert, der ihn dreimal niederschlug und in der fünften Runde vorzeitig besiegte. Er erholte sich jedoch recht schnell von dieser herben Niederlage und gewann vier Kämpfe in Folge, was ihm den Rang des Pflichtherausforderers beim Verband IBF einbrachte. Hurd mußte sich ihm also stellen und war zuversichtlich, auch diese recht anspruchsvolle Aufgabe souverän meistern zu können. Vom Publikum stürmisch angefeuert ging der Champion in der ersten Runde vorsichtig zu Werke, so daß die Kontrahenten einander belauerten und nach einer Lücke Ausschau hielten. Das änderte sich im zweiten Durchgang, als der Kampf Fahrt aufnahm und die beiden Schläge austauschten. Kurz vor der Pause trieb der Herausforderer seinen Gegner an die Seile und schickte ihn dort mit einem wuchtigen linken Haken auf die Bretter.

Hurd, der zum ersten Mal in seiner Karriere zu Boden gegangen war, fand jedoch in der dritten Runde umgehend wieder in den Kampf zurück und landete einen üblen Uppercut, wofür sich Williams im Schlagabtausch mit einer schweren Linken revanchierte. Das Bild setzte sich in den folgenden Durchgängen fort, da die Widersacher einander nichts schenkten und beiderseits heftige Treffer landen konnten. Wann immer einer der beiden zu ermüden schien, hielt das nicht lange an, so daß sich das Blatt ein ums andere Mal zu wenden schien. Das linke Auge des Herausforderers begann zuzuschwellen, der Titelverteidiger trug eine Rißwunde über den rechten davon. Immer wieder kam es zum Nahkampf, in dem beide zahlreiche Körpertreffer einstecken mußten, und das turbulente Gefecht hielt bis zum Schlußgong an.

Der Vorsprung des Außenseiters auf den Zetteln der Punktrichter spiegelt sich auch in der Statistik von CompuBox wider. Demnach hatte Williams 273 von 687 Schlägen ins Ziel gebracht (40 Prozent), während Hurd 249 Treffer bei 800 Versuchen gelungen waren (31 Prozent). Damit mußte der Titelverteidiger mehr Treffer als je zuvor in seinen letzten elf Kämpfen einstecken, bei denen CompuBox zum Einsatz kam. Der entthronte Champion haderte denn auch gar nicht erst mit dem Ergebnis, sondern räumte ein, daß Williams der Bessere gewesen sei. Ihm selbst sei es einfach nicht gelungen, zur vollen Entfaltung zu kommen. Vielleicht habe er zu viel Wucht in seine Schläge gelegt, statt die Hände ihr Werk verrichten zu lassen. Ihr Vertrag enthalte jedenfalls eine Rückkampfklausel, von der er Gebrauch machen und sich in besserer Verfassung als an diesem Abend präsentieren werde.

Hingegen war Williams natürlich überglücklich, daß sein lebenslanger Traum in Erfüllung gegangen ist. Wie er berichtete, komme er von der Straße, sei aber nie wieder dorthin zurückgekehrt und habe jede Ablenkung gemieden, um sich uneingeschränkt dem Training zu widmen. Nur sein Team habe stets an ihn geglaubt, selbst als er im ersten Anlauf gescheitert war, für den er wohl noch nicht bereit gewesen sei. Er habe sich von dieser Niederlage nicht zurückwerfen lassen, obgleich damals alle Welt an ihm zu zweifeln schien. In den Kampf gegen Hurd sei er als 5:1-Außenseiter gegangen, und habe den Favoriten doch in die Schranken gewiesen.

Sein Trainer Stephen Edwards hob die hingebungsvolle Vorbereitung seines Schützlings hervor, der schlichtweg bereit für den großen Schritt gewesen sei. Der Sieg erfreue ihn ungemein, sei aber aus seiner Sicht gar nicht einmal so überraschend gekommen. Irgendwie habe er gewußt, daß es diesmal klappen würde. Zu einer Revanche erklärte sich Edwards sogleich bereit, wobei er aber hervorhob, daß man nicht vereinbart habe, wo diese ausgetragen werde. Diesmal habe Hurd den Heimvorteil genossen, beim nächsten Mal könnte es ja umgekehrt sein.

Wenngleich in den ersten Stellungnahmen von einem Rückkampf die Rede war, ist keineswegs sicher, daß es dazu kommen wird. Denn für Jarrett Hurd stellt sich allen Ernstes die Frage, ob er nicht eine Gewichtsklasse höher, wenn nicht sogar im Supermittelgewicht, besser aufgehoben wäre. Er hatte zwar einen guten Kampf geboten, wirkte aber geschwächt, als habe es ihn zuviel Substanz gekostet, durch Gewichtsreduzierung das geforderte Limit einzuhalten. Er ist schlichtweg zu groß für das Halbmittelgewicht und dort offenbar nicht mehr in seinem Element, wovon der Herausforderer profitierte, der eine größere Wirkung entfalten konnte. Würde Hurd auf eine Revanche setzen, um sich die Titel zurückzuholen, liefe er Gefahr, seiner bislang so erfolgreichen Karriere mit einer weiteren Niederlage einen Bärendienst zu erweisen.

Für Julian Williams steht nun die Tür weit offen, den Sieger des Kampfs zwischen dem WBC-Weltmeister Tony Harrison und dessen Vorgänger Jermell Charlo aufs Korn zu nehmen, der am 23. Juni über die Bühne geht. Sollte es dazu kommen, würden drei Gürtel im Halbmittelgewicht zusammengeführt. Die Trophäe des Verbands WBO hat Jaime Munguia in seinem Besitz, der jedoch nicht mehr allzu lange in dieser Gewichtsklasse bleiben dürfte. Würde der Titel dadurch vakant, käme bei der WBO vermutlich ein schwächerer Kandidat zum Zuge. Zumindest aus aktueller Sicht ist daher für Williams die letztendliche Vereinigung aller vier Titel eine vielversprechende und gar nicht so abwegige Perspektive.


Fußnoten:

[1] www.boxingnews24.com/2019/05/jarrett-hurd-vs-julian-williams-undercard-live-fight-results/

[2] www.espn.com/boxing/story/_/id/26726426/williams-takes-hurd-belts-unanimous-decision

13. Mai 2019


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