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PROFI/709: Leichtgewicht - vom anderen Stern ... (SB)



Wassyl Lomatschenko weist auch Luke Campbell in die Schranken

Wassyl Lomatschenko, der gegenwärtig als bester Boxer aller Gewichtsklassen gehandelt wird, hat sich auch den dritten Gürtel im Leichtgewicht gesichert. Vor mehr als 18.000 Zuschauern in der ausverkauften Londoner O2 Arena setzte er sich einstimmig nach Punkten gegen Luke Campbell durch (119:108, 119:108, 118:109). Damit blieb der Ukrainer WBA/WBO-Weltmeister und gewann den vakanten Titel des Verbands WBC hinzu. Dank dieses verdienten Erfolgs in einem hochklassigen Kampf baute der 31jährige ehemalige Champion im Feder- und Superfedergewicht seine Profibilanz auf 14 Siege und eine Niederlage aus, während für den gleichaltrigen Briten nun 20 gewonnene und drei verlorene Auftritte zu Buche stehen.

Die beiden früheren Olympiasieger lieferten einander einen über lange Strecken ausgeglichenen Kampf, in dessen zweiter Hälfte Lomatschenko jedoch seine technische Überlegenheit ausspielte und den Gegner in der elften Runde zu Boden brachte. Campbell hielt sich insgesamt gesehen ausgezeichnet, nutzte seine größere Reichweite und stellte den Favoriten insbesondere mit Körpertreffern vor beträchtliche Probleme. Er ließ nichts unversucht, eine Sensation zu erzwingen, hatte aber gegen Ende der Offensive des Weltmeisters nicht genug entgegenzusetzen. Es war keine glänzende Vorstellung des Ukrainers, jedoch eine gelungene Demonstration des ehemals erfolgreichsten Amateurboxers aller Zeiten.

Nachdem die beiden Rechtsausleger einander sechs Runden lang nichts geschenkt hatten und die Punktvergabe knapp ausgefallen war, steigerte Lomatschenko in der Folge seine Schlagfrequenz und übertraf seinen Gegner immer deutlicher an Treffern. Er brachte die präziseren und härteren Schläge ins Ziel, wobei Campbell in der elften Runde nach einer Kombination zu Körper und Kopf auf ein Knie sank, was als Niederschlag in die Wertung einging. Nachdem der Brite wieder auf die Beine gekommen war, aber immer noch wacklig wirkte, deckte ihn der Champion mit unablässigen Schlägen ein, bis der rettende Pausengong ertönte. Auch in der zwölften und letzten Runde setzte Lomatschenko seine Offensive fort, so daß sich der Lokalmatador nicht anders zu helfen wußte, als ihn zu klammern und in Ringermanier auf die Matte zu bringen. Damit ging auch die Schlußphase ganz klar an den Ukrainer, der mit diesem furiosen Finale seine Überlegenheit unterstrich.

Laut der Statistik von CompuBox hatte Lomatschenko 211 von 527 Schlägen ins Ziel gebracht (40 Prozent), während Campbell 131 Treffer bei 420 Versuchen gelungen waren (31 Prozent). In der zweiten Hälfte des Kampfs lag der Ukrainer mit 140:73 nach Treffern eindeutig in Front. Der Brite räumte denn auch die Überlegenheit des Champions unumwunden ein, den er als außergewöhnlichen Boxer würdigte. Wenngleich er natürlich angesichts der Niederlage enttäuscht sei, werde seine Zeit noch kommen. Sein Trainer Shane McGuigan erklärte, daß eine angemessene Vorbereitung auf Lomatschenko so gut wie unmöglich sei. Luke Campbell könne jedoch stolz auf sich sein, habe er doch mit einem Ausnahmeboxer im Ring gestehen, wie man ihm nur einmal im Leben begegne.

