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PROFI/710: Schwergewicht - das hätte ins Auge gehen können ... (SB)



Otto Wallin macht Tyson Fury das Siegen schwer

Tyson Fury stieg als haushoher Favorit mit Otto Wallin in den Ring und konnte am Ende froh sein, als einstimmiger Punktsieger aus dem Kampf hervorzugehen (116:112, 117:111, 118:110). Der von Top Rank veranstaltete und vom Sender ESPN übertragene Auftritt nahm vor 8.249 Zuschauern in der T-Mobile Arena in Las Vegas einen Verlauf, wie ihn wohl kaum jemand erwartet hätte. Der zuvor weithin unbekannte Schwede, den Promoter Bob Arum als Kanonenfutter für den Briten ausgesucht hatte, erwies sich als anspruchsvoller und robuster Gegner. Fury wurde gefordert wie selten zuvor in seiner Karriere und trug in der dritten Runde eine Rißwunde über dem rechten Auge davon, die Ringrichter Tony Weeks auf einen regulären Treffer zurückführte. Wäre es aufgrund der stark blutenden Verletzung zu einem Abbruch gekommen, hätte der klare Außenseiter einen sensationellen Sieg erkämpft. Während der 31jährige Brite seine Bilanz auf 29 Erfolge und ein Unentschieden ausbaute, mußte sich der drei Jahre jüngere Wallin nach 20 gewonnenen Auftritten erstmals geschlagen geben. [1]

Die ersten sechs Runden machte der druckvoll und angriffslustig zu Werke gehende Außenseiter die bessere Figur. Fury mußte häufig zurückweichen, unterband immer wieder den Schlagabtausch und entfaltete keine nennenswerte Wirkung. Erst als der Schwede in der zweiten Hälfte zu ermüden begann, kam der Brite zunehmend besser zur Geltung und drängte nun auf einen Niederschlag, um dem nach wie vor drohenden Abbruch zuvorzukommen. Der in der Rechtsauslage boxende Wallin steckte jedoch selbst schwere Treffer weg und ging in der letzten Runde sogar noch einmal in die Offensive, worauf sich Fury ausweichend und klammernd über die Zeit rettete. Laut der Statistik von CompuBox brachte der Brite 179 von 651 Schlägen ins Ziel (28 Prozent), während Wallin 127 Treffer bei 334 Versuchen gelangen (38 Prozent). Fury war in diesem Kampf häufiger getroffen worden als je zuvor in seiner Profilaufbahn, zumindest seit CompuBox zum Einsatz kommt. [2]

Mit einer Größe von 2,06 m überragte Tyson Fury den 1,97 m messenden Schweden deutlich, wie er auch auf eine überlegene Reichweite zurückgreifen konnte. Wenngleich er etwas leichter als in seinem letzten Kampf antrat, konnte er doch immer noch erheblich mehr Gewicht ins Feld führen als Wallin. Dieser ließ sich jedoch weder von der Physis des Favoriten noch seinem Ruhm ins Bockshorn jagen, wie er auch als 30:1-Außenseiter die Quote der Buchmacher Lügen strafte, der zufolge er nicht die geringste Chance haben würde. Die Verletzung beeinträchtigte den Briten bis zum Ende des Kampfs, da sein Cutman zwar hervorragende Arbeit leistete, die zweifache Rißwunde aber immer wieder aufbrach. In der fünften Runde zog der Referee den Ringarzt zur Begutachtung heran, der einer Fortsetzung den Zuschlag gab. Hatte man mit einem relativ leichten und vorzeitigen Sieg Furys, also einem eher langweiligen Auftritt gerechnet, so verliehen die unverhofft turbulenten Ereignisse dem Geschehen im Ring eine spektakuläre Note.

Otto Wallin ist ungeachtet der Niederlage dank seiner beherzten Darbietung ein gewaltigen Sprung in den Fokus allgemeiner Aufmerksamkeit gelungen, der ihm künftig weitere anspruchsvolle und gut dotierte Kämpfe einbringen könnte. Verglichen mit Furys garantierten 12,5 Millionen Dollar mag seine Börse von gut einer Million bescheiden anmuten, doch hat er damit weit mehr als je zuvor bei einem Kampf eingestrichen. Wie er in einer ersten Stellungnahme erklärte, habe er sein Bestes gegeben und unter Beweis gestellt, daß er ein mutiger und guter Boxer sei. Er haderte indessen nicht mit der Punktwertung und würdigte Fury als großen Champion.

Der Brite sprach von einem großartigen Kampf, dem die Verletzung jedoch eine andere Richtung aufgezwungen habe. Die Rißwunde habe seine Sicht beeinträchtigt und ihn genötigt, alles auf eine Karte zu setzen, um den Schweden auszuschalten. Der habe jedoch selbst schwere Treffer an Kinn und Körper verkraftet, was ihn als überaus zähen Kämpfer auszeichne. Dafür zolle er ihm allen Respekt, so Fury, der nicht vergaß, Wallins im Mai verstorbenen Vaters zu gedenken. Es hätte ihn mit Stolz erfüllt, diesen Auftritt seines Sohnes zu erleben.

Promoter Bob Arum würdigte beide Akteure als hervorragende Kämpfer, die eine überzeugende und außerordentlich spannende Vorstellung gegeben hätten. Wallin sei bekanntermaßen ein Boxer, die niemals aufgebe, und habe das auch diesmal eindrucksvoll demonstriert. Furys Verletzung habe den Kampf dicht an den Rand eines Abbruchs und damit der Niederlage getrieben, doch ein Champion wie der Brite stehe selbst härteste Prüfungen wie diese meisterhaft durch. Nachdem Arum zweifellos um Fury gebangt hatte, dessen Niederlage all ihre gemeinsamen Pläne durchkreuzt hätte, entlastete ihn der Ausgang des Kampfs auf zweifache Weise. Der kursierende Vorwurf, er füttere den Briten mit Fallobst, dürfte damit vom Tisch sein.

