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PROFI/706: Mittelgewicht - der verlorene Sohn kehrt heim ... (SB)



Demetrius Andrade besiegt Maciej Sulecki nach Punkten

Demetrius Andrade hat den WBO-Titel im Mittelgewicht zum zweiten Mal erfolgreich verteidigt. Beim ersten Auftritt in seiner Heimatstadt Providence, Rhode Island, in seiner elf Jahre währenden Profikarriere setzte sich der Lokalmatador vor rund 7100 Zuschauern einstimmig nach Punkten gegen Maciej Sulecki durch (120:107, 120:107, 120:107). Während der 31jährige Weltmeister damit in 28 Auftritten ungeschlagen blieb, stehen für den ein Jahr jüngeren Polen nunmehr 28 Siege und zwei Niederlagen zu Buche. Nach seinem Erfolg forderte Andrade seine prominenten Rivalen Saul "Canelo" Alvarez und Gennadi Golowkin zum Kampf, doch sind Zweifel angebracht, ob er mit seiner Vorstellung im Dunkin Donuts Center tatsächlich die Weichen dafür gestellt hat.

Als der Titelverteidiger seinen Gegner gleich in der ersten Runde zu Boden schickte, schien sich eine schnelle Entscheidung anzubahnen. Kaum war der Herausforderer wieder auf die Beine gekommen, als Andrade auch schon nachlegte, dabei jedoch größtenteils Löcher in die Luft schlug. Hingegen traf ihn der Pole mit einem satten Konter, worauf die Ecke des Weltmeisters ihren Boxer in der Pause eindrücklich vor dem offenen Schlagabtausch warnte. Der Champion hatte sich nicht nur einen gefährlichen Treffer eingehandelt, sondern wirkte bereits zu diesem frühen Zeitpunkt erschöpft, als habe er sich bei einem einzigen Schlaghagel verausgabt. Das führte dazu, daß sich Andrade für den Rest des Kampfes meistenteils auf die Defensive konzentrierte und fortan sein Heil in einzelnen Treffern suchte, um sich sofort wieder zurückzuziehen, ehe sich der Herausforderer revanchieren konnte.

Das reichte aus, um Sulecki zu dominieren und ihm die Punkte abzunehmen, da der Pole nicht zu realisierten schien, wie schnell der favorisierte Kontrahent an seine Grenzen stieß. In den letzten beiden Runden beugte sich Andrade nach vorn und versuchte, den Herausforderer mit einem Wirkungstreffer zu erwischen, was ihm jedoch mißlang. Der Champion war zu diesem Zeitpunkt derart erschöpft, daß seine Schläge die nötige Wucht vermissen ließen. Er konnte daher insofern von Glück reden, daß sein Gegner in der Schlußphase nicht willens oder in der Lage war, alles auf eine Karte zu setzen und den Ausgang ihres Kampfes noch einmal spannend zu machen. Hätte Andrade in dieser konditionellen Verfassung einem aggressiveren Kontrahenten wie "Canelo" oder Golowkin gegenübergestanden, wäre es um ihn geschehen gewesen.

Alles in allem kämpfte Andrade wie eine amerikanische Version des Briten Billy Joe Saunders, da er ständig auswich, weglief und zwischendurch peinliche Showeinlagen wie eine schlechte Imitation des Ali-Shuffle oder geschwungene Poloschläge gab. Er war viel zu sehr darauf bedacht, nur ja nicht getroffen zu werden, und ließ die Gelegenheit in zunehmendem Maße verstreichen, in der Offensive Zeichen zu setzen. Hatte er anfangs noch versucht, genau das zu praktizieren, so war bald von Angriffslust immer weniger zu sehen, zumal er von der achten Runde an konditionell abbaute. Wäre er nicht wie der verlorene Sohn nach langen Jahren heimgekehrt, hätte er wohl anstelle aufbrausenden Beifalls eher Mißfallenskundgebungen geerntet. Sein Auftritt war angesichts eines nicht allzu gefährlichen Gegners recht effektiv, aber langweilig. Im Grunde genommen versäumte es Andrade daher, Interesse bei seinen Wunschgegnern zu wecken, die beide keine Neigung haben, flüchtenden Kontrahenten im Ring hinterherzulaufen. Das sieht nie besonders gut aus und verhindert in aller Regel einen Kampf, der das Publikum begeistert. [1]

Wenngleich er hinterher behauptete, er habe Sulecki keineswegs unterschätzt, der wirklich ein zäher Bursche und zum Kämpfen gekommen sei, fügte er doch sofort überheblich hinzu: "Ich habe getan, was ich tun mußte, nämlich gut auszusehen - groß, schwarz und ansehnlich." [2] Spricht so ein Boxer, der seinem Gegner Respekt erweist, selbst wenn er ihm klar überlegen war? Wenngleich er natürlich kaum bedeutende und lukrative Kämpfe bekommt, solange er sein Licht unter den Scheffel stellt, scheint er doch seine Bedeutung zu überschätzen. So erklärte er denn auch, er besiege sie schlichtweg alle, was zwar seiner Bilanz entspricht, aber eher nicht für die Aufgaben gilt, die er nun einfordert.