Damit ist Luke Campbell zum zweiten Mal in einem Titelkampf des Leichtgewichts gescheitert. In September 2017 mußte er sich in Inglewood, Kalifornien, Jorge Linares geschlagen geben, der ihn knapp nach Punkten besiegte. Linares gewann auch den nächsten Kampf, mußte den Gürtel jedoch im Mai 2018 an Lomatschenko abtreten, der ihm in der zehnten Runde das Nachsehen gab. Campbell gewann nach der Niederlage gegen Linares drei Kämpfe in Folge, wodurch er Pflichtherausforderer des WBC-Weltmeisters Mikey Garcia wurde. Als dieser jedoch den Titel niederlegte, gab der Verband Lomatschenkos Antrag statt, gegen Campbell um den vakanten Gürtel kämpfen zu dürfen.

Der Ukrainer dankte dem großartigen Londoner Publikum. Hier habe er bei den Olympischen Spielen 2012 die Goldmedaille gewonnen, hierher werde er immer wieder gern zurückkehren, da man nirgendwo sonst eine derart begeisterungsfähige Fangemeinde finde. Er wolle im nächsten Schritt gegen den Sieger des Kampfs zwischen Richard Commey und Teofimo Lopez antreten, um mit dem IBF-Titel seine Gürtelsammlung im Leichtgewicht zu komplettieren. Commey verteidigt diesen Titel voraussichtlich am 14. Dezember in New York gegen den Pflichtherausforderer.

Da Bob Arum der Promoter von Commey und Lopez wie auch Lomatschenko ist, dürfte diesem Plan nichts im Wege stehe. Arum lobte den Ukrainer abermals in den höchsten Tönen und stellte ihn in eine Reihe mit Muhammad Ali, Marvin Hagler, Sugar Ray Leonard, Floyd Mayweather, Oscar de la Hoya und Manny Pacquiao, die er alle unter seinen Fittichen gehabt hat. Sollte es der zweimalige Olympiasieger wie erhofft bewerkstelligen, alle vier Titel in seiner Gewichtsklasse zusammenzuführen, wäre er erst der fünfte Boxer, dem dieses Kunststück in der Ära der vier großen Verbände gelungen ist. Bernard Hopkins (2004) und Jermain Taylor (2005) im Mittelgewicht, Terence Crawford (2017) im Halbweltergewicht sowie zuletzt sein Freund und Landsmann Oleksandr Ussyk (2018) im Cruisergewicht haben es vorgemacht. [1]

Ob Luke Campbell eine Art Blaupause vorgelegt hat, wie der als unschlagbar geltende Lomatschenko am Ende doch besiegt werden könnte, bleibt vorerst Spekulation. Obgleich der Brite deutlich größer als der Ukrainer ist und sich schon angesichts seiner Körpermaße in der Vergangenheit nie durch gefährliche Körperschläge ausgezeichnet hatte, brachte er nun zur allgemeinen Überraschung viele derartige Treffer ins Ziel. Diese taktische Marschroute machte dem Ukrainer zu schaffen, der ansonsten als Meister der Ausweichbewegung gilt und am Kopf nur schwer zu treffen ist. Ob der Ukrainer mit seinen 31 Jahren allmählich nachzulassen beginnt, kann nur die Zukunft zeigen. Richard Commey oder Teofimo Lopez sollte eine lösbare Aufgabe für ihn sein, womit er sein Ziel im Leichtgewicht erreicht hätte und aller Voraussicht nach in die niedrigeren Limits zurückkehren würde.

Im Superfedergewicht wartet ein spektakulärer Kampf gegen den WBA-Champion Gervonta Davis, der bei den Mayweather Promotions unter Vertrag steht und eine prominente Zugnummer ist. Hinzu kämen Miguel Berchelt, Oscar Valdez und Tevin Farmer, Leo Santa Cruz wechselt demnächst hoch in dieses Limit. An spektakulären und teils auch hochdotierten Auftritten herrschte für Lomatschenko dort also kein Mangel, weshalb die verbliebenen Konkurrenten im Leichtgewicht nicht darauf hoffen können, daß der Ukrainer mit vier Gürteln in dieser Gewichtsklasse bliebe. [2]