Bob Arum hatte einen Coup gelandet, als er Tyson Fury mit einem hochdotierten Vertrag über mehrere Kämpfe unter die Regie von Top Rank holte. Beim ersten Auftritt im Rahmen dieser Zusammenarbeit bekam der Brite im Juni mit Tom Schwarz einen ungeschlagenen, aber wenig bekannten Gegner vorgesetzt, den er in Las Vegas bereits in der zweiten Runde besiegte. Der in den USA ebenfalls so gut wie unbekannte Otto Wallin schien nach demselben Schema ausgewählt worden zu sein, Fury mit relativ leichten Siegen für das US-Publikum aufzubauen, ohne dabei ein Risiko einzugehen. Das rief zwangsläufig harsche Kritik auf den Plan, Arum halte den Briten von anspruchsvollen Rivalen fern, um dessen guten Ruf zu konservieren. Auch hielt man dem Promoter vor, er mache seine eigenen Pläne zur Makulatur, indem er Furys Ansehen auf diese Weise einen Bärendienst erweise. Nun hat der Kampfverlauf eine unvorhersehbare Wendung beschert, die dieser Kritik den Wind aus den Segeln nimmt.

Im Vorfeld des Kampfs gegen Otto Wallin hatte sich Tyson Fury sichtlich zurückgehalten, was Äußerungen zu der Revanche mit Deontay Wilder betrifft. Die beiden hatten sich am 1. Dezember in Los Angeles unentschieden getrennt und sollen am 22. Februar in Las Vegas abermals aufeinandertreffen. Nachdem er beinahe über den Schweden gestolpert wäre, wirkte Fury spürbar erleichtert, eine Kampfansage an die Adresse des WBC-Weltmeisters zum besten geben zu können. Lange Reden waren ihm jedoch verwehrt, da er sich sofort ins Krankenhaus begeben mußte, wo seine Rißwunden genäht wurden. Alles weitere hängt nun davon ab, wie schwer die Verletzung war und wie rasch sie ausheilt.

Bis zum bereits vereinbarten Rückkampf gegen Wilder bleiben noch fünf Monate Zeit, die dafür unter Umständen ausreichen könnten. Es wird sich jedoch Narbengewebe bilden, das schneller reißt, wenn die Augenpartie erneut getroffen wird. Die Sportkommission von Nevada wird den Briten voraussichtlich mit einer Schutzsperre von wenigstens zwei Monaten belegen, wie es in solchen Fällen üblich ist. Derartige Verletzungen gehören zu den häufigsten gesundheitlichen Beeinträchtigungen im Boxsport, so daß sie auch in diesem Fall nicht ungewöhnlich sind. Allerdings hatte Fury bislang noch nie Probleme dieser Art, da er sehr groß ist und überdies so weit auszupendeln pflegt, daß ihn seine durchweg kleineren Gegner erst recht nicht erreichen. [3]

Wladimir Klitschko kam seinerzeit überhaupt nicht an ihn heran, zumal er wie paralysiert darauf verzichtete, den Briten energisch anzugreifen, der ihn regelrecht vorführen konnte. Der 2,01 m große Deontay Wilder hatte lange Probleme mit Furys Körpermaßen und Kampfesweise, kam in den späteren Runden jedoch immer besser mit ihm zurecht und schlug ihn zweimal nieder. Tom Schwarz griff den Briten recht beherzt an, was Fury nicht behagte, doch fehlten dem Deutschen die Mittel, dessen Ansturm in der zweiten Runde Paroli zu bieten. Nun hat auch Otto Wallin demonstriert, wie man dem riesigen Gegner zu Leibe rücken und ihn treffen kann.

Unter Experten sind die Einschätzungen geteilt, wie Furys Status nach dem Kampf gegen Otto Wallin zu bewerten sei. Einige rechnen ihm hoch an, trotz der Verletzung durchgehalten und in der zweiten Hälfte entschieden angegriffen zu haben. Er habe damit unter Beweis gestellt, daß ihn selbst gravierende Beeinträchtigungen nicht aus der Bahn werfen können. Kritiker weisen auf die Schwächen des Briten in den ersten sechs Runden hin, da ihn der als krasser Außenseiter geltende Schwede dominiert habe, dem man auch die zwölfte Runde gutschreiben könne. Unter dem Strich wäre daher ein Unentschieden vertretbar gewesen, das man Wallin jedoch schon deswegen nicht gewähre, weil er in den Plänen nur die zweite Geige spiele.

Jedenfalls muß Tyson Fury Sorge tragen, daß er erst dann mit Deontay Wilder in den Ring steigt, wenn seine Verletzung vollständig ausgeheilt ist. Da der US-Amerikaner für seine gewaltigen Schläge bekannt ist, kann der Brite kein Risiko eingehen, so daß eine Verschiebung des Kampftermins auf April oder Mai 2020 nicht auszuschließen ist. Wilder muß zuvor noch eine harte Nuß knacken und auch bei der Revanche gegen den gefährlichen Kubaner Luis Ortiz die Oberhand behalten. Der Kampf ist zwar noch nicht offiziell angekündigt worden, wird aber dem Vernehmen nach am 23. November in Las Vegas über die Bühne gehen.


Fußnoten:

[1] www.boxingnews24.com/2019/09/fury-vs-wallin-live-boxing-results-from-las-vegas/

[2] www.espn.com/boxing/story/_/id/27617798/fury-survives-cuts-grinds-win-wallin

[3] www.espn.com/boxing/story/_/id/27616086/is-fury-ready-wilder-scare-wallin

15. September 2019


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