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PROFI/713: Halbschwergewicht - Jäger und Beute ... (SB)



Artur Beterbijew zermürbt Oleksandr Hwosdyk

In einem Kampf zweier ungeschlagener Weltmeister im Halbschwergewicht hat sich Artur Beterbijew (IBF) gegen Oleksandr Hwosdyk (WBC) durchgesetzt. Vor rund 3300 Zuschauern in Philadelphia gewann der in Montreal lebende Russe durch technischen K.o. in der zehnten Runde, nachdem der Ukrainer aus Oxnard in Kalifornien dreimal zu Boden gegangen war. Es war die erste Zusammenführung zweier Titel in dieser Gewichtsklasse durch Akteure, die bis dahin unbesiegt gewesen waren. Sie lieferten einander ein anspruchsvolles und spannendes Gefecht, in dem der IBF-Champion seinen Kontrahenten zermürbte und schließlich vorzeitig bezwang. Die Veranstaltung wurde von Top Rank Boxing über die Bühne gebracht, bei dem beide Akteure unter Vertrag stehen, und vom Sender ESPN übertragen. Während der 34jährige Russe damit in 15 Profikämpfen die Oberhand behalten hat, die er alle vorzeitig gewinnen konnte, mußte sich der zwei Jahre jüngere Hwosdyk nach 17 Erfolgen erstmals geschlagen geben. [1]

Die Kontrahenten waren 2009 im Amateurlager schon einmal bei einem Turnier aufeinandergetroffen. Damals hatte der zweimalige Olympiateilnehmer aus Rußland in der zweiten Runde gegen Hwosdyk gewonnen, der sich drei Jahre später bei den Olympischen Spielen mit einer Bronzemedaille schmücken konnte. Im Vorfeld ihres aktuellen Kampfs waren die Meinungen geteilt, wer von beiden die Oberhand behalten würde, und so wurde der Russe bei den Buchmachern nur ganz knapp als Favorit gehandelt. Diese Einschätzung bestätigte er nach einem über weite Strecken ausgeglichenen Kampf am Ende auf überzeugende Weise.

Der Ukrainer machte zum Auftakt die bessere Figur, bis ihn Beterbijew in der Gemengelage zu Boden brachte, was Ringrichter Gary Rosato irrtümlich als Niederschlag wertete. Daraufhin protestierte Hwosdyks Trainer Teddy Atlas lautstark, und in der Pause wurde die Entscheidung durch den Repräsentanten der Sportkommission von Pennsylvania nach Prüfung der Videoaufzeichnung rückgängig gemacht. Höhepunkt der zweiten Runde war ein schwerer Treffer des Russen, der seinen Gegner ins Stolpern brachte. Der vierte Durchgang ging an den WBC-Champion, der Beterbijew mit harten Jabs an die Seile zwang und ihn dort mit Kombinationen eindeckte, für die sich Russe allerdings beim Pausengong mit einer wuchtigen Rechten revanchierte. Die überwiegend ukrainischen Zuschauer feuerten ihren Favoriten frenetisch an, der sich in der sechsten Runde einen offenen Schlagabtausch mit dem Kontrahenten lieferte. Kurz vor der Pause machte der Ukrainer abermals Bekanntschaft mit der Matte, was diesmal vom Referee als Ausrutschen gewertet wurde. Im achten Durchgang handelte sich der Russe eine Verwarnung ein, da er nach einem Trennkommando geschlagen hatte.

