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PROFI/714: Halbweltergewicht - Turniersieger gekrönt ... (SB)



Josh Taylor setzt sich knapp gegen Regis Prograis durch

In einem Kampf zweier Weltmeister im Halbweltergewicht hat sich der Schotte Josh Taylor (IBF) knapp nach Punkten gegen den US-Amerikaner Regis Prograis (WBA) durchgesetzt (115:113, 117:112, 114:114). Dank dieses Erfolgs in der Londoner O2 Arena hat Taylor das Finale der World Boxing Super Series gewonnen und neben einer ansehnlichen Prämie auch die Muhammad Ali Trophy eingeheimst. Der 28jährige ist nun in 16 Auftritten unbezwungen, während sich sein Gegner nach 24 Siegen erstmals geschlagen geben mußte.

Die Kontrahenten lieferten einander einen anspruchsvollen und unterhaltsamen Kampf, der ganz nach dem Geschmack des britischen Publikums verlief, das seinen Favoriten begeistert anfeuerte. Wenngleich auch ein Unentschieden oder selbst ein hauchdünner Erfolg des Gastes aus den USA vertretbar gewesen wäre, stellte doch niemand das Resultat ernsthaft in Frage. Das galt auch für das Lager des als WBA-Champion entthronten Prograis, aus dem keine ernsthaften Einwände laut wurden. [1]

Regis Prograis unternahm von der dritten bis zur siebten Runde schlichtweg zu wenig und wurde von dem größeren und stärkeren Schotten in dieser Phase so häufig getroffen, daß er nach Punkten zunehmend in den Rückstand geriet. Taylor ging über weite Strecken aggressiver und mit einer höheren Schlagfrequenz zu Werke, wobei man es der Ecke des US-Amerikaners ankreiden muß, ihren Boxer nicht entschiedener angespornt zu haben, dem Kontrahenten das Feld streitig zu machen. Prograis arbeitete zu sehr mit dem Jab und einzelnen Schlägen, wie er auch häufig zurückwich, so daß sein Gegner einen überlegenen Eindruck machte. Erst in den letzten drei Runden ging der US-Amerikaner energischer zur Sache, doch reichte das nicht aus, um die Punktrichter insgesamt für sich einzunehmen, zumal ihm kein Niederschlag gelang.

Ein wesentliches Manko des Gastes aus Übersee war sein Unvermögen, frühzeitig Konsequenzen aus dem offenkundigen Umstand zu ziehen, daß Taylor in der Halb- und Nahdistanz überlegen war. Seine Ecke hätte ihn anweisen müssen, sich den Schotten vom Leib zu halten und vorzugsweise aus der Distanz zu boxen. Sobald die beiden einander nahekamen, schlug der Lokalmatador wesentlich häufiger zu, während der US-Amerikaner nicht recht zur Entfaltung kam. In einer solchen Situation eher sparsam zu Werke zu gehen wurde Prograis letztlich zum Verhängnis, da er den Gegner auf diese Weise dominieren ließ und ihm allzu viele Punkte schenkte, bis es zu spät war, den Rückstand wettzumachen.

Im anschließenden Interview sprach Prograis von einem engen Kampf, in dem an diesem Abend der bessere Boxer gewonnen habe. Er habe aber schon den Eindruck gehabt, daß sie in etwa gleichauf gelegen hätten und die letzten drei Runden an ihn gegangen seien. Er habe diesen Auftritt jedenfalls genossen, was sicher auch für seinen Gegner gelte, und danke England für diese Gelegenheit. Hoffentlich werde es zu einer Revanche kommen. Für einen Akteur, der tatsächlich geglaubt haben mochte, in einem ausgeglichenen Kampf am Ende die besseren Karten gehabt zu haben, wirkte der US-Amerikaner denn doch zu gelassen, als daß man ihm diese Einschätzung ohne weiteres abnehmen mochte.

Der Ringrichter ließ Taylor zu viele regelwidrige Schläge nach dem Pausengong durchgehen, ohne dies zu ahnden. Wenn das ein- oder zweimal im Eifer des Gefechts geschieht, könnte man darüber hinwegsehen. Da es aber in vier Fällen passierte, konnte der Lokalmatador von Glück reden, daß er nicht mit einem Punktabzug bestraft wurde. Davon abgesehen wurde Prograis aber nicht über Gebühr benachteiligt, so daß dieser Aspekt nicht wesentlich zum Ausgang des Kampfs beitrug.

Da das rechte Auge des Schotten zugeschwollen war, machte er hinterher den Eindruck, als habe er während der Schlußoffensive des Kontrahenten eine gehörige Tracht Prügel bezogen. Er würdigte Prograis als sehr guten und starken Gegner, dessen Timing und Ausweichbewegungen hervorzuheben seien. Der US-Amerikaner habe seinem Ruf alle Ehre gemacht und verdiene dafür Respekt.