Das gilt auch für den in 22 Kämpfen ungeschlagenen Devin Haney, der sich nach Lomatschenkos Sieg gegen Campbell sofort zu Wort meldete. Er habe genug gesehen, um zu wissen, daß er den Ukrainer besiegen könne, ließ Haney wissen. Was ihn so sicher macht, teilte er aber nicht mit. Ursprünglich sollte der erst 20 Jahre alte Haney gegen Luke Campbell um den vakanten WBC-Titel kämpfen, doch dann kam ihm Lomatschenko in die Quere. Obgleich der Ukrainer bereits WBA/WBO-Weltmeister war und das WBC selten Titelträger anderer Verbände um seine vakanten Gürtel kämpfen läßt, wurde für Wassyl Lomatschenko eine Ausnahme gemacht.

Haney, der an Nummer zwei der WBC-Rangliste geführt wird, bestreitet am 13. September im New Yorker Madison Square Garden einen Ausscheidungskampf gegen den viertplazierten Zaur Abdullajew, der in elf Auftritten ungeschlagen ist. Der Sieger dieses Kampfs ist neuer Pflichtherausforderer des WBC im Leichtgewicht und damit theoretisch Lomatschenkos Gegner. Da der Ukrainer jedoch wie oben ausgeführt andere Pläne hat, könnte die Konstellation darauf hinauslaufen, daß Devin Haney statt dessen in einem Kampf um den dann wieder vakanten WBC-Titel auf Luke Campbell trifft. Das wäre jedenfalls eine attraktive Option, die dem Publikum Gelegenheit böte, Haney beim Wort zu nehmen, der sich selbst stärker als Lomatschenko einschätzt. [3]

Zeitweise war davon die Rede gewesen, daß Wassyl Lomatschenko ins Halbweltergewicht, wenn nicht gar Weltergewicht aufsteigen könnte, um dort außergewöhnliche Kämpfe auszutragen und sehr viel mehr Geld als in den niedrigeren Gewichtsklassen zu verdienen. Dem stehen jedoch schlichtweg die körperlichen Voraussetzungen im Wege, die für den Ukrainer selbst im Leichtgewicht nicht mehr die günstigsten sind. Dort hatte er zuvor Guillermo Rigondeaux und den Briten Anthony Crolla souverän besiegt, doch zeigte die dritte Titelverteidigung gegen Luke Campbell, daß einem überragenden technischen Können Grenzen gesetzt sind, sobald die Gegner schlichtweg zu groß oder zu massiv werden. Campbell überragte Lomatschenko, hatte eine deutlich größere Reichweite und schlug überdies mit beträchtlicher Wucht zu, was der Ukrainer vor allem bei Körpertreffern zu spüren bekam.

Die physischen Nachteile des Ukrainers würden im Halbweltergewicht noch gravierender zu Buche schlagen. Dort könnte er vermutlich Gegner wie Jose Ramirez besiegen, doch wäre insbesondere WBA-Weltmeister Regis Prograis eine überaus harte Nuß für ihn. Ein Aufstieg in die höhere Gewichtsklasse macht mithin keinen Sinn, und auch im Leichtgewicht wäre mit vier Titeln in der Tasche nichts mehr zu gewinnen, das anzustreben sich für Lomatschenko lohnte. Mikey Garcias vorübergehender Sprung hinauf ins Weltergewicht, wo ihm dann Errol Spence eine Lektion erteilte, sollte hinlänglich offengelegt haben, daß die klassische Erfolgsgeschichte eines Aufstiegs durch mehrere Gewichtsklassen kein Patentrezept, sondern im Einzelfall sorgsam zu prüfen ist.


Fußnoten:

[1] www.espn.com/boxing/story/_/id/27509326/loma-tops-campbell-adds-wbc-title-collection

[2] www.boxingnews24.com/2019/08/lomachenko-defeats-campbell-povetkin-schools-fury/

[3] www.boxingnews24.com/2019/09/devin-haney-id-beat-lomachenko-point-blank/

1. September 2019


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