Ein vorzeitiges Ende zeichnete sich dann in der neunten Runde ab, in der Beterbijew den Ukrainer mehrfach mit der Rechten traf und schwer erschütterte, bis sein Gegner vom Gong gerettete wurde. In der zehnten Runde setzte der Russe sofort nach und zwang Hwosdyk dreimal auf ein Knie nieder, worauf Rosato den Kampf nach 2:49 Minuten für beendet erklärte. Erstaunlicherweise lag der Ukrainer zum Zeitpunkt des Abbruchs bei zwei Punktrichtern in Front (87:84 und 86:85), während der dritte einen deutlichen Vorsprung für den Russen notiert hatte (87:83). Laut der Statistik von CompuBox hatte Beterbijew 161 von 515 Schlägen ins Ziel gebracht (31 Prozent), während Hwosdyk 118 Treffer bei 614 Versuchen gelungen waren (19 Prozent). Da der Russe für klare Verhältnisse gesorgt hatte, blieb die Kontroverse hinsichtlich der Punktwertung letztlich ohne Belang. Am verdienten Erfolg Beterbijews gibt es nichts zu rütteln, da er nicht nur häufiger, sondern auch wirksamer getroffen und seinen Gegner systematisch geschwächt hatte.

Hwosdyk, der unter anderem von seinen prominenten Landsleuten und Freunden Wassyl Lomatschenko (Leichtgewicht) und Oleksandr Ussyk (Schwergewicht) angespornt worden war, stand nach seinem Auftritt nicht für ein Interview zur Verfügung, da er sicherheitshalber ein Krankenhaus aufsuchen mußte. Beterbijew hob hervor, daß er sich aufs Boxen und nicht auf einen Niederschlag konzentriert habe. Er habe sich sehr intensiv auf diesen bislang wichtigsten Kampf seiner Karriere vorbereitet und sei überglücklich, den zweiten Titel gewonnen zu haben. Promoter Bob Arum sprach von einem außergewöhnlichen Duell, in dem Hwosdyk den Gegner anfangs ausgeboxt, Beterbijew ihn jedoch zermürbt und am Ende ausgeschaltet habe. Der Russe sei der stärkste Akteur, den er im Halbschwergewicht je erlebt habe, da er ungeheuer viel einstecken und noch mehr austeilen könne.

Artur Beterbijew, der wie sein Gegner eine Börse von 1,5 Millionen Dollar einstreichen kann, würde im nächsten Schritt am liebsten gegen den WBA-Weltmeister Dmitri Biwol oder den Sieger des Kampfs zwischen WBO-Champion Sergej Kowaljow und Saul "Canelo" Alvarez am 2. November antreten. Diesen Plan, sich einen weiteren Gürtel zu holen und dabei womöglich sogar auf "Canelo" zu treffen, muß der Russe jedoch aller Voraussicht nach vertagen, zumal mit dem in 16 Auftritten ungeschlagenen Chinesen Meng Fanlong der IBF-Pflichtherausforderer auf ihn wartet. Arum und Dino Duva von Roc Nation Sports, der Promoter Fanlongs, haben bereits über diesen Kampf gesprochen, der am 25. Januar zum chinesischen Neujahrsfest in China ausgetragen werden könnte. Danach soll ein Kampf gegen Dmitri Biwol an die Reihe kommen, der nach Angaben des britischen Promoters Eddie Hearn bei ESPN auftreten würde, so Arum. Auch Hwosdyk habe sich großartig geschlagen und werde sicher einen Auftritt gegen einen anderen namhaften Halbschwergewichtler wie möglicherweise sogar Gilberto Ramirez bekommen, die bei Top Rank unter Vertrag stehen. Es stünden also auch für den Ukrainer weitere attraktive Kämpfe in Aussicht.

Beterbijew hat einmal mehr unter Beweis gestellt, daß er dicht am Gegner Fertigkeiten entfaltet, die ihresgleichen suchen. Er kann aus enger Distanz wirksame Schläge anbringen, während die allermeisten Boxer dafür mehr Abstand benötigen oder als Wühler im Infight Druck machen. Der Russe schlägt gefährlich zum Kopf, insbesondere aber zum Körper, was dem Kontrahenten die Luft raubt und ihn auf Dauer derart schwächt, daß er schließlich dem Druck Beterbijews zum Opfer fällt. Hwosdyk bot fünf Runden lang einen ausgezeichneten Kampf auf gleicher Augenhöhe, mußte aber in der Folge der druckvollen Angriffsweise des Russen zunehmend Tribut zollen.