Unter seinem neuen Promoter Eddie Hearn von Matchroom Boxing USA steigt Andrade jedenfalls häufiger als früher in den Ring und hat bereits seinen dritten Auftritt binnen acht Monaten gegeben. Sulecki, der zuvor nur nach Punkten gegen den damaligen Weltmeister Daniel Jacobs verloren hatte, war dennoch kein Herausforderer auf gleicher Augenhöhe. In drei seiner letzten vier Kämpfe war er zwischenzeitlich auf den Brettern gelandet, nämlich gegen Jacobs, zweimal gegen Gabriel Rosado und nun auch gegen Andrade. Das läßt darauf schließen, daß er robust, aber eben auch relativ leicht zu treffen ist. Einem erstklassigen Techniker wie Andrade, der sich ihm behende entziehen kann, war er nicht gewachsen, wie auch die Statistik von CompuBox belegt. Demnach brachte Andrade 133 von 496 Schlägen ins Ziel (27 Prozent), während Sulecki lediglich 51 Treffer bei 331 Versuchen landen konnte (15 Prozent). So gelangen dem Polen nie mehr als sieben Treffer pro Runde, und in der fünften fand sogar von 29 Schlägen nur ein einziger sein Ziel.

Demetrius Andrade, der zweimal Weltmeister im Halbmittelgewicht gewesen war, ehe er ins höhere Limit aufstieg, konnte die mit 1,5 Millionen Dollar höchste Börse seiner Karriere einstreichen. Das ist eine Menge Geld, aber dennoch weit von den Einkünften des absoluten Spitzenpersonals entfernt, woran sich der aktuelle Marktwert des US-Amerikaners ablesen läßt. Sulecki mußte mit etwa 400.000 Dollar vorlieb nehmen. Die Polarisierung in einige wenige Großverdiener, für die Gagen im zweistelligen Millionenbereich selbstverständlich sind, ein bereits deutlich abgehängtes Mittelfeld und eine Heerschar karg dotierter Mitbewerber schreitet voran. Weltmeister zu werden ist allenfalls eine Voraussetzung, doch mitnichten eine Garantie, finanziell ausgesorgt zu haben.

Maciej Sulecki sei kein Steve Rolls und kein Rocky Fielding, nahm Andrade provozierend auf Golowkins Gegner vom 8. Juni und "Canelos" Kontrahenten im letzten Dezember Bezug, als gebe er sich im Unterschied zu den beiden nur mit hochklassigen Aufgaben ab. Solche Einlassungen können den Mexikaner nicht beeindrucken, der zuletzt Daniel Jacobs den Titel abgenommen hat und am 14. September höchstwahrscheinlich gegen den Halbschwergewichtler Sergej Kowaljow in den Ring zurückkehrt. Golowkin setzt zwar weiter darauf, "Canelo" im Herbst zum dritten Mal vor die Fäuste zu bekommen, hat aber offensichtlich mit diesem Ansinnen schlechte Karten. Folglich könnte sich der Kasache ersatzweise mit Andrade messen, um ihm womöglich den Gürtel abspenstig zu machen, doch läßt er bislang so gut wie kein Interesse an dieser Option erkennen. Da Saul Alvarez, Gennadi Golowkin und Demetrius Andrade alle Verträge mit dem Streamingdienst DAZN abgeschlossen haben, wäre es kein Problem, entsprechende Kämpfe zu realisieren, was die Übertragung betrifft. Das ist jedoch nicht der einzige Aspekt, der beim Pläneschmieden zum Tragen kommt.

Der Verband WBC hat "Canelo" kürzlich den Titel aberkannt, den Mexikaner jedoch zugleich zum ersten "Franchise Champion" der Organisation ernannt. Das ist reichlich absurd und zeugt davon, wie die Verbände ihrer Geschäftspolitik mit dreisten Winkelzügen auf die Sprünge helfen. Wer wie Andrade gehofft hatte, in einem Kampf gegen Saul Alvarez zum unangefochtenen Champion aufzusteigen, der alle vier Titel im Mittelgewicht in seinen Besitz gebracht hat, muß daher umdisponieren. Dazu mußte der WBO-Champion aber nicht lange überlegen, da ihm ein Duell mit "Canelo" den bei weitem größten Zahltag bescheren würde und an Prestige nicht zu übertreffen wäre. Deshalb fordert er den Mexikaner denn auch dazu auf, das ganze Gewese um die Gürtel zu vergessen und sich mit ihm zu messen, um den einzigen und wahren Champion zu küren. Mit dieser Aufforderung kann er bei Saul Alvarez aber nicht landen, der sich längst für das Maß aller Dinge in der gesamten Gewichtsregion hält und tatsächlich auch am längeren Hebel sitzt, da er sich aussuchen kann, wem er die Gunst erweist, mit ihm den Ring zu teilen.


Fußnoten:

[1] www.boxingnews24.com/2019/06/andrade-vs-sulecki-live-fight-results-from-providence-ri/

[2] www.espn.com/boxing/story/_/id/27086387/andrade-calls-canelo-ggg-easy-win

1. Juli 2019


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