Wenngleich Prograis verständlicherweise dem Wunsch Ausdruck verlieh, eine Revanche auszutragen, wird es so schnell nicht dazu kommen. Zum einen muß der US-Amerikaner nach dieser ersten Niederlage seiner Karriere zunächst wieder Tritt fassen und sich an einen Titelkampf heranarbeiten. Träfe er sofort wieder auf Josh Taylor, stünde er vor demselben Problem und fände vermutlich abermals kein Mittel, die Oberhand zu behalten. Zum anderen hat der Schotte als Turniersieger und Weltmeister zweier Verbände im Halbweltergewicht attraktivere Optionen, die er zweifellos vorziehen wird. Er forderte denn auch unverzüglich Jose Ramirez zu einem Duell heraus, in dem er seine Titelsammlung mit dessen beiden Gürteln (WBC/WBO) komplettieren und zum unangefochtenen Champion im Halbweltergewicht aufsteigen könnte, was umgekehrt auch Ramirez reizen sollte, diese Offerte nicht in den Wind zu schlagen. [2]

In den sozialen Medien fehlte es nicht an Stimmen, die Josh Taylor dazu aufriefen, ins Weltergewicht aufzusteigen und dort gegen den WBO-Weltmeister Terence Crawford anzutreten. Das würde dem Schotten jedoch schlecht bekommen, der zweifellos ein sehr guter Boxer ist, aber dennoch nicht in derselben Liga wie Crawford seine Kreise zieht. Dieser gilt als Meister der Kampfesweise, den Gegner nach allen Regeln der Kunst auszumanövrieren, womit er Taylor überfordern würde, der einen Kontrahenten braucht, der sich ihm zum Schlagabtausch stellt. Daher kann man nach aktueller Lage der Dinge wohl davon ausgehen, daß Taylor, wenn nicht sofort, so doch in absehbarer Zeit auf Ramirez, vielleicht zu einem späteren Zeitpunkt noch einmal auf Regis Prograis, aber kaum jemals auf Terence Crawford treffen wird.

Mit dem Finale zwischen Regis Prograis und Josh Taylor hat die World Boxing Super Series ihren krönenden Abschluß im Halbweltergewicht gefunden. Das mit Millionen Dollar Preisgeld dotierte Turnier wird von den Promotern Richard Schaefer und Kalle Sauerland für die Schweizer Comosa AG organisiert, ein Unternehmen mit Anteilshaltern aus dem Marketing, Fernsehen und Boxen. Bei diesem Turnier treten pro Gewichtsklasse jeweils acht Akteure im K.o.-System gegeneinander an. Rückkämpfe gibt es nicht, die Verlierer scheiden aus. Die Sieger der WBSS erhalten neben einem hohen Preisgeld die von dem italienischen Bildhauer Silvio Gazzaniga geschaffene Muhammad Ali Trophy, wobei dessen Tochter Laila Ali dazu ihr Einverständnis gab. Der inzwischen verstorbene Gazzaniga hat unter anderem im Jahr 1971 den FIFA-WM-Pokal entworfen, der seit dem Jahr 1974 an den Fußballweltmeister überreicht wird.

Legendärer Vorläufer dieses Formats war das Super-Six-Turnier, welches zwischen 2009 und 2011 unter der Regie des Senders Showtime die internationale Elite im Supermittelgewicht aus Europa und den USA zusammenführte. Das damalige Turnier war reich an Überraschungen und Unwägbarkeiten, was auch mit seiner langen Dauer zusammenhing. Verletzungen und andere krankheitsbedingte Ausfälle sorgten dafür, daß das Teilnehmerfeld zwischenzeitlich mit neuen Akteuren aufgefüllt werden mußte. Aus diesen Gründen haben die Veranstalter einige Änderungen wie etwa eine sehr enge Taktfolge vorgesehen, um die Gefahr unverhoffter Rückschläge zu verringern und das Publikumsinteresse wachzuhalten. Anders als beim Super-Six-Turnier, aus dem der US-Amerikaner Andre Ward als Sieger hervorging, gibt es nun eine Gruppe von Boxern, die permanent als Ersatz bereitstehen, um notfalls auch sehr kurzfristig einzuspringen.

Nach dem neuen Konzept wurde die erste Staffel 2017/18 im Cruisergewicht und Supermittelgewicht, die zweite 2018/19 im Cruisergewicht, Halbweltergewicht und Bantamgewicht ausgetragen. Das zeitliche Konzept der ersten Staffel, wonach die beiden Sieger im Mai 2018 feststehen sollten, konnte jedoch nicht umgesetzt werden. Während der Finalkampf im Cruisergewicht auf Juli 2018 verschoben wurde, fand das Finale im Supermittelgewicht Ende September 2018 statt. Dessen ungeachtet bleibt dieses Turnier eine attraktive Option, sofern es gelingt, tatsächlich die besten Akteure der jeweiligen Gewichtsklassen dafür zu gewinnen. Im Grunde geht es um die ewige, aber im Laufe der Jahre und Jahrzehnte bis zur Unkenntlichkeit vernebelte Kernfrage des Boxsports, wer der "wahre Champion" sei. Das Turnierformat schafft zumindest potentiell einen organisatorischen Rahmen, die jeweils weltbesten Boxer einer Gewichtsklasse zusammenzuführen und damit womöglich wieder eine für ein breiteres Publikum nachvollziehbare Plattform zu präsentieren.


Fußnoten:

[1] www.boxingnews24.com/2019/10/regis-prograis-vs-josh-taylor-live-results/

[2] www.boxingnews24.com/2019/10/boxing-results-taylor-beats-prograis-captures-ali-trophy/

27. Oktober 2019


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