Hwosdyks Trainer Teddy Atlas fand kein Mittel, seinen Boxer aus dieser zunehmenden Enge zu befreien und ihn womöglich über volle zwölf Runden zu bringen, um dann auf die Gunst der Punktrichter zu hoffen. Es trat genau das ein, was in den Prognosen vorgehalten worden war, die Beterbijew den Zuschlag gegeben hatten. Er war der Jäger und der Ukrainer die Beute, da der Russe ungeschoren durch die Schläge des Gegners voranmarschierte, um aus der Nähe seine volle Wirkung zu entfalten. Auch Hwosdyk konnte phasenweise zahlreiche Treffer landen, die Beterbijew jedoch weit weniger beeindruckten und in Mitleidenschaft zogen, als es umgekehrt der Fall war.

Atlas und Hwosdyk gingen mit derselben taktischen Marschroute in den Kampf, die gegen den damaligen WBC-Weltmeister Adonis Stevenson zum Erfolg geführt hatte. Der Kanadier war jedoch bereits 41 Jahre alt und hatte den Zenit seines Könnens weit überschritten, so daß ihn der Ukrainer nach allen Regeln der Kunst ausboxen konnte. Gegen Beterbijew mußte er sich jedoch im ständigen Schlagabtausch behaupten, bei dem er die enorme Wucht der Treffer zu häufig zu spüren bekam, als daß er ihr über die volle Distanz standhalten konnte. [2]

Was die Wertung der Punktrichter betrifft, kommen dabei natürlich stets persönliche Präferenzen zum Tragen, welche Kampfesweise bevorzugt und eher honoriert wird. Dagegen ist im Prinzip nichts einzuwenden, zumal gerade diese Unwägbarkeit ein bedeutendes Spannungsfeld hervorbringt, das durchaus zur Attraktivität dieser Sportdisziplin beiträgt, die in hohem Maße von ihren vieldiskutierten Kontroversen lebt. Allerdings steht im aktuellen Fall schon die Frage im Raum, was die beiden Punktrichter gesehen haben, die den Ukrainer zum Zeitpunkt des Abbruchs in Führung notierten. Denn Beterbijew hatte nicht nur härter geschlagen, was man womöglich übersehen oder eben gleichwertig zu schwächeren Schlägen Hwosdyks einstufen kann. Der Russe hatte jedoch auch häufiger getroffen, weshalb das Zusammenspiel dieser beiden Faktoren, die für ihn sprachen, aber nicht angemessen gewürdigt wurden, nachdenklich stimmt. [3]

Ein große Rolle hat sicher die Stimmung im Saal gespielt, da die ukrainische Fangemeinde den Ton bestimmte, was von jeher beträchtlichen Einfluß auf die Wahrnehmung der Punktrichter hat. Sie geben Runde für Runde ihre unmittelbare Wertung ab, welchem der beiden Akteure aus ihrer Sicht der Zuschlag gebührt. Ohne Rückgriff auf die Zeitlupe oder eine nachträglich überdachte Einschätzung ist ihre spontane Expertise gefordert, die durchaus aus dem Ruder einer nüchternen Bilanz laufen kann, ohne daß man deswegen in jedem Fall auf eine gezielte Parteinahme schließen muß.


Fußnoten:

[1] www.espn.com/boxing/story/_/id/27876482/artur-beterbiev-defeats-oleksandr-gvozdyk-become-lineal-light-heavyweight-champ

[2] www.boxingnews24.com/2019/10/artur-beterbiev-vs-oleksandr-gvozdyk-live-results/

[3] www.boxingnews24.com/2019/10/artur-beterbiev-vs-oleksandr-gvozdyk-results/

20. Oktober 2019


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